25.09.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 125 / Tagesordnungspunkt 22

Marcus WeinbergCDU/CSU - Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Müller, es waren viele Punkte, die Sie angesprochen haben – aber leider kein Treffer. Robert Lewandowski war am Dienstag in acht Minuten erfolgreicher.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder (CDU/CSU): Da hat er recht!)

Ich will gerne zu dem kommen, was die Ministerin zu Anfang angesprochen hat. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten über dieses große Thema diskutiert – das ist möglicherweise die größte Herausforderung für die deutsche Gesellschaft in den letzten 60 Jahren –, und wir haben strittig darüber diskutiert. Wir erkennen tatsächlich Chancen und sehen die Begeisterung vieler Menschen in Deutschland, die sagen: Wir müssen für diese Menschen, die aus Krisen- und Kriegsgebieten kommen, etwas tun. – Auf der anderen Seite – das gehört zur Ehrlichkeit – gibt es aber auch Sorgen, Nöte, Ängste, teilweise beginnende Überforderung, gerade im Bereich der Jugendhilfe.

Am Ende dieser Woche der strittigen Diskussionen gibt es, glaube ich, zwei wesentliche Entscheidungen, durch die wir unsere Handlungsfähigkeit zeigen: Gestern haben wir die erste kluge und gute Entscheidung getroffen, dass der Bund den Kommunen und den Ländern zusätzliche finanzielle Mittel bereitstellt. Die zweite kluge Entscheidung zeigt sich in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf, mit dem wir die Rahmenbedingungen weiter verbessern werden.

Ich glaube, insgesamt können wir sagen: Nach einer intensiven Diskussion stehen wir heute davor, das Thema Integration endlich nachhaltig auf den Weg zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Unsere Handlungsfähigkeit ist also bewiesen. Der Bund hat verstanden und auch gehandelt.

Jetzt geht es darum, dass wir das gerade mit Blick auf die Familien, die Kinder und die Jugendlichen, die – Sie haben es erwähnt – in einer besonderen Situation sind, gestalten. Unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit – es gab viele Epochen der Migrationsbewegung – müssen dabei mit einfließen. Wir müssen jetzt weiterhin Handlungsfähigkeit zeigen, Chancen erkennen, Herausforderungen definieren, gleichermaßen fördern und fordern und dabei auch mit viel Ehrlichkeit und im Sinne einer fördernden und fordernden Integration von Anfang an gestalten.

Im Zentrum stehen dabei die jungen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Die Kinder werden immer jünger. Es sind nicht mehr nur 16- oder 15-Jährige, sondern mittlerweile kommen 12-, 10- und sogar 9-Jährige nach Deutschland. Die meisten von ihnen werden auch in 10 oder 15 Jahren noch in Deutschland leben. Die Frage muss für uns doch lauten: Was passiert in den nächsten 10 bis 15 Jahren unter dem Gesichtspunkt der Integration? Wie geht es den heutigen Kindern dann, wenn sie junge Erwachsene sind, wenn sie 25 oder 30 Jahre alt sind? Sind sie dann gut ausgebildet? Haben sie dann hier in Deutschland eine Sprachkompetenz? Konnten sie sich in den Arbeitsmarkt integrieren? Haben sie ihr Lebensumfeld so organisiert, dass sie ihr Leben auch gestalten können? Verstehen sie die Prinzipien in Deutschland, wie Freiheit? Richten sie sich nach der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, zu der zum Beispiel auch die Gleichberechtigung von Frauen und Männern gehört? Haben sie das übernommen und akzeptiert? Tragen sie das auch in sich? Sind sie bereit, der deutschen Gesellschaft auch etwas zurückzugeben?

Oder aber – das wäre die Alternative – ist es so, dass sie im Bildungsbereich nicht angekommen sind, dass sie arbeitslos sind und unter Armut leiden und dass sie sich von dieser Gesellschaft möglicherweise entfernt haben? Hier sehe ich die große Gefahr, dass es dann, wenn wir jetzt nicht richtig handeln, eine Gruppe von 25- bis 30‑Jährigen geben wird, die sich von der Gesellschaft distanziert hat, ihr eigenes Leben nicht organisieren kann und sich möglicherweise radikalisiert – auch über besondere religiöse Zugänge.

Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt nach dieser Begeisterung und Unterstützung, die richtig und gut waren, entsprechende Strukturen schaffen und eine nachhaltige Integration organisieren. Das ist die Voraussetzung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Zahlen wurden angesprochen: Mittlerweile kommen sechsmal so viele junge unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als in der Vergangenheit zu uns. Im Jahre 2015 werden es insgesamt wahrscheinlich 30 000 sein. Diese Kinder und Jugendlichen haben Schlimmes erfahren und sind traumatisiert. Dadurch, dass sechsmal so viele wie in den vergangenen Jahren bei uns aufgenommen werden, kommt auf die Jugendämter und all diejenigen, die in der Jugendhilfe verantwortlich sind, eine immense Aufgabe zu.

Es wurde hier zu Recht noch einmal denjenigen gedankt, die diese Aufgabe in den letzten Monaten schon gemeistert haben. Ich weiß das aus Hamburg; aber auch die Jugendämter in München, Dortmund und Köln, die mit der Jugendhilfe ohnehin schon eine besondere Aufgabe haben, erleben das ja tagtäglich. Deswegen war es jetzt auch wichtig, dass wir vonseiten des Bundes reagiert und uns überlegt haben, wie wir das finanziell unterlegen und in einen Gesetzentwurf packen können.

Ich stimme ausdrücklich zu: Dieses Gesetz muss so schnell wie möglich kommen. Hamburg, Bayern und auch andere haben viel geleistet, aber es muss jetzt endlich eine gerechtere Verteilung im Sinne des Kindeswohls geben. Herr Müller, das ist entscheidend: Das Kindeswohl muss immer an erster Stelle stehen. Das ist auch unstrittig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es war richtig und natürlich auch verständlich, dass die Ministerpräsidenten am 11. Dezember 2014 gesagt haben: Wir müssen hier endlich ein Gesetz auf den Weg bringen. – Den entsprechenden Gesetzentwurf beraten wir heute.

Ich möchte das noch einmal ausdrücklich betonen: Es gibt nicht nur die UN-Kinderrechtskonvention, sondern bei uns gilt ohnehin der Grundsatz, dass wir Kinder und Jugendliche gleichbehandeln. Es wird nicht gefragt: „Wo kommst du eigentlich her?“, sondern: Wo spiele ich mit dir zusammen? – Unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls bieten wir ihnen entsprechende Möglichkeiten.

Ich glaube, unser Gesetzentwurf ist hier richtig angelegt, weil die Verteilung endlich anders organisiert wird. Wir verteilen nicht nach dem Königsteiner Schlüssel zwischen den Kommunen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir können aber erwarten, dass die Bundesländer, die möglicherweise noch nicht so viel aufgenommen, teilweise aber die entsprechenden Strukturen haben, jetzt auch in die Verantwortung genommen werden.

Es wird dann so sein, dass, wenn Hamburg entlastet wird, Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg natürlich mehr Jugendliche aufnehmen müssen. Die Verteilung zwischen den Kommunen wird von den Ländern geregelt. Sie wissen, wo ihre Strukturen sind. Sie wissen, wie die Jugendhilfe in der Kommune aufgestellt ist. Die Kommunen, die noch nicht so weit sind, werden sicherlich nicht belastet werden. Es ist aber, glaube ich, auch gut so, dass wir hier Strukturen aufbauen und unterstützen. Ich finde – das sage ich noch einmal –, dass die finanzielle Leistung des Bundes in diesem Zusammenhang wirklich ein hervorragender Aufschlag ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Es gibt im Gesetz weitere Punkte, die wichtig sind. Das gilt gerade für das Thema der Familienzusammenführung, was auch in der UN-Kinderrechtskonvention bereits formuliert ist. Wichtig ist es aber, noch einmal ein Signal zu geben, indem wir sagen: Es ist für das Kind immens wichtig, dass es sich dort aufhalten kann, wo sich Familienangehörige – zum Beispiel Onkel oder Tante – befinden. Es gibt den besonderen, exemplarischen Fall eines Neunjährigen in Hamburg: Dessen Vater wurde in Damaskus umgebracht. Seine Mutter war nicht mehr in der Lage, zu flüchten. Sie hat zu dem Onkel gesagt: Nimm das Kind mit, bringe es in Sicherheit, bringe es nach Deutschland. – Es muss natürlich gewährleistet sein, dass diese Kinder nicht von ihrer Bezugsperson getrennt werden.

