02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Zusatzpunkt 5

Thomas de MaizièreCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Sicherheitslage nach islamistischen Anschlägen

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Freitag war ein bitterer Tag. Innerhalb von wenigen Stunden wurden wir Zeugen von drei terroristischen Anschlägen.

In Kuwait gab es einen Selbstmordanschlag auf eine schiitische Moschee mit 26 Toten und über 200 Verletzten, die nichts weiter getan hatten, als zu beten. Die Terrorgruppe IS hat sich zu dieser Tat bekannt.

In Frankreich, in einem kleinen Ort bei Lyon, hat ein Täter seinen Kollegen getötet, enthauptet, und den Kopf öffentlich ausgestellt. Anschließend hat er versucht, eine Explosion auf einem Fabrikgelände für Gaserzeugnisse herbeizuführen. Die genauen Hintergründe sind noch unklar.

Im tunesischen Sousse hat ein Terrorist mit einem Sturmgewehr, das man üblicherweise Kalaschnikow nennt, und mit selbst gebastelten Handgranaten das Feuer auf wehrlose Touristen am Strand eröffnet. Bei seinem Gang ins Hotel hat er weitere Menschen umgebracht. Später wurde er durch Sicherheitskräfte erschossen. In Tunesien haben wir 38 Tote zu beklagen, mindestens 30 Verletzte, darunter zwei tote deutsche Staatsbürger und eine Schwerverletzte. Vor allem Bürgerinnen und Bürger von Großbritannien sind schwer betroffen.

Am Montag haben wir gemeinsam an diesem Strand gestanden: der tunesische Innenminister, die britische Innenministerin, der französische Innenminister und ich. Wir sind den Weg des Attentäters, wenn Sie so wollen, gegangen. Anschließend haben wir gemeinsam der tunesischen Öffentlichkeit gesagt – ich wiederhole es hier –: Wir sind dort gewesen, um mit den Angehörigen zu trauern, gleich welcher Nation auch immer sie angehören. Wir sind dort gewesen, um unsere Solidarität mit dieser jungen Demokratie zu bekunden, die so verletzlich ist, wie wir gesehen haben. Wir sind dort gemeinsam gewesen, um unsere Solidarität zu bekunden, um zu sagen: Wir sind gemeinsam bedroht, wir stehen gemeinsam für unsere Werte, und wir sind der Überzeugung, dass die Freiheit auf Dauer stärker ist als jeder Terrorismus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte all denen in Tunesien und auch hier danken, die geholfen haben. Die deutschen Touristen, die dort geblieben sind, haben mir gesagt, dass sie deswegen dort geblieben sind, weil die tunesischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem Hotel ihnen so großartig geholfen haben. Sie wollten sie nicht im Stich lassen. Auch die Mitarbeiter des Reiseveranstalters TUI haben vorzüglich gearbeitet. Es ist, glaube ich, einen Dank wert, wenn man sieht, wie Menschen nach einem solchen schrecklichen Anschlag bereit und imstande sind, anderen zu helfen. Das hat mich jedenfalls sehr beeindruckt.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Ermittlungen dauern an. Die Tunesier haben zugestanden, erlaubt, dass wir dort ein Ermittlungsteam des BKA haben, das sehr eng in die Ermittlungsarbeit einbezogen ist. Es gibt noch keine Klarheit über die Hintergründe der Tat. Wir wissen auch nicht, ob das, was an diesem Freitag stattgefunden hat, eine Serie war. Wir haben jedenfalls in allen Fällen ein Bekennerverhalten des sogenannten „Islamischen Staates“.

Eines zeigen die drei Terroranschläge jedenfalls deutlich: Der internationale Terrorismus ist eine globale Bedrohung für das friedliche Zusammenleben, für junge Demokratien ebenso wie für uns in Europa, für Muslime, für Christen und für Juden gleichermaßen. 2014 wurden über 33 000 Menschen Opfer des internationalen Terrorismus. Dafür sind alleine vier Einrichtungen verantwortlich: IS, Boko Haram, Taliban und al-Qaida. Wir haben unterschiedliche Tatbegehungen: Einzeltäter, koordinierte Gruppen, Kleinstgruppen. Wir haben unterschiedliche Ziele: politische Ziele, Menschen, die Urlaub machen, die beten, die arbeiten. Es gibt viele Erklärungen. Ich habe mich natürlich, wie Sie alle auch, viel mit diesen Fragen beschäftigt. Aber letztlich bleibt mir unverständlich, woher dieser Hass kommt, durch den man imstande ist, Menschen zu töten, die unschuldig sind, die arbeiten, die sich erholen und die beten.

