Philipp LengsfeldCDU/CSU - Geschichte des Bundeskanzleramtes
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Trotz Ihrer Rede, Herr Kollege Korte, hat der Antrag der Linksfraktion auf den ersten Blick eine gewisse seriöse Anmutung: „Unabhängige Historikerkommission zur Geschichte des Bundeskanzleramtes einsetzen“. Man könnte denken: Ja, wir klären die NS-Geschichte der Fachministerien auf, also könnten wir doch darüber diskutieren, diese Aufklärung auf das Bundeskanzleramt auszuweiten.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!)
Trotzdem hatte ich bei diesem Antrag von Anfang an ein komisches Gefühl, und Ihre Rede hat dieses Gefühl natürlich massiv verstärkt, Herr Kollege. Dies regte sich schon angesichts des Zeitpunktes der Einbringung Ihres Antrags. Der ursprüngliche Antragstext stammt vom November 2014, eingebracht hat die Linksfraktion ihn aber erst jetzt, in der Plenarwoche mit dem 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom nationalsozialistischen Terrorregime, den wir morgen begehen. Dieser Antrag ist ganz offenbar Teil einer größeren PR-Kampagne.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Oh Gott!)
Jetzt könnte man sagen: Okay, die Linkspartei ist aufgrund ihrer eigenen, schwer belasteten Vergangenheit eben sehr geschichtsbewusst und möchte mithelfen, dass diese Demokratie die Verbrechen und Fehlleistungen ihrer Geschichte nie vergisst; und ein bisschen PR machen wir ja alle. Leider ist die Sachlage aber eine ganz andere. Diesen Antrag in dieser Form zu diesem Zeitpunkt von dieser Fraktion empfinde ich als Frechheit, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)
Die NS-Aufarbeitung der Fachressorts ist in vollem Gange. Dies wird eindrücklich durch die ausführliche Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4238 vom März dieses Jahres belegt.
Ich gehe gerne auch in die Details. Es ist klar, dass für die Bundesfachressorts sehr intensive Arbeiten zur Aufarbeitung ihrer NS-Zeit laufen. Auch über die Nachwirkungen auf deren Wiederaufbau wird geforscht. Auslöser war, wie erwähnt, die Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission für das Auswärtige Amt, welches als Pionier voranging. Jetzt laufen solche Arbeiten – um nur einige wichtige Ministerien zu nennen – auch für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Bundesministerium der Finanzen, das Bundesministerium der Justiz und das Bundesministerium des Innern. Übrigens wird auch die Vergangenheit des Fachressorts BKM aufgearbeitet. Gleiches gilt – das wurde auch schon erwähnt – für den BND und das BKA.
Das ist aber noch nicht alles. Die Aufarbeitung findet auch in nachgeordneten Bundesinstitutionen statt: in der Bundesagentur für Arbeit, in der Deutschen Nationalbibliothek, im Bundesarchiv oder im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Auch diese Aufzählung ist nur exemplarisch.
Auf Seite 14 der Beantwortung der Kleinen Anfrage finden Sie eine übersichtliche Tabelle mit der vollständigen Liste der Ministerien und Institutionen inklusive der gar nicht so geringen Kosten und des Bearbeitungsstatus. Die NS-Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Nachkriegszeit werden für die Fachressorts der Bundesrepublik also sehr umfassend aufgearbeitet, meine Damen und Herren. Das ist auch kein Zufall; denn diese Koalition hat sich dazu im Koalitionsvertrag gemeinsam verpflichtet.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Martin Dörmann [SPD])
Um ganz sicherzugehen, dass keine Lücken bestehen, wurden von der Staatsministerin für Kultur und Medien die zwei großen zeitgeschichtlichen Forschungsinstitute mit einer Bestandsaufnahme beauftragt. Deren Ergebnisse werden sicherlich von den entsprechenden Ressorts berücksichtigt.
Die NS-Zeit der Fachressorts wird also umfassend aufgearbeitet. Dem würde vermutlich – so habe ich Sie auch verstanden, Herr Kollege Korte – nicht einmal die Linkspartei widersprechen. Was also soll der Antrag der Linksfraktion? Er möchte eine Aufarbeitung der demokratisch legitimierten Nachkriegszeit des Bundeskanzleramtes von 1949 bis 1984 bewirken. Die Stoßrichtung des Antrags zielt auf den Umgang des Bundeskanzleramtes mit der Aufarbeitung der NS-Zeit in den Fachministerien und der Gesellschaft insgesamt. Herr Korte hat dies ja gerade wortreich erläutert. Und wieder sage ich: Es ist ja nicht so, dass dieses Anliegen der Linksfraktion vollkommen abwegig wäre. Im Bundeskanzleramt wie in Westdeutschland insgesamt ist sicherlich nicht alles gleich richtig gemacht worden.
Ich sage es noch einmal: Wenn man unterstellt, dass eine schwer gebrandmarkte Partei aufgrund der schonungslosen Aufarbeitung der eigenen Geschichte besonders sensibilisiert ist für mögliche Schwächen bei anderen und hier quasi helfen will, dann gäbe es – ich wiederhole mich ausdrücklich – eine gewisse Legitimation für diese Diskussion heute. Leider ist dem aber nicht so; denn im Antrag wird ein sehr, sehr wichtiger Aspekt verschwiegen. Wenn wir über die Nachkriegszeit in Westdeutschland nachdenken – gerade im Hinblick auf den Umgang mit der NS-Vergangenheit –, dann müssen wir auch über die Rolle der SED und der DDR-Staatsmacht reden. Denn die SED hat jahrzehntelang unter ungeheurem Einsatz von Geld, Archivmaterialien, des Staatsapparats, aber auch vieler informeller Mitarbeiter in den Medien und der Wissenschaft in Ost und West eine massive Kampagne gegen die demokratische BRD gefahren, und zwar mit dem klaren Ziel, den demokratischen Staat zu denunzieren. Es wurde suggeriert, dass in Westdeutschland die NS-Vergangenheit nicht nur nicht aufgearbeitet wurde, sondern dass es eine personelle, geistige und strukturelle Kontinuität gab. Im Visier dieser Propagandakampagnen waren immer zuerst die Repräsentanten der Demokratie, allen voran das Bundeskanzleramt.
Die Kampagnen waren übrigens gar nicht so erfolglos, auch deswegen, weil nicht alle Vorwürfe völlig falsch waren. Das prominenteste Beispiel – es ist hier auch schon erwähnt worden – ist natürlich die NS-Verstrickung des langjährigen Kanzleramtschefs Hans Globke. Trotzdem waren die Mittel der SED im Kampf gegen Bonn alles andere als rechtsstaatlich oder fair. Es wurde auch nicht davor zurückgeschreckt, fehlendes belastendes Material selbst nachzufabrizieren oder existierendes Material stark anzuspitzen. Der Zweck heiligt die Mittel; so haben es die Stalinisten immer gemacht. Es war eine schmutzige, asymmetrische, antidemokratische Propagandaschlacht.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufhören! – Jan Korte [DIE LINKE]: Jetzt sagen Sie doch mal was zum Kanzleramt! Das ist ja neurotisch!)
Meine Damen und Herren, der Antrag der Linksfraktion blendet diesen Teil der gemeinsamen deutschen Geschichte völlig aus. Auch in Ihrer Rede, Herr Kollege Korte, habe ich davon kein einziges Wort gehört.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Darum geht es auch überhaupt nicht!)
– Darum geht es nur aus Ihrer Sicht nicht; aber natürlich geht es darum. – Dabei wäre ein Verschweigen, wie Sie es hier an den Tag gelegt haben, gar nicht nötig gewesen; denn die massive Kampagne der SED hatte auf verquere Art und Weise eine durchaus positive Wirkung, und zwar für die Demokratie in Westdeutschland, da sie die tatsächlich oft zu zögerliche Aufarbeitung massiv befeuerte. Trotzdem ist von den Propagandalügen der SED gegen das damalige Kanzleramt und seine demokratisch gewählten Verantwortungsträger – Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt und Helmut Kohl; der von Ihnen vorgeschlagene Zeitraum geht ja bis 1984 – zu viel im kollektiven Gedächtnis dieses Landes verblieben, sodass man das bewusste Verschweigen – das ist ja Ihr Thema – dieses Teils der Geschichte als weiteres Kapitel genau solcher Propaganda ansehen kann oder vielleicht sogar ansehen muss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, der vernünftige Teil Ihrer Fraktion – ich denke immer noch, dass es den gibt; vielleicht täusche ich mich da auch –
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bestimmt!)
hat hier wieder einmal eine große Chance vertan. Diesen Antrag in dieser Form und zu diesem Zeitpunkt einzubringen, war kein ernstgemeintes Gesprächsangebot, sondern ein rein taktisches Manöver der Scharfmacher in Ihren Reihen, und genauso werden wir Ihren Antrag auch behandeln.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Jetzt hat Jan Korte von der Linken das Wort für eine Kurzintervention.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist Demokratie! Das haben Sie doch eben selber gesagt!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5040750 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 103 |
Tagesordnungspunkt | Geschichte des Bundeskanzleramtes |