Norbert Lammert - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Frau Bundeskanzlerin hat in Ihrer Regierungserklärung auf die Herausforderungen der Energieunion hingewiesen. Die Realität hat den Deutschen Bundestag wieder. Anstatt das zu beschreiben und zu gestalten, was wir europäisch zwingend als nächsten Schritt der Energiewende brauchen, sind wir in Deutschland wieder im Klein-Klein der Energiepolitik angekommen.
Ich will dazu nur so viel sagen: Alle im Bundestag vertretenen Parteien dürfen es grundsätzlich keinem durchgehen lassen, dass man sich aus lokalpolitischen Interessen von der Gemeinschaftsaufgabe verabschiedet, egal ob in Bayern, in Ostdeutschland oder in Westdeutschland. Wir müssen sagen: Wenn wir die Energiewende wollen, wenn wir einen europäischen Energiemarkt wollen, dann müssen wir in Deutschland einheitlich stehen. Das erwarte ich von allen Verantwortungsträgern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, die europäische Integrationsgeschichte ist eng verflochten mit einer verstärkten zwischenstaatlichen Kooperation der Energieproduktion, angefangen von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl über die Europäische Atomgemeinschaft bis hin zu einer Gemeinschaft, die sich heute der Nachhaltigkeit, dem Klimawandel, aber auch der Versorgungssicherheit in ganz Europa widmet. Von daher begrüßen wir den Vorstoß der Kommission und auch der lettischen Präsidentschaft, die Energiepolitik der Mitgliedstaaten weiter enger zu verzahnen. Wir begrüßen diesen Vorstoß, um Versorgungssicherheit und Klimapolitik in Einklang zu bringen. Gerade wir Deutschen haben ein enormes Interesse daran, dass wir auch vor dem Hintergrund unserer industriepolitischen Produktion gerade das Thema Versorgungssicherheit ernst nehmen und alles tun, um weitere Beiträge zur Versorgungssicherheit zu leisten.
Ich will einmal ein paar Zahlen nennen: Mehr als die Hälfte des europäischen Energieaufkommens wird importiert. Mehr als 400 Milliarden Euro fließen dafür Jahr für Jahr aus Europa ab. Daher muss es unser Ziel sein, den Binnenmarkt zu stärken und den Weg der Energieunion zu nutzen, um Europa insgesamt unabhängiger und robuster zu machen.
Frau Göring-Eckardt hat zu Recht kritisiert, dass in dem vorliegenden Entwurf das Thema der Gasversorgung, der Gassicherheit einen sehr großen Raum einnimmt. Frau Göring-Eckardt, das ist natürlich auch der aktuellen Diskussion über Russland, über die Ukraine-Krise geschuldet. Ja, wir müssen auch kurzfristig sehen, wie wir beim Gasmarkt die Versorgungssicherheit sicherstellen. Aber ich teile ausdrücklich Ihren Hinweis, dass wir mittelfristig nicht nur sehen müssen, wie wir die Bezugsquellen verändern, sondern wie wir durch höhere Energieeffizienz und durch erneuerbare Alternativen insgesamt weniger abhängig von Gasimporten werden.
Auch dies ist ein Gebot einer zukunftsgerichteten Industriepolitik; denn, meine Damen und Herren, wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, dass Gas in Deutschland nicht nur verbrannt wird, um Strom und Wärme zu produzieren, sondern Gas ist auch ein wichtiger Rohstoff für die heimische Industrie. So müssen wir Gas auch behandeln, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD)
Insgesamt erwarte ich von der Kommission in den weiteren Beratungen, den gerade genannten Aspekten der Energieeffizienz und den erneuerbaren Alternativen Rechnung zu tragen.
Grundsätzlich sind die verbesserte Kooperation und Kommunikation auf europäischer Ebene zu begrüßen. Insbesondere kann durch eine Vollendung des Binnenmarktes, durch den Abbau von Überkapazitäten europaweit, durch einen stärkeren Netzausbau – nicht nur in Deutschland, aber insbesondere auch in Deutschland – und durch den Ausbau der Interkonnektoren, der Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung und der Vertiefung der Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten der europäische Energiemarkt vorangetrieben werden, gerade auch mit Blick auf unsere Nachbarn.
Ich will auf einen wichtigen Punkt eingehen, der gerade auch im Energieministerrat am 5. März eine Rolle gespielt hat. Zentrales Instrument, um Klimaschutz und Energieverbrauch zusammenzubringen, ist der Emissionshandel. Wir alle wissen, dass wir den europaweiten Emissionshandel geschaffen haben, um ein wirtschaftliches, ein marktbasiertes Steuerungselement zu haben. Dieses Element krankt. Die Preise für die Zertifikate sind deutlich unter dem, was wir einst angenommen haben. Infolgedessen versagen viele klimapolitische Instrumente. Aber es ist keine Lösung, dieses Instrument nun aufzugeben, sondern es muss Lösung sein, an einem marktbasierten, europaweiten Instrument festzuhalten. Ich danke ausdrücklich sowohl dem Wirtschaftsminister als auch der Umweltministerin, Frau Hendricks, die sich – am 5. März im Energieministerrat bzw. einen Tag später im Umweltministerrat – engagiert dafür eingesetzt haben, dass die Marktstabilitätsreserve 2017 kommt. Das ist notwendig. Ich denke, beide sollten weiterhin die Unterstützung aller Fraktionen im Deutschen Bundestag für diese Politik erhalten.
(Beifall bei der SPD)
Zum Abschluss mit Blick auf eine immer stärker von Europa dominierte Energiepolitik folgender Hinweis: Wir erleben gegenwärtig, dass wir uns eben nicht nur mit der Frage eines europäischen Marktes, einer europäischen Energiepolitik, sondern zunehmend auch mit Wettbewerbsaspekten auseinandersetzen müssen. Vieles von dem, was wir hier im Parlament als Demokraten beschließen, steht immer unter dem Vorbehalt einer Notifizierung, quasi einer Genehmigung. Ich erwarte als Parlamentarier, dass die EU-Kommission künftig uns gegenüber offen kommuniziert, wenn ihr Beschlüsse, die wir hier offen und demokratisch treffen, Bauchschmerzen bereiten oder Probleme machen, damit es nicht bei all dem, was wir hier tun, erst einmal heißt: Na, da müssen wir erst mal gucken, ob das genehmigungsfähig ist. – Wir müssen den Menschen erklären, was wir energiepolitisch wollen. Ich erwarte, dass man uns künftig auf europäischer Ebene offen erklärt, wie man mit Beschlüssen beihilferechtlich umzugehen gedenkt. Nur so hat es auch in Zukunft eine breite Akzeptanz, die Energiepolitik europaweit unter den Aspekten der Versorgungssicherheit, des Klimaschutzes und der Bezahlbarkeit fortzuentwickeln.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4773973 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 94 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |