Susanne MittagSPD - Aktuelle Stunde zur Freigabe der NSA-Selektoren-Liste
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade die öffentliche Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses für diese Aktuelle Stunde unterbrochen. Ich finde es natürlich gut, wenn wir öffentlich darstellen können, was wir in diesem Ausschuss machen. Ich hoffe, dass das in der nächsten Zeit immer wieder einmal der Fall sein wird. Das Interesse in der Öffentlichkeit kann nur gestärkt werden.
Wir haben auch gestern bis Mitternacht getagt, und ich ahne, dass das heute auch so sein wird und wir unsere Zeugen vernehmen werden. Deswegen möchte ich an dieser Stelle noch einmal allen Damen und Herren des Stenografischen Dienstes, die hier und in unserem Ausschuss sitzen und bis in die tiefe Nacht hinein mitschreiben und alles das, was wir da erzählen, auflisten, einen herzlichen Dank für ihre Arbeit sagen. Das ist nicht selbstverständlich.
(Beifall im ganzen Hause)
Der Titel der Aktuellen Stunde lautet „Haltung der Koalitionsfraktionen zur Freigabe der NSA-Selektorenliste im Hinblick auf mögliche Ausspähungen von Wirtschaft und Politik“. Das ist ja ein ganz schöner Titel. Um ehrlich zu sein, für mich wären noch einige andere Fragen ziemlich relevant und gehörten dazu, etwa: Wie gewährleisten wir den Schutz von deutschen Interessen bei Kooperation mit ausländischen Nachrichtendiensten? – Wir stellen im Ausschuss fest, dass das irgendwie alles ein bisschen unklar ist. Dann – noch wichtiger –: Welches Verständnis von deutschen Interessen hat der BND, und wer definiert eigentlich die Interessen, und wer hinterfragt das Verständnis des BND? Und: Wie eng wird der BND kontrolliert? – Das alles sind Fragen, die wir schon gestellt haben, die auch Inhalt der Ausschussarbeit sind bzw. die wir noch stellen werden.
Im Laufe der Arbeit des Untersuchungsausschusses habe ich das Gefühl gewonnen, dass der BND so ein ganz klein bisschen die Übersicht und die gebotene Vorsicht bei der Kooperation verloren hat. Er hat sie verloren, um nämlich genau diese Zusammenarbeit mit der attraktiv erscheinenden NSA, mit den Möglichkeiten, die die haben, eingehen zu können. Hier scheint der Schutz der deutschen Interessen in den Hintergrund getreten zu sein, und zwar von nachrichtendienstlichen Interessen. Und das ist ein Problem.
Über die Selektorenliste setzen wir uns mit der Bundesregierung nun schon seit bald vier Wochen auseinander.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über vier Wochen!)
Uns alle im Ausschuss eint der Wunsch, endlich Klarheit über die eingesetzten Selektoren zu erhalten. Da kursieren ja sehr unterschiedliche Zahlen in der Öffentlichkeit; das geht los bei 2 000 und geht bis 8 Millionen. Wenn ich hier einmal fragen würde, welche Zahl wohin gehört, dann würden wir wahrscheinlich auch überraschende Ergebnisse haben. Das müssen wir erst einmal klären.
Um die infrage stehenden Selektoren hat sich der BND anscheinend – so muss man sagen – seit zehn Jahren nicht so richtig gekümmert.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man so sagen!)
