Andrea NahlesSPD - Gesetz zur Tarifeinheit
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem hier vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit vervollständigen wir unsere Bemühungen, die Tarifautonomie in unserem Land zu stärken. Das Haus der Sozialpartnerschaft steht damit auf einem guten Fundament: Mit der Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen, mit der verbesserten Möglichkeit, Tarifverträge allgemeinverbindlich zu erklären, und mit dem Mindestlohn, den wir für die Zukunft in der Mindestlohn-Kommission wieder in die Hände der Sozialpartner gelegt haben, gibt es bereits drei Bausteine. Der vierte Baustein, die Tarifeinheit, folgt nun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Tarifeinheit hat in Deutschland als fester Bestandteil der Tarifautonomie eine sehr lange Tradition. Viele Jahrzehnte galt in der Bundesrepublik Deutschland der klare Grundsatz: „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“. Erst vor wenigen Jahren, nämlich im Jahre 2010, hat das Bundesarbeitsgericht seine ständige Rechtsprechung dazu geändert. Es waren damals, 2010, Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam, die uns als Politik aufgefordert haben, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln und damit die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern, und sie haben diese Aufforderung 2013 während der Koalitionsverhandlungen wiederum gemeinsam erneuert. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, der auch nach intensiver Anhörung und Beteiligung der Sozialpartner entstanden ist, kommen wir dieser wiederholten und dringlichen Aufforderung nach.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mancher hat nun Sorge, es würden Rechte der Arbeitnehmer, der Gewerkschaften beschnitten. Mancher hofft auch – heimlich oder öffentlich –, es würden Streiks kleiner Gewerkschaften verboten, weil sie den Bahn- oder Flugverkehr stören oder die Gesundheitsversorgung treffen. Fakt ist: All das tut dieses Gesetz nicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es geht vielmehr darum, das Funktionieren der im Grundgesetz verankerten und unsere Wirtschafts- wie Gesellschaftsordnung prägenden Tarifautonomie zu ermöglichen. Nach dem Grundgesetz sind die Sozialpartner zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen berufen. Mit dieser Aufgabe geht auch eine große Verantwortung einher. Ich erwarte, dass die Sozialpartner diese auch annehmen. Streikrecht und Koalitionsfreiheit tasten wir nicht an. Das sind Grundrechte, für die lange gekämpft wurde. Ich stehe zu diesen Rechten. Mit diesem Gesetz werden wir daran nicht rütteln.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber das Koalitionsrecht ist nicht allein ein Freiheitsrecht. Es so eng zu führen, entspricht nicht unserer Verfassungsordnung: Den Koalitionen kommt die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu, innerhalb ihres Bereichs das Arbeitsleben sinnvoll zu ordnen und zu befrieden, so hat es das Bundesverfassungsgericht festgehalten.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Richtig!)
Die Tarifautonomie darf in ihrer zentralen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktion nicht bedroht oder beeinträchtigt werden. Es ist Aufgabe des Staates, einen Rahmen zu schaffen, der das Funktionieren der Tarifautonomie sichert. Daher brauchen wir auch eine Regelung zur Tarifeinheit.
Wir sind überzeugt: Unser Vorschlag ist verfassungsgemäß. Klar ist: Bei juristischen Fragen gibt es immer auch andere, abweichende Meinungen, und es gibt keine absolute Sicherheit.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine eigenwillige Auffassung!)
Das weiß jeder hier, auch ich. Aber unser Gesetzentwurf ist so solide erarbeitet und sehr, sehr sorgfältig geprüft, auch mit den Verfassungsressorts zusammen, sodass nach allem Ermessen den Maßgaben unserer Verfassung voll Genüge getan wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das glauben Sie selber nicht!)
Denn wir setzen bei den verfassungsgemäßen Rechten und Pflichten an. Es ist und bleibt grundsätzlich in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien, durch eigene, autonome Entscheidungen Tarifkollisionen zu vermeiden. Nur nachrangig, als Ultima Ratio, wirkt das Gesetz.
Was ist nun unter solch einer Tarifkollision zu verstehen? Sie entsteht, wenn verschiedene Gewerkschaften für dieselbe Beschäftigtengruppe eines Betriebes unterschiedliche Regelungen mit der Arbeitgeberseite vereinbaren. Auch dann allerdings greift nicht automatisch das Gesetz, sondern es gibt eine ganze Fülle von Möglichkeiten, dieses Problem auf der Ebene zu lösen, auf der es auftritt: Die Gewerkschaften können untereinander Zuständigkeiten abstimmen und so dafür sorgen, dass ihre Tarifverträge nicht kollidieren. Oder sie können übereinkommen, dass der Tarifvertrag einer Gewerkschaft durch den einer anderen Gewerkschaft ergänzt werden kann, etwa durch zusätzliche Regelungen für eine bestimmte Arbeitnehmergruppe. Die Gewerkschaften können sich auch abstimmen, ihre Forderungen in einer sogenannten Tarifgemeinschaft gemeinsam aufzustellen. Das ist sehr häufig im öffentlichen Dienst der Fall. Sie können auch inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen. Schließlich gibt es immer auch die Möglichkeit, Konflikte untereinander zu lösen, etwa innerhalb eines gemeinsamen Dachverbandes.
All diese Formen sind bekannt, weil es ja bis 2010 die Tarifeinheit gab. Unterm Strich bedeutet das mehr Kooperation;
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Konkurrenz!)
denn all diese Möglichkeiten gehen vor. Unser Gesetzentwurf entfaltet eben nur im äußersten Fall seine Wirkung. Dafür haben wir ein klares Kriterium geschaffen:
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Im Fall einer Tarifkollision gilt der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da geht es schon los! Wie will man das denn feststellen?)
Welcher Tarifvertrag gilt, entscheiden also die Beschäftigten selbst. Die gemeinsame Leistung aller soll wichtiger sein als eine bestimmte Machtposition im Betriebsablauf, die sich bisher für die Durchsetzung von Einzelinteressen nutzen lässt.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht in unserer Verfassung aber anders!)
Ich höre jetzt schrille Töne: Von der Vernichtung kleiner Gewerkschaften ist die Rede. Ich sage da ganz klar: So wie es vor 2010 und zwischen 2010 und 2015 kleine Gewerkschaften gegeben hat, wird es sie auch in Zukunft geben; und das ist auch gut so.
(Beifall bei der SPD)
Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft sind konstitutiv für unser Gesellschafts-, Wirtschafts- und Sozialstaatsmodell. Wir sorgen für einen Rahmen, in dem sie wirken und sich entfalten können. Am Ende können aber für eine funktionierende Sozialpartnerschaft nur Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst sorgen, gerade indem sie sich in Verbänden und Gewerkschaften engagieren. Verantwortung für das Ganze übernehmen, den Zusammenhalt stärken und mit am künftigen Erfolg unseres Landes und unserer Wirtschaft bauen: Darum geht es. Das wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf fördern.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
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Electoral Period | 18 |
Session | 91 |
Agenda Item | Gesetz zur Tarifeinheit |