Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Regierungserklärung zu Gipfeln Östliche Partnerschaft, G7- sowie EU-CELAC
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kanzlerin,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Bundeskanzlerin!)
wir haben von Ihnen heute wieder einmal eine typische Regierungserklärung gehört, so eine schöne Ankündigungsrede.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Sie haben viele Themen kurz gestreift: die Klimakrise, die Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit, die Gefahr eines postantibiotischen Zeitalters und die mangelnde Fairness der ökonomischen Globalisierung. Sie haben viele Probleme der Welt auf die Tagesordnung des G-7-Gipfels in Elmau gesetzt.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine typische Oppositionsrede!)
Sie sind die Kanzlerin der Tagesordnung, Frau Merkel. Daran besteht kein Zweifel.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
So eine Tagesordnung schreiben Sie bestimmt nach bestem Wissen und Gewissen, wie Sie es selbst ausdrücken. Ich finde, dieser Satz verkörpert, wofür Sie stehen: Sie ersetzen die Tat durch den Vorsatz, den Inhalt durch die Überschrift und die Politik durch PR. Egal wenn nichts passiert; Hauptsache, es sieht irgendwie schön aus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die reale Welt braucht aber reale Politik, Frau Merkel. Daran müssen Sie sich messen lassen, und genau dabei fallen Sie durch. Ob bei den entscheidenden Zukunftsfragen, beim Datenschutz, bei einer gerechten Globalisierung, beim Klimaschutz oder bei der Energiewende: Überall herrschen Stillstand, Apathie und Gleichgültigkeit. Die Probleme der Welt sind echt, aber Ihre Politik ist nicht echt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nach bestem Wissen und Gewissen, Frau Merkel? Seien wir ehrlich: Sie wissen es doch viel besser. Sie wissen doch, dass der Klimaschutz in Deutschland stockt, dass unsere Daten nicht sicher sind,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das weiß der Herr Lammert!)
dass die Ungleichheit zunimmt und unsere Autos nicht sauberer werden. Das wissen Sie sehr wohl. Warum handeln Sie dann nicht endlich?
Bisher ist es Ihnen oft gelungen, die Fassade aufrechtzuerhalten und die Arbeit nur vorzutäuschen. Aber nach zehn Jahren Wind und Wetter aus der echten Welt bekommt die schönste Fassade Risse. Morsches Gebälk kommt zum Vorschein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein tiefer Riss in dieser Fassade stammt aus dem Jahr 2013. Erinnern Sie sich? Damals war Wahlkampf. Im Jahr 2013 ist die reale Welt in Form von Edward Snowden in die Merkel-Welt eingebrochen. Das war natürlich total unangenehm; denn Sie hatten die Republik doch so schön eingelullt. Aber dann kam die reale Welt zum Vorschein, und was taten Sie? Sie schickten einen Gaukler namens Pofalla. Und was haben Sie den Gaukler Pofalla sagen lassen? Sie haben den Gaukler Pofalla die schönen Worte an die Deutschen richten lassen: Die Amerikaner haben uns den Abschluss eines No-Spy-Abkommens angeboten.
Sie wollten beruhigen, Lösungen vortäuschen und verschleiern. Ihre Botschaft sollte sein: Wir haben alles im Griff. – Doch es war eine falsche Fährte, eine Fährte, wie sie ein Geheimdienst nicht besser hätte legen können. Es war Trickserei. So geht es nicht, Frau Merkel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn an der Beendung der Massenüberwachung waren Sie gar nicht interessiert. Es sollte nie ein No-Spy-Abkommen geben. Die Amerikaner hatten es nie angeboten.
Ihr Kanzleramt hat die Öffentlichkeit getäuscht, hinter die Fichte geführt oder, wie man es landläufig auch nennt, schlichtweg gelogen. Und Sie haben es zugelassen. Sie sind schließlich die Kanzlerin. Deshalb vermute ich, dass Sie Einfluss auf Ihr Kanzleramt haben. Vielleicht haben Sie es sogar selbst veranlasst. Ist es das, was Sie mit bestem Wissen und Gewissen meinen?
Ihr Gewissen ist Ihre Sache, Frau Merkel. Ihr Wissen war allerdings schon damals deutlich besser als Pofallas Gauklerspiel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der belegte E-Mail-Verkehr legt nahe, dass Sie ganz genau wussten, dass es dieses Abkommen nie geben würde. Frau Merkel, es war alles nur ein faules Ei aus Ihrer PR-Abteilung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Merkel, Sie hätten heute die Gelegenheit gehabt, sich zu äußern. Eine Entschuldigung bei den Bürgerinnen und Bürgern wäre angesichts dieser Täuschung das Mindeste; sie wäre angemessen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Stattdessen imitieren Sie Helmut Kohl und versuchen, die Probleme auszusitzen. Das lassen wir nicht zu, Frau Merkel. Der BND hat der NSA jahrelang geholfen, deutsche und europäische Unternehmen und europäische Nachbarn auszuspionieren. Gegen diese Realität hilft keine PR, Frau Merkel.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wissen wir doch noch gar nicht! So wird wieder etwas behauptet vor der Aufklärung! Jedes Mal dasselbe!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das hat rein gar nichts mit dem Schutz vor Terror zu tun. Erst täuschen Sie die Wählerinnen und Wähler, und jetzt versuchen Sie, sie mit ihrer Angst vor Terroranschlägen einzuschüchtern. Das ist im Kern wirklich unanständig.
Frau Merkel, Sie untergraben auch die Legitimität der Geheimdienste, des Rechtsstaats und am Ende unserer Demokratie, wenn Sie jetzt nicht endlich aufklären.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dieses Untergraben der Legitimität gefährdet am Ende unser aller Sicherheit; denn wir brauchen eine funktionierende Zusammenarbeit, und wir brauchen eine rechtsstaatliche, verlässliche Zusammenarbeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber was wir nicht brauchen, ist, nach Ihrer marktkonformen Demokratie, auch noch die geheimdienstkonforme Demokratie. Es kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein, Frau Merkel, was Sie da zulassen. Legen Sie endlich die Selektorenlisten auf den Tisch!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])
Sie haben noch am 11. Mai in Bremen versprochen, dass selbstverständlich alle Unterlagen dem BND-Untersuchungsausschuss zugeleitet werden. Sie selbst haben gesagt: Selbstverständlich wird alles zugeleitet. – Stimmt das jetzt, oder stimmt es nicht?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Offensichtlich hat das Versprechen nicht einmal drei Tage gehalten. Wo sind jetzt die Selektorenlisten, wo sind die Unterlagen, die der Untersuchungsausschuss fordert? Halten Sie sich in diesem Fall an Ihre eigenen Worte, und legen Sie die Unterlagen endlich vor!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Jahr ist auch entscheidend für den Klimaschutz und die globale Gerechtigkeit. Mit den Konferenzen zur Entwicklungsfinanzierung und zu den Nachhaltigkeitszielen der UN sowie der Klimakonferenz in Paris werden Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt. In Ihrem Videopodcast haben Sie, Frau Merkel, angekündigt, dass die Globalisierung jetzt fair und gerecht gestaltet werden soll. Wieder eine schöne Überschrift. Sie werden sich ganz bestimmt nach bestem Wissen und Gewissen dafür einsetzen.
Aber können wir irgendetwas davon erwarten? Ich fürchte, nein. Erinnern Sie sich noch an 2007? Da gab es schon einmal einen Gipfel in Deutschland, den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Im Vorfeld haben Sie eine schöne Rede gehalten. Diese Rede hat den Titel getragen: „Globalisierung fair gestalten“. Was ist aus dieser Überschrift gefolgt? Es ist immerhin schon viele Jahre her. Ich kann es Ihnen sagen: Finanztransaktionsteuer – gibt es nicht; verbindliche Arbeitsmarkt- und Sozialstandards – nicht mit Frau Merkel; harte Regeln für die Banken – Pustekuchen; 0,7-Prozent-Ziel für die Entwicklungszusammenarbeit – kein Plan vorhanden.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wo waren Sie die ganze Zeit?)
An Ihren Slogans und Überschriften ist genauso viel dran wie an der schönen Show Ihres damaligen Gauklers Herrn Pofalla, es ist schlichtweg gar nichts dran.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Fragen Sie sich manchmal, ob seitdem für die Näherinnen in Bangladesch irgendetwas an ihren Lebensumständen besser geworden ist? Es ist richtig, dass diese Menschen Entschädigungen bekommen. Aber es ist doch noch viel wichtiger, dass man dafür sorgt, dass es zu solchen Unglücken gar nicht erst kommt. Ist irgendetwas besser geworden, seit Sie zum letzten Mal eine solche Rede gehalten haben? Nein, nichts ist besser geworden für die Näherinnen, und wir fürchten, dass auch Ihre jetzige Rede wieder konsequenzlos bleibt und auch diesmal nichts besser wird für die Näherinnen in Bangladesch.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Fragen Sie sich eigentlich, ob die Risiken der globalen Finanzwelt kleiner geworden sind, seit Sie viele schöne Reden gehalten haben? Auch hier lautet die Antwort Nein. Die Risiken sind nicht kleiner geworden. Oder nehmen wir die brutale Ungleichheit, die viel mit einer fairen und gerechten Globalisierung zu tun hat. Nein, auch die brutale Ungleichheit in der Welt ist kein bisschen kleiner geworden. Nächstes Jahr wird das reichste 1 Prozent der Menschen genauso viel besitzen wie alle übrigen 99 Prozent zusammen.
