Norbert Lammert - EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Europäische Union steht jetzt vor dem Abschluss dreier Assoziierungsabkommen mit Ländern in ihrer östlichen Nachbarschaft: mit Georgien, mit der Republik Moldau und mit der Ukraine. Die Abkommen sind wichtig. Sie sind wichtig für unsere Nachbarn, aber nicht weniger wichtig für Europa und unser Verhältnis zur europäischen Nachbarschaft.
Wohl kaum ein Abkommen der EU hat so viel internationale Aufmerksamkeit erfahren wie das zwischen der EU und der Ukraine. Bei unserer heutigen Debatte im Deutschen Bundestag – der Bundestagspräsident hat gerade darauf hingewiesen – ist eine Delegation der ukrainischen Rada zu Gast. Verehrter Herr Parlamentspräsident, lieber Volodymyr Groysman, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem ukrainischen Parlament – dasselbe will ich für die anwesenden Botschafter der Ukraine, Georgiens und der Republik Moldau sagen –, seien Sie uns alle herzlich willkommen!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, von der ich sprach, rührt natürlich zuallererst daher, dass sich große Hoffnungen auf diese Abkommen richten, über die wir jetzt entscheiden: die Hoffnungen der Menschen in der Ukraine zum Beispiel auf Wachstum und Arbeit nach langer Stagnation, auf eine moderne und transparente Demokratie nach Korruption und nach Misswirtschaft, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Es hat lange gedauert, bis die Verhandlungen überhaupt eröffnet wurden. Dann wurde sechs Jahre lang zwischen der Europäischen Union und der ukrainischen Führung verhandelt, dann die Kehrtwende unter Janukowytsch – wir erinnern uns alle –, und jetzt hat die ukrainische Regierung durch ihre Zustimmung zum Assoziierungsabkommen besiegelt, dass sie gemeinsam mit der Europäischen Union an dieser besseren Zukunft arbeiten will. Nun ist es an den Staaten der Europäischen Union, ihre Seite des Versprechens zu bekräftigen. Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, werbe ich heute um Ihre möglichst breite Zustimmung in diesem Deutschen Bundestag.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Aufmerksamkeit für dieses Abkommen ist aber natürlich auch deshalb so groß, weil es im Zusammenhang steht mit einer dramatischen politischen Krise, die seit über einem Jahr nicht nur die Ukraine überschattet, sondern die Friedensordnung, wenn ich das so sagen darf, in ganz Europa. Gerade jetzt, wo wir vor dem Abschluss dieser drei Abkommen stehen, gilt es, deutlich zu sagen: Nicht die Intensivierung einer Partnerschaft ist die Ursache für die Zuspitzung des Konflikts, sondern Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ostukraine. Nicht der Weg der Kooperation hat uns in die Krise geführt, sondern der Weg der Konfrontation. Und weitere Konfrontation führt uns nicht hinaus, sondern weiter hinein in diesen Konflikt, und deshalb müssen wir sie vermeiden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb sage ich immer wieder, auch gerne heute erneut und auch gerade an unsere russischen Nachbarn: Die Nachbarschaftspolitik der EU ist gegen niemanden gerichtet.
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
Wir wollen eine gute Zusammenarbeit nicht nur mit unseren Nachbarn, sondern auch mit den Nachbarn unserer Nachbarn. Alle 28 europäischen Außenminister haben das kürzlich in Riga deutlich zum Ausdruck gebracht. Vor allem ist es unsere gemeinsame Überzeugung hier in Deutschland, in der Regierung und sicherlich auch im Parlament. Auch deshalb sind wir so sehr um eine politische und nicht um eine militärische Lösung des Ukraine-Konflikts bemüht. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass sie gelingt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eigentlich haben wir seit über 40 Jahren eine Grundlage, die es uns ermöglicht, die Vorgänge zu beurteilen.
– darf ich zitieren –
So heißt es wortwörtlich in der KSZE-Schlussakte von 1975, die mit der Zustimmung Russlands zustande gekommen ist. Deshalb sage ich: Nur auf dieser gemeinsamen Basis können wir den akuten Konflikt entschärfen, entlang der konkreten Vereinbarung des Minsker Abkommens. Nur so kann die Basis für eine neue Zukunft unserer Beziehungen auch mit Russland geschaffen werden. Am Bemühen unsererseits wird und darf es auch nach Enttäuschungen und nach Rückschlägen nicht fehlen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber zurück zu den Assoziierungsabkommen. Diese drei Assoziierungsabkommen stellen die Beziehungen der Europäischen Union zu Georgien, Moldau und der Ukraine wirklich auf eine neue Stufe. Sie werden zu einem völlig neuen Grad an politischer Zusammenarbeit und wirtschaftlicher Verflechtung führen. Aber nicht nur das; die Abkommen bringen für unsere drei Partnerländer auch große Aufgaben mit sich, an deren Erfüllung in den kommenden Jahren zu arbeiten sein wird. Das wird mühsam, keine Frage. Der Prozess der Assoziierung verlangt von der Ukraine, von Georgien und von der Republik Moldau tiefgreifende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen. Aber ich weiß eben auch: Die Hoffnungen, die die Menschen in diesen Prozess legen – diese Hoffnungen setzen auch Kräfte frei. Das können wir jetzt schon in einigen der Länder sehen.
