08.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 119 / Einzelplan 06

Eva HöglSPD - Innen

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch ich möchte mit einem Zitat beginnen, mit einem schönen Satz, wie ich finde: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Das ist Artikel 16 a unseres Grundgesetzes, und dieser Satz ist für uns alle ein Bekenntnis. Er drückt die Werte aus, denen wir uns verbunden fühlen und die wichtig für uns sind. Er ist für uns auch eine Verpflichtung, danach zu handeln. Er drückt das Recht unseres Rechtsstaats aus und ist Ausdruck unserer tief empfundenen Humanität und Menschlichkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, freue ich mich sehr, dass wir im Deutschen Bundestag eine sehr große Einigkeit – ich hoffe sogar, Einstimmigkeit – haben, angesichts der aktuellen Debatte diesen Artikel 16 a Grundgesetz so zu lassen, wie er ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das ist unser Grundrecht auf Asyl, unsere Verpflichtung und unser Ausdruck von Werten und von Menschlichkeit. Ich freue mich über diese Einigkeit, weil wir Anfang der 90er-Jahre eine ganz andere Debatte hatten, und hoffe sehr, dass es dabei bleibt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in den letzten Wochen und Monaten und vor allem am letzten Wochenende gesehen, dass viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land diesen Satz mit Leben füllen, indem sie Flüchtlinge willkommen heißen. Überall dort, wo die Flüchtlinge ankommen und wo sie untergebracht werden müssen, stehen Menschen hilfreich zur Seite, spenden Geld und Sachmittel, verteilen Essen und Trinken und helfen dort, wo sie können. Das ist ein wirklich tolles zivilgesellschaftliches Engagement. Es ist an dieser Stelle mehr als angebracht, dafür ganz herzlich Dankeschön zu sagen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir sagen Danke allen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern. Ich möchte aber auch ausdrücklich all denjenigen Danke sagen, die mit hoher Professionalität helfen. Ich meine damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks, des Deutschen Roten Kreuzes, der Kirchen, der Sozialeinrichtungen und der Wohlfahrtsverbände sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, auf die sonst viel geschimpft wird, die uns aber mit ihrem Engagement und ihrer Hilfe für Flüchtlinge Anlass geben, stolz zu sein. Auch dafür herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wir alle, die wir heute in erster Lesung über den Haushalt sowie über Flucht und Migration diskutieren, wissen, dass wir weiterhin damit werden umgehen müssen, dass Menschen ihre Heimat verlassen und zu uns kommen. Sie fliehen vor Krieg, Terror und Gewalt und suchen bei uns Frieden und Schutz sowie eine Perspektive für sich und ihre Familien. Ja, Menschen fliehen auch vor Hunger und Armut. Weltweit sind 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Diese Zahl können wir kaum erfassen. Diese Zahl wird hoch bleiben. Ja, wir werden hier in Deutschland viele dieser Menschen aufnehmen und ihnen eine Perspektive geben.

Wenn wir nicht wollen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, dass sie in Lkws ersticken und dass sie auf Schlepper angewiesen sind – auch diejenigen, die bei uns eine Bleibeperspektive haben, sind auf solche Wege bislang angewiesen, zum Beispiel die Syrerinnen und Syrer genauso wie die Menschen aus Afghanistan, die zu fast 100 Prozent bei uns Asylrecht bekommen –, und wenn wir die entsprechenden Bilder nicht länger ertragen können, dann müssen wir so ehrlich sein, zuzugeben, dass wir eine völlig andere Asylpolitik betreiben müssen, und zwar in Gesamteuropa; das gehört zur Wahrheit. Wir brauchen legale Wege nach Europa, wenn wir diese Bilder nicht länger ertragen und die Menschen nicht in den Tod schicken wollen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Herr Minister, Europa wird sich darüber Gedanken machen müssen, wie es die Außengrenzen sichern und gleichzeitig die Innengrenzen weiterhin transparent halten und das Schengen-System erhalten kann.

Ich sage noch etwas, was mir nicht leicht über die Lippen geht, was aber zur Wahrheit gehört. Wir wissen ganz genau, dass nicht alle Menschen, die verfolgt werden und auf der Flucht sind, zu uns kommen können. Nicht alle können kommen, und nicht alle können wir so herzlich willkommen heißen, wie wir das in den letzten Wochen und Monaten getan haben. Nicht alle Menschen können bleiben. Auch darüber müssen wir uns sehr sorgfältig Gedanken machen. Deswegen halte ich es für unbedingt erforderlich – das ist für mich eine der wichtigsten Forderungen bei den Diskussionen über die Maßnahmen, die wir demnächst beschließen und ergreifen werden –, die Asylverfahren zu beschleunigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Menschen müssen schnell eine Antwort darauf bekommen, ob sie hier bleiben dürfen oder ob sie unser Land wieder verlassen müssen, ob sie hier Schutz bekommen oder nicht. Für diejenigen, die hier Schutz bekommen und denen wir hier Frieden und eine Perspektive geben, müssen wir mehr und schneller etwas tun, wenn es um ihre Integration geht. Diese Menschen dürfen wir nicht vertrösten und ihnen sagen: Geduldet euch! – Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, Herr Minister, dass das nicht von heute auf morgen geht. Aber auch hier müssen wir schneller und besser werden, sodass die betreffenden Menschen eine Perspektive bekommen.