(Beifall der Abg. Petra Crone [SPD])

Ich glaube, es ist wichtig, dass das noch deutlicher im Gesetz herausgearbeitet wird.

Was das Thema Mindestalter angeht, geht es darum, im Asyl- bzw. Ausländerrecht die Handlungsfähigkeit zu betrachten. Hier wird das Alter von 16 Jahre auf 18 Jahre hochgesetzt. Die Maßnahmen der Jugendhilfe galten schon immer für die unter 18‑Jährigen. Daran wird sich nichts verändern. Da wird auch nichts ausgebaut werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt bietet dieses Gesetz den ersten Rahmen. Wir werden das Asylgesetz bzw. die Pakete des Asylgesetzes in der nächsten bzw. übernächsten Sitzungswoche intensiv besprechen. Das ist der Rahmen, der gesetzt werden muss.

Jetzt wird es darauf ankommen, das Thema Nachhaltigkeit zu begleiten. Im Übrigen wollen und sollten wir das Thema mit den Ländern und Kommunen gemeinsam begleiten; denn es stehen jetzt ein paar wichtige Dinge an. Es ist gut und richtig, den Bundesfreiwilligendienst um 10 000 Plätze zu erweitern. Es muss aber gewährleistet sein, dass sich diejenigen, die das anbieten, in der Arbeit mit Flüchtlingen auskennen, dass sie qualifiziert werden. Wir müssen verhindern, dass Salafisten möglicherweise versuchen, sich hier irgendwie einzuschleichen. Das heißt, jetzt wird es darauf ankommen, die guten Dinge zu gestalten. Das betrifft den Bundesfreiwilligendienst in Bezug auf die 10 000 Stellen. Es betrifft auch andere Fälle.

Wir wollen genau sehen, wie die Kinder jetzt in die Kinder- und Jugendhilfe bzw. in die Kindertagesstätten bzw. Schulen kommen. Denn eines darf nicht passieren: dass die vielen Menschen in diesem Land, die sagen „Jawohl, wir wollen hier helfen“, dann erkennen: Oh, es kommen mehr Flüchtlingskinder in die Kitas. – Sie müssen auch sehen, dass mehr Erzieherinnen und Erzieher in die Kitas kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Auch müssen sie erkennen, dass jetzt mehr Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden. Auch das ist dann – ich sage das ganz deutlich – eine Verantwortung der Länder. Wir haben ein großes, wichtiges Paket – das ist an dieser Stelle wirklich entscheidend – geschnürt. Die Umsetzung aber muss dann auch erfolgen. Das werden wir auch begleiten. Denn wir sind nicht diejenigen – schönen Gruß an den Bundesrat! –, die das Geld am Ende zur Verfügung stellen, sondern wir sind auch diejenigen, die hier unserer Verantwortung gerecht werden wollen.

Die Familienzusammenführung habe ich bereits angesprochen. Es gibt aber noch weitere Themen, die auch wichtig sind. Wir werden erst jetzt erkennen, dass es gewisse Veränderungen gibt. Ich will zwei Themen ansprechen.

Das muss jetzt aber ganz zügig gehen.

Herr Präsident, da ich ja zügig oder schnell sprechen kann, werde ich es versuchen. – Ich will das Thema Frauen ansprechen, wo wir eine besondere Verantwortung haben. Und ich will auch das Thema Einhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ansprechen. – Das will ich hiermit angesprochen haben.

Ich glaube, es ist ein guter Entwurf. Wir alle sind jetzt aufgefordert, diesen Entwurf schnell umzusetzen und dann auch zu schauen, dass wir das Thema Integration von Anfang an – jetzt auf den Weg bringen; denn wir haben eine Riesenchance. Nutzen wir diese Chance. Diskutieren wir ehrlich darüber, was zu tun ist. Ich freue mich auf die Beratungen in den nächsten Wochen und Monaten. Wir haben – das wissen wir – noch viel zu tun. Das wollen wir aber für die Flüchtlinge und die Menschen in Deutschland angehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Katja Dörner hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5854211
Wahlperiode 18
Sitzung 125
Tagesordnungspunkt Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
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