Katja MastSPD - Leiharbeit und Werkverträge
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden über die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen, aber ich will am Anfang meiner Rede doch noch einmal klarstellen: Für uns in der Regierungskoalition ist die Frage der Stärkung der Tarifautonomie eine ganz zentrale.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Albert Stegemann [CDU/CSU])
Deshalb haben wir den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn eingeführt, die Möglichkeit für Allgemeinverbindlichkeitserklärungen verbessert und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz für alle Branchen geöffnet. Ursprünglich wollten wir all das gemeinsam mit dem Gesetz zur Tarifeinheit verabschieden, haben dann aber wegen der heiklen verfassungsrechtlichen Fragen gesagt: Da müssen wir noch etwas mehr Gehirnschmalz hineinlegen als in die genannten Punkte, die in der Tat einfacher zu regeln waren. Sich hier nun hinzustellen und uns zu sagen: „Sie beschäftigen sich mit Tarifeinheit und kümmern sich nicht um Tarifautonomie“, halte ich an der Stelle für eine Unverschämtheit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])
Bezüglich Leiharbeit und Werkverträgen ist für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten klar, dass im Betrieb gelten muss: gemeinsam arbeiten, gleich verdienen und gleich behandelt werden.
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ach!)
Das ist für uns Recht und Ordnung auf dem Arbeitsmarkt.
(Beifall bei der SPD)
Dass das nicht immer der Fall ist, haben einige meiner Vorredner ja schon gesagt. Es gibt in den Betrieben eine Zwei- und Dreiklassenbelegschaft. Es ist beispielsweise so, dass es in der Automobilindustrie in der Montage eine Stammbelegschaft, Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Werkvertrag gibt. Die Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer verdienen ungefähr 30 Prozent weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Werkvertrag ungefähr 70 Prozent weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen. Klar ist: Zu einer sozialen Marktwirtschaft gehört, dass diejenigen, die das Gleiche tun, das Gleiche verdienen müssen. Deshalb ist es richtig, dass Leiharbeit und Werkverträge reguliert werden.
(Beifall bei der SPD)
Die IG Metall hat eine Umfrage zu diesem Thema durchgeführt – der Kollege Ernst hat es vorhin schon erwähnt – und festgestellt: In der Automobilindustrie stellen ungefähr 760 000 Kolleginnen und Kollegen die Stammbelegschaft, 100 000 Kolleginnen und Kollegen sind Leiharbeiter und 250 000 in Werkvertragskonstellationen. Es besteht dort also ein Verhältnis von 2 : 1. In der Luftfahrt stellen 73 000 Kolleginnen und Kollegen die Stammbelegschaft, 10 000 Kolleginnen und Kollegen sind Leiharbeiter und 10 000 Kolleginnen und Kollegen in Werkvertragskonstellationen.
Zum Dienstleistungsbereich: In Krankenhäusern – dazu liegen zurzeit mehrere Petitionen im Petitionsausschuss vor – gibt es beispielsweise die Tendenzen, ganze Krankenhauseinheiten auszugliedern und Aufträge über Werkvertragskonstellationen zu vergeben. Zu sagen: „Es gibt kein Problem“, negiert diese Realität in den Betrieben in unserem Land.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])
Wenn wir sagen: „Wir in der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD wollen Leiharbeit und Werkverträge regulieren“, dann geht es uns nicht nur darum, zu erklären: Das ist für die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb nicht in Ordnung. Vielmehr ist das auch für die ehrlichen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nicht in Ordnung; denn am Schluss sind sie die Dummen. Sie werden dann durch den Konkurrenzdruck dazu gezwungen, ähnliche Betriebspraktiken einzuführen. Wer glaubt, dass das nicht der Fall sei, sollte sich einmal die aktuellen Debatten bei DHL und Post sowie in den Krankenhäusern ansehen. Da sehen wir sehr genau, was passiert. Es gibt Unternehmen mit einer guten Mitbestimmung und gut ausgestatteten Arbeitssituationen, die in weniger stark tarifgebundene und mitbestimmte Strukturen gehen, eben in Richtung Werkvertragskonstellationen. Genau deshalb muss das Parlament handeln. Wir können nicht zuschauen; denn an dieser Stelle ist die soziale Marktwirtschaft in Gefahr.
