Ernst Dieter RossmannSPD - Umsetzung des Nationalen Bildungsberichts 2014
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nun, glaube ich, schon das dritte oder vierte Mal, dass wir über den Nationalen Bildungsbericht im Plenum und im Ausschuss mit ziemlich gleichen Worten reden. Deshalb bleibe ich bei der Linie, die der Kollege Jung schon angesprochen hat. Wir wollen uns auf den Schwerpunkt Inklusion, auf das Praktische, auf das Konkrete einlassen. Die große Finanzdebatte führen wir gerne ein andermal.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Finanzen geht das aber nicht!)
Ich will an die Geschichte der Nationalen Bildungsberichte anknüpfen. 2006 wurde der erste Nationale Bildungsbericht mit den Schwerpunkten Integration, Migration und Bildung vorgelegt; der aktuelle Bericht hat den Schwerpunkt Inklusion, und der nächste Bericht soll wieder die Schwerpunkte Migration und Bildung haben. Was ist eigentlich die Klammer zwischen Inklusion und Integration? Ich glaube, es ist das Grundverständnis – diese Erkenntnis hat sich mittlerweile in Deutschland breit durchgesetzt; das ist ein großes Glück –, dass alle Menschen trotz ihrer Verschiedenheit jedes Recht auf Bildungschancen haben müssen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber noch nicht haben!)
Dass diese Bildungschancen nicht immer gleich weit führen, ist etwas, was wir von Inklusion bis Integration diskutieren können. Aber jedenfalls sollen alle Menschen Bildungschancen haben.
In Bezug auf das Konkrete, was Inklusion angeht, haben wir versucht, diesen Schwerpunkt in einem sehr konkreten Handlungsprogramm seitens der Regierungsfraktionen abzubilden. Die Oppositionsfraktionen werden uns treiben, wenn das nicht alles umgesetzt wird. Wir lassen uns dann auch treiben.
Aber begeisterter ist man ja, wenn man hört, dass in der Praxis schon etwas passiert. Die Initiative für Assistierte Ausbildung hat auch etwas mit dem Aufnehmen des Inklusions- und Integrationsgedankens zu tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Assistierte Ausbildung ist jetzt gesetzlich verankert worden und wird mit Geld unterlegt – und das mit nicht zu wenig. Das ist ein gesamtstaatlicher Beitrag. Aber wir können auch schauen, was in den Ländern in Sachen Inklusion passiert. Rheinland-Pfalz hat – ich nenne zuerst die kleinere Zahl – ein spezielles Unterstützungsprogramm für die Kommunen aufgelegt mit zusätzlichen 10 Millionen Euro für Inklusion an Schulen.
(Dr. Katarina Barley [SPD]: Jawohl!)
Im größeren Nordrhein-Westfalen sollen 150 Millionen Euro an die Kommunen gehen, damit Inklusion umgesetzt werden kann. Diesen Geist brauchen wir, wenn es um die schrittweise Umsetzung unseres Anspruchs geht, in Verschiedenheit allen Kindern und allen Jugendlichen Chancen zu geben.
(Beifall bei der SPD)
Weil ich finde, dass dieser Nationale Bildungsbericht nicht dadurch ertragreicher wird, dass man ihn drei- oder viermal verbal reflektiert, möchte ich die verbleibenden vier Minuten nutzen, um auf ein anderes Thema von nationalem Interesse hinzuweisen: die Situation von Flüchtlingskindern. Auch wenn das Thema in diesem Nationalen Bildungsbericht noch nicht erwähnt ist, ist es eines, das aufgrund der gemeinschaftlichen Philosophie, die wir in Deutschland haben, Kommunen, Länder und Bund berühren muss; denn wir wissen, dass unter den 300 000 geflüchteten Menschen viele Kinder und Jugendliche sind, die dramatische Entwicklungen nehmen können – im Negativen, aber hoffentlich auch im Positiven.
In diesem Zusammenhang hat es über verschiedene Stationen einen gemeinsamen Geist gegeben, den man nicht nach Parteifarben sortieren kann. Es war sehr gut, dass Frau Böhmer in ihrer Zeit als Beauftragte der Bundesregierung verkünden konnte, dass wir den Zugang zu Kindertagesstätten nicht mehr daran binden, dass die Kinder Papiere mitbringen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Denn was können die Kinder dafür, dass sie Papiere haben müssen, wenn sie in eine Kindertagesstätte gehen wollen? Wir haben auch erreicht, dass Kinder, die in die Schule gehen, Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets in Anspruch nehmen können; denn wir wollen zwischen Flüchtlingskindern und anderen Kindern keinen Unterschied machen, wenn es um den Zugang zum Mittagessen geht. Das ist etwas, was wir erreicht haben und zeigt, dass wir uns um diese Kinder mit kümmern.