In den Jahren wurden es immer mehr und mehr, und da sind Maß und Übersicht so ein bisschen verloren gegangen. Dafür haben wir den Untersuchungsausschuss. Das muss jetzt nachgeholt werden. Wir müssen uns eine Übersicht darüber verschaffen, in welchem Rahmen Politik und Wirtschaft betroffen sind – das wissen wir noch nicht, auch wenn es sich hier manchmal anders anhört –: Sind Wirtschaftsunternehmen abgehört worden, sind welche als Selektoren benannt worden und, wenn ja, aus welchem Grund? Es wird sicherlich auch Begründungen geben, und wenn nicht, dann kommen wir auch dahinter. Sind sie vielleicht für die NSA wirtschaftlich interessant gewesen? Es gibt dazu unterschiedliche Meinungen. Auch das wollen wir klären. Und wir müssen klären, ob und in welchem Rahmen die europäische Politik auf die Selektorenliste gekommen ist und mit welcher Intention. Auch da gibt es Konkurrenten und unterschiedliche Interessen.
Das, was mich neben den Selektoren in den vergangenen vier Wochen beschäftigt hat, ist: Was lief da eigentlich beim Bundesnachrichtendienst schief? Wie konnte es sein, dass offensichtlich kritische Selektoren der NSA ungeprüft übernommen oder eingesetzt wurden? – Dafür machen wir diese ganzen Zeugenbefragungen, und zwar sehr systematisch. Es geht vor allem um die Frage: Warum wurden Vorgesetzte, die dortige Hausleitung und das Bundeskanzleramt damals nicht oder nur teilweise über solche gravierenden Vorgänge in Kenntnis gesetzt? Wer wusste wann wie wo was? – Das müssen wir auch noch klären.
Ich nenne hier einmal Dr. T. – der ist ja mittlerweile berühmt in unserem Ausschuss –, einen Referenten aus dem BND, der die kritischen Selektoren in wochenlanger Kleinarbeit gefunden und völlig richtig reagiert hat. Er meldete den Fund an seinen Vorgesetzten. Gut. Und was passierte dann? – Die Selektoren wurden quasi auf dem kleinen Dienstweg gelöscht, das heißt, außer Funktion gesetzt. – Unglücklich.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr milde ausgedrückt! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Kleiner Dienstweg“ ist milde, ja!)
So, als hätte sich damit auch das Problem aufgelöst.
Das macht uns alle so ein bisschen fassungslos.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herrn Schuster nicht!)
Wie kann es vor dem Hintergrund der Snowden-Veröffentlichungen und der Einrichtung eines Untersuchungsausschusses sein, dass solche Prüf- und Löschvorgänge der Leitungsebene im BND oder im Bundeskanzleramt vorenthalten wurden – und auch dem Parlament?
Das sind für uns alle im Ausschuss die drängendsten Fragen, die sich stellen; und ich gebe zu, ich hätte mir gewünscht, dass wir uns in dieser Woche auf ein Verfahren im Umgang mit den Selektoren geeinigt hätten. Das war auch letzte Woche mein Wunsch. Da ist die Bundesregierung in einer Bringschuld, obwohl wir anerkennen, dass die völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Prüfung aufwendiger ist als gedacht. Das Konsultationsverfahren mit den Amerikanern läuft auch schon recht lange, eigentlich ziemlich lange. Da hoffen wir, dass die Bundesregierung jetzt endlich zu einer kurzfristigen Entscheidung kommt. Wir hoffen auf eine Entscheidung nach Pfingsten und darauf, dass uns als erster, nicht als letzter Schritt ein Vorschlag zur Überprüfung der Listen vorgelegt wird.
In dieser Woche haben wir genug zu tun. Wir haben die Aufgabe, organisatorische Fehler und strukturelle Fehler, aber eben auch eine ganz bestimmte spezielle Behördenmentalität im BND zu erkennen und hoffentlich auch irgendwann zu ändern. Wir sind gerade dabei. Die Zeugen am gestrigen und heutigen Tag bringen uns da weiter; heute Nachmittag wird es ganz interessant. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gleich wieder in den Ausschusssaal gehen und die Arbeit fortsetzen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Danke, Frau Kollegin Mittag. Zwei Kolleginnen sind in dieser Debatte aber noch vorgesehen. – Nächste Rednerin ist Nina Warken für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5114964 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 106 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Freigabe der NSA-Selektoren-Liste |