05.02.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 85 / Tagesordnungspunkt 4

Aydan ÖzoğuzSPD - Modernes Einwanderungsrecht

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Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Mayer, ich glaube, ich habe Ihnen von dieser Stelle aus noch nie zugestimmt. Ich tue es heute, aber leider stimme ich ausschließlich Ihrem ersten und Ihrem letzten Satz zu. Das dazwischen Gesagte war, glaube ich, diskussionswürdig.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine totale Kuschelkoalition hier!)

Der erste und der letzte Satz besagten: Wir müssen diese Debatte intensiv und ausführlich führen. Das finde ich richtig. Denn ich glaube, es gibt bei kaum einem anderen Themenfeld so viele Widersprüche. Jetzt besteht die Chance, wirklich einmal aufzuklären und auch überflüssige oder sich widersprechende Regelungen auszuräumen.

Wir wissen ganz genau, dass damals bei der Debatte über das Zuwanderungsgesetz – Frau Pau hat daran erinnert – tatsächlich im Vordergrund stand, die Einwanderung zu begrenzen; das steht ja so auch im vollen Titel des Gesetzes. Heute wissen wir alle, dass wir den Fokus viel stärker auf das Gestalten legen müssen und den Blick auf die hiesige Gesellschaft und die Bedürfnisse nie verlieren dürfen. Das heißt: Ja, wir brauchen Einwanderung. Wir haben in den nächsten Jahren nicht genug Fachkräfte. Wir werden Einwanderung brauchen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber gleichzeitig brauchen wir eben auch stärkere Bemühungen um die jungen und übrigens auch die älteren Menschen in unserem Land, die ihren Platz auf dem Arbeitsmarkt entweder finden oder noch behaupten wollen. Das muss immer zusammengedacht werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Klar gesagt: Jeder Jugendliche muss eine Ausbildung machen können. Jeder braucht einen Berufsabschluss. Wir brauchen auch eine Kultur der zweiten und dritten Chance – das haben wir immer wieder betont –, wenn es nicht gleich mit der Berufsausbildung klappt.

(Beifall der Abg. Petra Crone [SPD])

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und eben auch des Fachkräftemangels müssen wir alle für den Arbeitsmarkt fit machen. Wir müssen faire Chancen schaffen.

Ich glaube, dass der Hinweis von Frau Göring- Eckardt hier noch einmal erwähnt werden sollte – ich laufe damit schon seit Monaten durch die Lande –: Es ist leider mehrfach nachgewiesen worden, dass ein ausländischer Name zu einer deutlichen Benachteiligung bei Bewerbungen führt.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das hat mit dem Einwanderungsgesetz nichts zu tun!)

Ich finde, man kann unmöglich sagen: Wir haben Vollbeschäftigung, und damit ist jede Ungleichbehandlung gerechtfertigt. – Das geht nun wirklich gar nicht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])

– Man muss schon einmal das Richtige sagen.

Gleichzeitig ist es richtig, zu sagen, dass bis 2025 das Erwerbspersonenpotenzial – das ist auch so ein Wort – in unserem Land um viele Millionen zurückgehen wird; wir gehen von über 6 Millionen aus. Wir brauchen daher mehr gut ausgebildete, qualifizierte Einwanderer und müssen dringend dafür werben. Wir haben im internationalen Vergleich zumindest auf dem Papier wirklich liberale Einwanderungsregelungen – das wird uns immer wieder bescheinigt –, zum Beispiel für Fachkräfte. Aber dies ist vielen vollkommen unbekannt. Nicht nur im Ausland, sondern auch bei uns in Deutschland versteht doch kaum jemand all diese Regelungen, die hier schon vorgetragen wurden. Wem nützen eigentlich so viele unterschiedliche Regelungen, wenn man einen Rechtsanwalt braucht, um auch nur einen Teil davon zu verstehen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was mich bei dieser Debatte eben umgetrieben hat – das will ich hier deutlich sagen –, ist etwas, das mich auch Studierende an einer Universität vor einiger Zeit etwas unbedarft gefragt haben, nämlich: Können wir nicht einfach bei den Flüchtlingen schauen, wer gut ausgebildet ist und wer nicht, und dann behalten wir die einen hier und schicken die anderen wieder zurück? Das ist eine völlige Vermengung von vollkommen unterschiedlichen Themen. Das führt mir unser Dilemma hier sehr stark vor Augen: Wenn wir Flüchtlingspolitik mit der Arbeitsmarktsituation in Deutschland rechtfertigen, dann laufen wir in eine Falle, aus der wir irgendwann nicht mehr herauskommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Flüchtlinge nehmen wir auf, weil sie politisch verfolgt werden, weil sie vor Krieg oder Terror fliehen, und eben nicht, weil sie in irgendeiner Form ausgebildet sind. Dennoch ist es natürlich wichtig – dies zeigt uns die Erfahrung –, dass wir sehr gut daran tun, jedem und jeder schnell eine Perspektive in der Mitte unserer Gesellschaft, in der Mitte unseres Arbeitsmarktes zu geben, jedem die Chance zu geben, schnell Deutsch zu lernen und arbeiten zu gehen. Genau das sind Regelungen, die wir hier im letzten Jahr alle gemeinsam miteinander beschlossen haben. An dieser Stelle müssen wir weitermachen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Eben!)