Ich bleibe beim Bereich Schule. Es ist vielleicht in anderen Bundesländern genauso; aber Schleswig-Holstein hat mit den 15 Millionen Euro, die aus den zweimal 500 Millionen Euro an die Länder zur Unterstützung ihrer Integrationsleistungen gegangen sind, 240 zusätzliche Lehrerstellen bewilligt, die dann Deutsch als Zweitsprache in Schulen und anderswo unterrichten können. Das ist eine Maßnahme, die aus den 500 Millionen Euro im Land umgesetzt worden ist.
Im Bereich der beruflichen Bildung ist es doch eine bemerkenswerte Initiative, dass Herr Bouffier, Herr Kretschmann und Frau Dreyer darauf dringen, dass junge Flüchtlinge, die eine Ausbildung in einem Handwerks- oder Industriebetrieb anfangen wollen, die Garantie haben, dass sie nicht gezwungen sind, ihre Ausbildung abzubrechen, weil ihr Aufenthaltstitel dies erfordert. Sie können die Ausbildung bis zum Ende fortsetzen. Das ist etwas, was diese Koalition mit auf den Weg bringen will.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Beim BAföG will ich darauf hinweisen, dass man früher vier Jahre warten musste, bis man Zugang zur Förderung hatte; jetzt sind es nur 15 Monate. Das ist vielleicht auch recht und billig. Aber an der Veränderung von vier Jahren zu 15 Monaten ist ein Umdenken in Bezug auf die Förderangebote, die wir geflüchteten jungen Menschen machen wollen, ablesbar.
Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen. Es wäre auch überaus wünschenswert – gerade in der Philosophie dieses Nationalen Bildungsberichtes, der ja von der frühkindlichen Bildung bis zur Erwachsenenbildung reicht –, dass wir auch das elementare Menschenrecht auf Spracherwerb nicht daran binden, dass man einen Aufenthaltstitel in Deutschland hat. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Flüchtlingen und Geduldeten in Zusammenarbeit mit den Ländern einen Zugang zur Sprache verschaffen wollen. Noch ist die Koalition nicht so weit; aber wir sollten das zusammen angehen. Wir, Bund und Länder, müssen die 240 Millionen Euro für Integrationssprachkurse einsetzen, damit Menschen, die nach einer relativ kurzen Zeit arbeiten dürfen, vorher die Sprache erlernen können. Das Erlernen der Sprache ist doch in beiden Richtungen wichtig: Sie ist wichtig für die Menschen und ihre Familien und gibt Selbstbewusstsein. Sie ist aber auch eine Versicherung für die, in Zukunft würden wir sagen: Altdeutschen, die erwarten, dass man mit ihnen deutsch sprechen kann.
Diese Biografie müssen wir aufmachen, wenn wir in Zukunft Inklusion und Integration, Migration und Bildung so zusammenbringen wollen, dass das, was Ministerin Wanka kürzlich auf der Didacta gesagt hat, von dieser Koalition umgesetzt wird: Bildung ist auch für alle, die zu uns kommen, Perspektive und Chance. Es ist schon so etwas wie ein Credo, das sich an dem gemeinsamen Brückenschlag zwischen Inklusion und Integration festmacht: Bildung als Perspektive und Chance.
Wenn uns der nächste Nationale Bildungsbericht in zwei Jahren nicht nur als Zwischenergebnis aufzeigt, dass das PISA-Niveau in Deutschland durch die Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund gestiegen ist – man muss ja einmal darüber nachdenken, welches Potenzial nach Deutschland gekommen ist –, sondern auch feststellt, dass wir allen, unabhängig von ihrem rechtlichen Status, die gleichen Bildungschancen geben, dann wäre das ein guter gemeinsamer Impuls. Dafür will ich werben. Das ist ein Anliegen der SPD. Aber wir wissen: Es ist auch ein Anliegen des ganzen Parlaments.
Danke.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Als nächster Redner hat Özcan Mutlu vom Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4663066 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 88 |
Tagesordnungspunkt | Umsetzung des Nationalen Bildungsberichts 2014 |