Schützen Sie diejenigen besser, die zu Hunderttausenden vor Krieg, Armut und Vertreibung fliehen? Nein, der Großteil des Mittelmeers bleibt immer noch eine Todeszone, und humanitäre Visa gibt es immer noch nicht. Frau Merkel, Ihre Rede enthält wunderbare Überschriften, sie enthält schöne Worte, aber an der Realität ändert sich nichts. Seit zehn Jahren verbessert sich die Realität nicht. Da können Sie noch so oft schöne Worte wie die von fairer Globalisierung finden. Handeln Sie endlich! Verändern Sie die Realität! Dafür sind Sie zur Kanzlerin gewählt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Merkel, Sie sprechen von einem guten Signal, das vom Petersberger Klimadialog ausgehen müsse. Ein gutes Signal. Es kann sein, dass Sie in Signalen und Symbolen denken. Wir erwarten beim Klimaschutz aber nicht Signale und Symbole, wir erwarten beim Klimaschutz längst Taten; denn Taten müssen den Worten folgen, nicht nur immer weitere schöne Worte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aber was passiert pünktlich zum Auftakt des Petersberger Klimadialogs? Sie weichen die CO 2 -Einsparziele Ihres Energieministers auf. Mit dem Verbrennen der dreckigen Braunkohle reißen Sie alle selbst gesteckten Klimaziele und heizen die Erde weiter auf. Sie lassen unentwegt die Kohle- und Atomideologen aus der Unionsfraktion und aus Bayern die Energiewende sabotieren. Ihre Bundestagsfraktion hat Minister Gabriel so lange in die Kniekehlen getreten, bis er eingeknickt ist.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Er steht doch aufrecht da!)
Ihr Ministerpräsident Seehofer wütet gegen den Netzausbau, der die Grundlage für den Atomausstieg ist. Sie versprechen zusammen mit Frankreich einen besseren Emissionshandel. Aber es sind doch Ihre Parteifreunde von der CDU, die in Brüssel im Europaparlament genau das verhindern, was Sie hier versprechen. Das darf doch nicht wahr sein!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was tun Sie, Frau Merkel? Sie schreiben nach bestem Wissen und Gewissen schöne Überschriften für diese falsche Politik. Die Merkel-Union ist längst zu einer Bedrohung für das Klima geworden.
(Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])
Sie gefährden dadurch, dass Sie nicht handeln, sondern immer nur schöne Worte sagen, die Lebensgrundlagen für uns alle; Sie gefährden dadurch die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen.
Frau Merkel, „nach bestem Wissen und Gewissen“, das ist die verbale Krücke für Ihr Regierungsprinzip. Wenn Politik allerdings nicht liefert, was sie verspricht, wenn sie nicht sagt, was sie wirklich will, wenn sie nur Fassade ist, dann nimmt unsere Demokratie Schaden. Niedrige Wahlbeteiligungen und Politikverdrossenheit sind Folgen davon. Das ist mit Ihr Verdienst, Frau Merkel. Eine träge und politisch sedierte Bundesrepublik ist die Folge von zehn Jahren Kanzlerschaft Merkel. Ihre asymmetrische Demobilisierung, mit der Sie erfolgreich Wahlkämpfe geführt haben, ist längst zu einer flächendeckenden Entpolitisierung geworden.
„Nach bestem Wissen und Gewissen“ – an diese Worte kann ich mich gut erinnern. Die habe ich von einem anderen Politiker schon einmal gehört. Dieser andere Politiker war auch einmal der beliebteste Politiker in ganz Deutschland. Können Sie sich noch an ihn erinnern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union? Es war Karl-Theodor Guttenberg. Mit denselben Worten verteidigte er einst seine Promotionsarbeit. So substanzlos wie seine Promotionsarbeit, so zusammengeschustert, ideenlos und inhaltsleer ist inzwischen Ihre Politik geworden. Auch Sie werden nicht länger mit Ihrem Einlullen, Täuschen und Vortäuschen davonkommen. Die „Methode Merkel“ kommt inzwischen an ihr Ende, und das ist auch gut so.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Für die CDU/CSU-Fraktion erhält nun Volker Kauder das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5112048 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 106 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zu Gipfeln Östliche Partnerschaft, G7- sowie EU-CELAC |