Ich finde, dass wir im Koalitionsvertrag richtige Dinge aufgeschrieben haben. Wir haben an diesem Thema gearbeitet. Was würde also dagegen sprechen, jetzt einen ordentlichen Gesetzentwurf zu erarbeiten, in dem das alles vernünftig aufgelistet wird, und zwar so, dass man es verstehen kann?

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na los! Warum nicht in dieser Wahlperiode?)

Ich glaube schon, dass wir gerade im Einwanderungsbereich viel getan haben. Denken Sie zum Beispiel an das Freizügigkeitsgesetz. Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten Asylbewerber und Geduldete nach drei Monaten Aufenthalt, und die Vorrangprüfung entfällt spätestens nach 15 Monaten. Die Residenzpflicht wurde abgeschafft. Im Bundesausbildungsförderungsgesetz wurde die Wartefrist für junge Geduldete auf 15 Monate verkürzt. Das alles sind Dinge, die wir tun, weil wir wissen, dass sie wichtig sind.

(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir wissen, dass es in der Vergangenheit ein Fehler war, die Menschen auszugrenzen und ihnen zu sagen: Wartet vier Jahre; dann könnt ihr eine Ausbildung machen. – Dann sitzen die jungen Leute nämlich vier Jahre auf der Straße, anstatt sofort mit einer Ausbildung zu beginnen. Da haben wir also schon die richtigen Dinge angepackt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir müssen auch Lücken füllen; ich will hier gar nicht alle Punkte aufzählen. Ich finde, dass manches, was in Ihrem Antrag steht, richtig ist. Über vieles muss man sicher noch diskutieren. Aber wenn der Lebensweg von Einwanderern in Deutschland anders verläuft, als ursprünglich geplant, dann darf unser Recht nicht vollkommen unflexibel sein. Das sogenannte Zweckwechselverbot ist wirklichkeitsfremd. Ich stimme dem Antrag der Grünen an dieser Stelle ausdrücklich zu.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss zum Beispiel von einer betrieblichen Ausbildung an eine Hochschule wechseln dürfen, ohne dass gesagt wird: Reise bitte vorher aus, und stell einen neuen Visumantrag; dann kannst du zurückkommen. – Das ist doch wirklichkeitsfern. Ich glaube, das leuchtet in Wahrheit auch jedem ein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich stimme Ihrem Antrag auch insoweit zu, als es darum geht, eine klare Perspektive in Richtung Einbürgerung zu vermitteln. Aber wenn ich einen kleinen Kritikpunkt nennen darf – vielleicht wird Herr Beck dazu noch etwas sagen –: Auch ich finde die Formulierung, die Sie in Ihrem Antrag gewählt haben, etwas problematisch. Es heißt darin, ein Elternteil müsse sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Das legt irgendwie nahe, als sei das bei ganz vielen nicht der Fall. Ich nehme an, dass das gar nicht so gemeint ist, und hoffe, dass Herr Beck gleich noch etwas dazu sagt.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist überhaupt missverständlich!)

Ein wichtiger Punkt – das möchte ich hier deutlich sagen – ist der Sprachnachweis beim Ehegattennachzug.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat das OVG Berlin-Brandenburg einfach recht!)

Das ist für uns alle ein hochemotionales Thema. Ich weiß, dass es vielen, die diese Forderung immer wieder erheben, darum geht, dass das gut für die Frauen sei. Meistens hat man dabei ja im Blick: Wenn auch die Ehegatten zu uns kommen, dann sollen sie Deutsch können. Der Gedanke, dass sie Deutsch können sollen, ist natürlich richtig. Aber macht es wirklich Sinn, zu sagen: „Du musst erst einen Deutschkurs gemacht haben“ – da ist ja ohnehin ein sehr niedriges Niveau gefordert –, „und dann musst du fast ein Jahr auf das Visumverfahren warten, bis du überhaupt nach Deutschland kommen darfst, um hier wieder bei null anzufangen“? Wäre es nicht sinnvoller, zu sagen: „Kommt zu uns und fangt hier sofort mit eurem Sprachkurs an“? Darüber sollten wir noch miteinander reden.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mein letzter Punkt. Der Mittelstand ist ja das Herz unserer Wirtschaft, wenn ich das einmal so sagen darf. Wenn uns Menschen aus dem Mittelstand, etwa Handwerker, sagen, sie würden gerne junge Leute, die Flüchtlinge sind, ausbilden – da ich Hamburgerin bin, weiß ich, dass das in Hamburg häufiger der Fall ist –, wir ihnen aber keine Garantie geben, dass diese jungen Menschen wirklich die gesamte Ausbildungsdauer im Betrieb bleiben, dann kann kein Mittelständler dieses Risiko eingehen. Das heißt, die Betriebe brauchen die Garantie, dass diese Auszubildenden ihre Ausbildung zu Ende führen und dann möglicherweise im Betrieb beschäftigt werden können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Nächster Redner in der Debatte: Volker Beck für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/4547976
Wahlperiode 18
Sitzung 85
Tagesordnungspunkt Modernes Einwanderungsrecht
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