(Beifall bei der SPD)
Im Betrieb sieht das dann oft so aus, dass die Kolleginnen und Kollegen in Leiharbeit oder mit Werkverträgen unterschiedliche Arbeitskleidung haben, unterschiedliche Preise in der Kantine bezahlen und nicht auf den gleichen Parkplätzen parken dürfen etc., weil sie eben keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stammbelegschaft sind. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Leiharbeit regulieren. Alle, die diese Debatte schon länger verfolgen, wissen: Die SPD hätte sich ein bisschen mehr vorstellen können als das, was im Koalitionsvertrag steht. Aber wer glaubt, da sei keine Musik drin, irrt. Denn wir bekommen laufend Anfragen von Verbänden, Unternehmen und Arbeitnehmerorganisationen, die mit uns über dieses Thema reden wollen, und zwar sehr intensiv. Also, da ist ordentlich Musik drin.
Bei der Leiharbeit wollen wir definieren, was der Gesetzgeber unter „vorübergehend“ versteht. Nachdem wir uns da lange Zeit gelassen haben, bin ich froh, dass wir jetzt eine Regelung gefunden haben und unter „vorübergehend“ grundsätzlich 18 Monate verstehen. Wir wollen Leiharbeit auf ihre Kernfunktion zurückführen. Wir wollen sie also nicht abschaffen, sondern auf ihre Kernfunktion zurückführen. Wir wollen, dass sie ein Instrument ist, um bei Auftragsspitzen und zu Urlaubszeiten schnell zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bekommen. Wir wollen aber nicht ganze Produktionszyklen oder sogar mehrere Produktionszyklen über Leiharbeit organisieren.
Wir wollen, dass spätestens nach neun Monaten gilt: gleiches Geld für gleiche Arbeit. Liebe Beate Müller- Gemmeke, natürlich hätten wir es gerne gesehen, wenn das noch früher gelten würde. Aber Koalitionen sind Bündnisse auf Zeit. Wir können uns im nächsten Bundestagswahlkampf darüber streiten, was wir uns vornehmen. Aber die Regelung mit den neun Monaten ist an der Stelle immerhin besser als nichts.
(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir wollen nicht, dass Leiharbeitnehmer als Streikbrecher eingesetzt werden. Und wir wollen eine gesetzliche Klarstellung, dass die Zahl der Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Schwellenwerte für Mitbestimmung einbezogen wird, sodass die Firmengröße bei den Betriebsratswahlen tatsächlich abgebildet wird.
Wir stellen aber eines fest: In der Leiharbeit stagnieren seit 2011, als wir durchgesetzt haben, dass es dort einen Mindestlohn gibt, die Beschäftigtenzahlen, während Werkvertragskonstellationen zunehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir nicht das eine regulieren, ohne das andere im Auge zu behalten. Deshalb wollen wir auch Werkverträge regulieren, rechtswidrige Vertragskonstruktionen zulasten der Arbeitnehmer verhindern, die Kontroll- und Prüftätigkeiten bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit konzentrieren. Wir wollen die Informations- und Unterrichtungsrechte der Betriebsräte sicherstellen und Abgrenzungskriterien, die durch Rechtsprechung geschaffen wurden – das hat mein Kollege Schiewerling auch schon gesagt –, gesetzlich niederlegen. All das steht im Koalitionsvertrag. Wir werden da ab Herbst ganz gut zu tun haben.
Zur Frage der Abschaffung von Werkverträgen – ja oder nein – zitiere ich kurz mit Zustimmung der Präsidentin den IG-Metall-Vorsitzenden Detlef Wetzel –
Mit Blick auf die Uhr.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schnelles Zitat!)
– ja, ganz kurz –:
– davon habe ich gerade schon gesprochen –
Da hat er recht. Deshalb diskutieren wir ab Herbst über die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen in der Koalition.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Wort hat der Kollege Albert Stegemann für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5114171 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 106 |
Tagesordnungspunkt | Leiharbeit und Werkverträge |