Die Republik Moldau hat im letzten Jahr den Visaliberalisierungsprozess geradezu in Rekordzeit abgeschlossen.
Georgien hat Justiz, Verwaltung und Grenzmanagement in bemerkenswerter Weise modernisiert.
Und die Ukraine ist trotz des Konfliktes im eigenen Land zu Reformen bereit, sei es im Energiebereich oder bei der Korruptionsbekämpfung. Präsident Groysman hat mir gegenüber, aber, wie ich vermute, auch gestern im Auswärtigen Ausschuss den Fahrplan für die Reformen noch einmal erläutert. Wir wollen nicht vergessen: Schon Ende 2014 wurde ein erstes Reformgesetzpaket verabschiedet.
Meine Damen und Herren, wir haben Interesse an dem Weg der Reformen – als Europäische Union und als deutsche Bundesregierung. Vor allen Dingen ist das allerdings im Interesse der drei Länder selbst. Deshalb wünsche ich Ihnen – das sage ich den drei Botschaftern und den anwesenden Parlamentsvertretern –, dass Ihnen die notwendige politische Unterstützung in Ihren Ländern nicht versagt bleibt. Denn eines bleibt am Ende auch wahr: Wir können diesen Reformprozess vonseiten der deutschen Regierung und der Europäischen Union unterstützen und werden das auch tun, aber getrieben werden muss er vom politischen Willen in den drei Ländern selbst.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn der Weg gelingt, meine Damen und Herren, dann können diese drei Assoziierungsabkommen auch über die Partnerländer hinaus Wirkung entfalten. Auch unseren drei anderen östlichen Partnern Armenien, Aserbaidschan und Belarus, die keine Assoziierung mit der EU anstreben, wollen wir mit individuellen Angeboten gerecht werden. Auch in diesem Fall will ich betonen: Die Hand, die wir Armenien, Aserbaidschan und Belarus reichen, ist zugleich auch in Richtung Russland ausgestreckt. Denn die Europäische Union will nicht nur starke Einzelbindungen; wir wollen eine gute, stabile Nachbarschaft in und mit der gesamten Region. Das wird auch der Leitgedanke auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga sein. Größtmögliche Stabilität und Kooperation in einem möglichst großen Raum – daran ist uns allen gelegen: der EU, unseren östlichen Nachbarn und hoffentlich Russland auch.
Ich bin jedenfalls überzeugt: Die Aufgaben, die vor unseren Nachbarn liegen, lassen sich ohnehin nicht lösen, wenn sie vor die Wahl zwischen Ost und West gestellt werden. Auch der Wiederaufbau der Ukraine wird nicht auf einem Bein gelingen – so dringend notwendig die Unterstützung des Westens auch sein wird. Eine bessere Zukunft für unsere Nachbarn liegt nicht im Entweder-oder, sondern im Sowohl-als-auch. Deshalb unterstützen wir als deutsche Bundesregierung nachdrücklich die trilateralen Gespräche zwischen der Ukraine, Russland und der EU. Wenn nach Auslaufen des augenblicklich noch geltenden Moratoriums zum Jahresende die Streitigkeiten über Handelsbeziehungen und Vereinbarkeit von Handelsregelungen nicht erneut aufbrechen sollen, dann rate ich – auch der Europäischen Kommission – dringend dazu, den Trilog endlich fortzusetzen und die Gespräche nicht weiter zu vertragen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich komme zum Ende. Die Lage ist ernst. Europas Friedensordnung ist ins Wanken geraten. Jetzt geht es um Verantwortung, die wir, die Staaten der EU, unsere Nachbarn und auch Russland tragen. Die drei Abkommen, die vor uns liegen, können einen Beitrag zu Europas Friedensordnung sein. In dieser Verantwortung wollen wir nicht nur hier über sie abstimmen und sie unterzeichnen, sondern vor allen Dingen wollen und müssen wir sie in den kommenden Jahren mit Leben erfüllen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort erhält nun der Kollege Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/4809012 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 97 |
Tagesordnungspunkt | EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau |