Tim OstermannCDU/CSU - Tag der Befreiung als Gedenktag
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor 70 Jahren hat die deutsche Wehrmacht bedingungslos gegenüber den Alliierten kapituliert. Ein sechsjähriger Weltkrieg fand damit in Europa sein Ende. An diesem Krieg waren mehr als 60 Staaten beteiligt. Mehr als 50 Millionen Menschen – wir haben es eben schon gehört – sind ihm zum Opfer gefallen. Am 8. Mai 1945 war dieser grauenvolle Krieg endlich beendet. Das Töten hörte auf.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete die militärische Niederlage Deutschlands. Mit dem Ende des Krieges ging aber auch das Ende der NS-Diktatur einher. Zwölf Jahre lang haben die Nationalsozialisten Deutschland und Europa mit ihrer Schreckensherrschaft terrorisiert. Wer nicht in das Idealbild der Nationalsozialisten passte, wurde verfolgt, drangsaliert, getötet. Der traurige und auch heute noch schwer zu fassende Tiefpunkt war dabei der Holocaust. Über 6 Millionen Menschen jüdischen Glaubens wurden von den Nationalsozialisten systematisch und auf bestialische Weise ermordet.
Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager haben wir viele Zeitzeugenberichte hören können, die das Grauen noch einmal anschaulich machten. Magda Hollander-Lafon, eine Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz, berichtete vor einigen Monaten in der Süddeutschen Zeitung Folgendes:
Wenn ich diese und andere Berichte von Zeitzeugen höre, besteht für mich kein Zweifel daran, dass der Untergang des NS-Regimes für die Menschen in Europa eine Befreiung war, und es besteht kein Zweifel daran, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges auch für die Deutschen eine Befreiung darstellte.
Es war keine Selbstbefreiung. Hieran hat unser Präsident in der heutigen Gedenkveranstaltung erinnert. Es bedurfte der Befreiung von außen. Hierfür sind wir den Alliierten gerade an diesem 70. Jahrestag zu außerordentlichem Dank verpflichtet.
Was dem 8. Mai 1945 folgte, brachte jedoch nicht für jeden Freiheit. Im Westen setzte sich die Befreiung fort. Entnazifizierung und Demokratisierung: Unter diesen Stichworten wurde in den westdeutschen Besatzungszonen ein Neuanfang ermöglicht. Diejenigen, die sich an den bestialischen Verbrechen des NS-Regimes beteiligt hatten, wurden zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt, wenn auch leider nicht alle und teilweise viel zu spät. Auch heute noch dauern die juristische Auseinandersetzung und die juristische Aufarbeitung dieser schrecklichsten Periode der deutschen Geschichte an, wie das Beispiel des Prozesses gegen Oskar Gröning vor dem Landgericht Lüneburg zeigt.
Trotz der großen Schuld, die viele – viel zu viele – Deutsche auf sich geladen hatten, gaben die westlichen Alliierten den Deutschen in ihren Besatzungszonen eine neue Perspektive, eine zweite Chance. Die westdeutsche Gesellschaft wurde demokratisiert. Politische Stabilität, Wohlstand und sozialer Ausgleich waren die Folge. Der Schutz und die Achtung der Würde des Menschen wurden zur zentralen Verpflichtung des Staates, so wie es in dem allerersten Artikel unseres Grundgesetzes zum Ausdruck kommt. Mit Ende des Krieges wurde Westdeutschland eine Entwicklung ermöglicht, die am 8. Mai 1945 keiner für möglich gehalten hätte.
Unsere Landsleute in der Sowjetischen Besatzungszone empfanden den 8. Mai 1945 dagegen weit überwiegend nicht als Tag der Befreiung,
(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)
wohl als Tag der Befreiung von der NS-Gewaltherrschaft, nicht aber als Tag der Befreiung von Diktatur, Unfreiheit und Unrecht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Gabriele Fograscher [SPD] – Zuruf von der LINKEN: Buh!)
In den ersten Jahren nach Einrichtung der Sowjetischen Besatzungszone wurden mehr als 120 000 Deutsche ohne Gerichtsverfahren inhaftiert. Zehntausende wurden in die Sowjetunion deportiert, um dort in Zwangslagern zu arbeiten. Mehr als 40 000 Deutsche kamen dort um.
Auf Geheiß der Sowjetunion wurde die sogenannte Deutsche Demokratische Republik gegründet. Das eingängigste Symbol für die Unfreiheit in der DDR
(Zuruf von der LINKEN: Alter Krieger!)
stellt der Bau der Berliner Mauer dar. Die Bürger Ostberlins und die in den übrigen Gebieten der DDR wurden buchstäblich eingemauert, damit sie dem Regime nicht entfliehen konnten. Innerhalb von Zaun und Mauern eingesperrt, mussten die DDR-Bürger die Exzesse von Staat und Partei ertragen: Erschießung beim Versuch, die Grenze zu überqueren, Folter und Misshandlungen in den Gefängnissen,
(Widerspruch bei der LINKEN)
Ausforschung und Terrorisierung durch die Stasi, keine Meinungsfreiheit, keine Pressefreiheit.
(Ulrich Freese [SPD]: Ihre Schwesterpartei hat mitgemacht!)
Für diejenigen, die in den Jahren danach unter Diktatur, Unfreiheit und Unrecht litten, war der 8. Mai 1945 kein Tag der Befreiung.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist ja unglaublich!)
Die vollständige Befreiung der Deutschen in der DDR trat erst am 9. November 1989 ein: mit dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was ist denn das für ein Geschichtsbild?)
Ebenfalls nicht vergessen darf man die weit über 10 Millionen Vertriebenen, die nach 1945 die ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reiches verlassen mussten. Ja, es ist richtig: Die Vertreibung stellt eine Folge der Gewaltherrschaft des NS-Regimes und des von ihm angezettelten Krieges dar. Unabhängig von der Frage der Verursachung sollte man aber nicht verkennen, dass durch die Vertreibung, aber auch durch Kriegsgefangenschaft millionenfaches Leid über die Menschen gebracht wurde. Darum ist es nachvollziehbar, dass auch diese Menschen den 8. Mai in erster Linie nicht als Tag der Befreiung empfanden und empfinden.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ach so! Weiterhin den Faschismus! Das wäre besser gewesen!)
Keine Frage: Der 8. Mai ist ein Datum, das in der deutschen Geschichte einen wichtigen Platz einnimmt.
(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Das ist ja pfui!)
Daher wird in der Bundesrepublik jedes Jahr an das Kriegsende erinnert, auch in diesem Plenarsaal. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Ich finde, dass wir heute Morgen herausragende und – im positiven Sinne – denkwürdige Redebeiträge erleben durften.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie haben bloß nicht zugehört!)
Heinrich August Winkler gab uns mit auf den Weg – ich zitiere ihn –:
Am 8. Mai werden wir uns der Geschichte dieses Landes in besonderer Weise bewusst. Ich möchte aber auch daran erinnern, dass wir uns dessen alljährlich auch am 27. Januar bewusst werden. Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. An diesem Tag wird bundesweit der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Die Initiative hierzu ging im Jahr 1996 vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog aus.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eigentlich von Antje Vollmer!)
Er proklamierte einen Gedenktag. Wir glauben, dass daneben kein weiterer gesetzlicher Gedenktag eingeführt werden sollte.
Roman Herzog begründete seine damalige Initiative wie folgt – ich zitiere ihn, und damit möchte ich schließen –:
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als nächster Redner hat Volker Beck von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5045373 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 104 |
Tagesordnungspunkt | Tag der Befreiung als Gedenktag |