Auch Deutschland ist im Zielgebiet des internationalen Terrorismus. Wir haben – so nennen wir es – eine ernstzunehmende Bedrohungsgefahr auch in Deutschland. Das wissen wir. Wir arbeiten daran, dass es nicht zu Anschlägen kommt. Wir haben oft Glück gehabt. Unsere Sicherheitskräfte haben oft gut gehandelt. Wir waren oft auf Hinweise von ausländischen Nachrichtendiensten angewiesen, gerade auch der amerikanischen Nachrichtendienste.

Wir haben viel gemacht. Wir haben entsprechende Gesetze erlassen oder auf den Weg gebracht. Weniges von dem, was noch zu tun ist, ist umstritten. Wir haben die Ausstattung der Polizisten verbessert. Wir haben das Personal erhöht und sind dabei, es weiter zu erhöhen. All das ist auf gutem Weg. Wir haben so viele Ermittlungsverfahren wie noch nie zuvor. Polizei und Staatsanwaltschaften arbeiten gut zusammen.

Zugleich aber ist die Zahl der Gefährder, also der Menschen, von denen wir nicht ausschließen können oder annehmen müssen, dass sie gegebenenfalls einen terroristischen Anschlag begehen, ebenfalls so hoch wie noch nie zuvor: über 300. Die Zahl der sogenannten Ausreiser, also der Menschen, die aus Deutschland stammen oder aus Deutschland kommen und sich dort an Kämpfen beteiligen, ist ebenfalls so hoch wie noch nie zuvor: etwa 700. Es tröstet mich nicht, dass diese Zahl in anderen Staaten noch höher ist. Aus Tunesien sind es vielleicht 3 000, 4 000 oder 5 000. Aus kleinen Ländern wie Belgien oder den Niederlanden liegt diese Zahl bezogen auf die Bevölkerung auch deutlich höher. Es ist so – so bitter diese Aussage ist –: Wir hatten Sorge, dass Terrorismus nach Deutschland importiert wird. Im Moment exportieren wir den Terrorismus aus einer freiheitlichen Demokratie wie Deutschland.

Wir haben viel gemacht, und wir werden weiter viel tun. Wir sind erfolgreich. Aber nicht sehr erfolgreich sind wir bei dem Durchbrechen der Prozesse der Radikalisierung mitten unter uns. Ich rede über Menschen, die in unsere Schulen gegangen sind, in unsere Vereine, in unsere Moscheen, die aus unseren Elternhäusern kommen und in unseren Bekanntenkreisen sind. Sie lassen sich für einen unbeschreiblichen Hass radikalisieren. Es gibt dafür viele Erklärungen. Ich habe diese Woche mit den tollen Frauen und Männern gesprochen, die in diesem Zusammenhang Beratungsarbeit machen. Man kann den Hut nicht tief genug vor dieser Arbeit ziehen.

Vor allen Dingen befriedigt mich nicht die Antwort auf die Frage, warum wir nicht so erfolgreich sind, diesen Kreislauf der Radikalisierung zu durchbrechen. Das ist – weil gleich darüber diskutiert wird – auch eine Geldfrage, aber nicht nur eine Geldfrage. Wir sind auch nicht achtsam genug im Umgang miteinander, weil wir es zulassen, es nicht erkennen, es zu spät erkennen oder uns schämen, es zu sagen, dass Menschen sich verändern und radikalisieren. Wir müssen in unserer Gesellschaft, auch aus vielerlei anderen Gründen, achtsamer im Umgang miteinander werden, also bei dem, was mitten unter uns passiert.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Katrin Göring- Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, wie gerne würde ich als Innenminister hier stehen und Ihnen und der Öffentlichkeit sagen: Wir sind gut aufgestellt. Wir haben die Gesetze gemacht, auch wenn manches umstritten ist. Die Polizei arbeitet gut. Es wird keinen Terroranschlag in Deutschland geben. – Das kann ich nicht, und das werde ich nicht tun; das wäre unverantwortlich. Auch wir können betroffen sein; auch wir können getroffen werden. Aber was ich für alle Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern sagen kann, ist: Wir sind gut aufgestellt. Wir sind wachsam. Wir sind wehrhaft. Wir tun das uns Mögliche, damit ein Terroranschlag in Deutschland unterbleibt.

Dafür brauchen wir natürlich politischen Streit. Wir brauchen aber auch ein großes Maß an Konsens in diesem Land, dass dies eine Herausforderung ist, der wir möglichst gemeinsam begegnen sollten. Wir brauchen auch einen Konsens darüber – und den gibt es hoffentlich –, dass eines nicht geschehen darf – das Wort „Terror“ kommt aus dem Lateinischen und heißt „Furcht“ und „Schrecken“ –: dass alleine durch Drohungen oder auch nach Taten die Furcht in Deutschland siegt. Das darf nicht sein.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke, das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5349507
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Sicherheitslage nach islamistischen Anschlägen
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