Wir stehen vor einer großen Herausforderung. Aber ich sage heute genauso deutlich: Wir sind nicht überfordert. Wir schaffen das in Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

Wir können das mit einer gemeinsamen gewaltigen Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen schaffen. Auch in Europa ist eine gemeinsame Kraftanstrengung notwendig. Wir legen in der heutigen Debatte dafür die Grundlagen. Der Haushalt, über den wir in erster Lesung beraten, ist schon jetzt Makulatur. Wir werden in den nächsten Tagen und Wochen darüber diskutieren, an welchen Stellen wir mehr Mittel brauchen und wie wir aufstocken. Aber wir bringen nun ein gutes Paket auf den Weg. Ich begrüße ausdrücklich die Beschlüsse des Koalitionsausschusses von Sonntagabend. Ich halte das für ein hervorragendes Papier. Auf sieben Seiten steht viel Richtiges und Wichtiges. Für mich stellt dieses Papier eine gute Grundlage für die weitere Diskussion und die vor uns liegende gewaltige Kraftanstrengung dar.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Neben Aufnahme, Unterbringung und gesundheitlicher Versorgung der Flüchtlinge halte ich – wie bereits angedeutet – kürzere und schnellere Verfahren für erforderlich. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Mittel für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge weiter aufstocken. Wir werden noch mehr Entscheiderinnen und Entscheider brauchen, vermutlich sogar noch mehr, als wir bereits beschlossen haben. Auch ich habe keine Glaskugel; aber es ist absehbar, dass noch mehr Menschen kommen, und diese Menschen brauchen eine schnelle Entscheidung.

Ich begrüße ausdrücklich, dass die SPD-Forderung aufgenommen wurde, bei der Bundespolizei ganz kräftig aufzustocken, nämlich um 3 000 Stellen. Das ist eine richtige und wichtige Entscheidung. Die Bundespolizei braucht unsere Unterstützung. Sie leistet gute Arbeit und kann auch hier einen ganz wichtigen Beitrag leisten. Mit diesen 3 000 Stellen legen wir dafür eine gute Grundlage.

Ich habe es schon angedeutet: Wir müssen noch mehr tun für die Integration derjenigen in den Arbeitsmarkt, die bleiben können, und auch für die Sprachförderung.

Ich möchte zu einem Punkt kommen, der mir in dieser Debatte ebenfalls sehr wichtig ist. Ich sagte schon: Nicht alle können kommen; nicht alle können bleiben. Aber wir müssen uns hier im Deutschen Bundestag weiter darüber unterhalten, dass viele Menschen zu uns kommen, die vor Hunger, wirtschaftlicher Not und Armut fliehen, die für sich und ihre Familien eine Perspektive wollen und die nicht politisch verfolgt sind, aber trotzdem in unserer Gesellschaft, in unserem Land eine Perspektive bekommen können. Darüber müssen wir uns verständigen; auch das gehört zur Politik für Flüchtlinge und zum Thema Einwanderung. Ich wünsche mir, dass dies der Auftakt zu einer Debatte darüber ist, wem wir über diejenigen hinaus, die ohnehin kommen, eine Perspektive geben. Denn wir können unseren Wohlstand, die Lebensqualität unserer Gesellschaft nur sichern, wenn wir Einwanderung haben. Einwanderung ist essenziell erforderlich für unsere Gesellschaft. Zu uns kommen viele Menschen, auch solche, die nicht politisch verfolgt sind, die qualifiziert sind, die hoch motiviert sind, die lernen wollen, die unsere Sprache sprechen wollen, die sich in unsere Gesellschaft integrieren wollen, die arbeiten wollen, die ein neues Leben suchen und eine neue Perspektive. Auch sie sollten wir herzlich willkommen heißen.

Ich möchte noch eine Bemerkung zum Thema „Rechtsextremismus und Hass“ machen. Das ist natürlich die Kehrseite dessen, worüber wir zuletzt gesprochen haben. Was die Willkommenskultur angeht, haben wir jetzt eine ganz andere Situation als Anfang der 90er-Jahre. Aber während wir über unsere Willkommenskultur sprechen, brennen Unterkünfte für Flüchtlinge, werden Anschläge verübt. Deswegen brauchen wir – das ist heute schon gesagt worden; ich erwähne es noch einmal – ein konsequentes Vorgehen. Notwendig sind sofortige Aktivitäten der Polizei, der Staatsanwaltschaft. Wir müssen auch in diesem Bereich die Mittel aufstocken, damit wir Hass- und Gewalttätern keinen Platz einräumen. Dafür ist in unserer Gesellschaft kein Raum. Auch da müssen wir konsequent handeln, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das gehört zur Wahrheit hinzu.

Mir ist ein weiterer Aspekt sehr wichtig: Wenn wir für Vielfalt, Toleranz und unsere Demokratie werben wollen, dann müssen wir mehr in Prävention, in unsere Demokratie, in das, was unsere Demokratie ausmacht, investieren, und dann müssen wir auch sämtliche Projekte, Programme und Träger, die die Demokratie befördern, besser und konsequenter ausstatten. Auch beim Haushalt der Bundeszentrale für politische Bildung kann vielleicht eine Schippe draufgelegt werden; denn auch sie leistet viel für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD)

Ich freue mich, wenn wir hier große Einigkeit haben, und ich freue mich auf die weiteren Debatten. Ich denke, wir haben hiermit eine gute Grundlage für die weitere Diskussion über Flüchtlinge und Einwanderung gelegt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Anja Hajduk, Fraktion BÜNDNIS 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5752773
Wahlperiode 18
Sitzung 119
Tagesordnungspunkt Innen
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta