Mark HauptmannCDU/CSU - Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2015
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Ich freue mich, dass der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen heute dieser Debatte beiwohnt. – Lieber Thüringer Landsmann Roland Jahn, seien Sie herzlich willkommen bei dieser Debatte im Deutschen Bundestag. Verehrte Gäste und Freunde auf den Tribünen!
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident, eine Regierungserklärung sieht schon anders aus. Wir haben hier einen Gregor Gysi erlebt, der wie ein Hobbypsychologe die Geschichte verklären will, wie er die Westanbindung Deutschlands ein Stück weit infrage stellt, das war schon ein starkes Stück, Herr Kollege. Deswegen möchten wir Sie gleich einmal daran erinnern – damit Sie das auch nach Ihrer letzten Rede als Fraktionsvorsitzender nicht vergessen –: Es waren die Adenauers, die Brandts und die Kohls, die die Einheit herbeigeführt haben und nicht die Lafontaines, die Honeckers und die Gysis dieser Republik.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Es war das Volk!)
Liebe Kollegen, wir feiern morgen, am 3. Oktober 2015, auch zentral hier, direkt vor dem Reichstagsgebäude, unser silbernes Einheitsjubiläum, 25 Jahre deutsche Einheit. Dass Ostdeutschland in den letzten 25 Jahren enorm aufgeholt hat, das bestreitet niemand, nicht einmal Herr Gysi. Was mich an dieser Debatte allerdings immer wieder stört, ist der nostalgische Aspekt, der ein Stück weit mitschwingt, auch in Ihren Worten, wodurch unsere geschichtliche Leistung ein Stück weit kleingeredet und auch verklärt wird.
Die immensen Anstrengungen der Menschen in Ostdeutschland, die Solidarität der Bürger in Westdeutschland, die Integration eines vereinigten Deutschlands innerhalb der Europäischen Union quasi über Nacht, der wirtschaftliche Erfolg, den wir heute im Jahr 2015 feiern – all das sind Beispiele und Kennzeichen dafür, dass wir hier einen Transformationsprozess erfolgreich gemeistert haben, der einmalig ist auf der ganzen Welt. Darauf können wir stolz sein und sollten es auch.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deswegen geht es heute bei dieser Debatte nicht nur um den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit – die Staatssekretärin hat ihn vorgestellt –, sondern auch um einen Antrag seitens der Koalitionsfraktionen, der die deutsche Einheit als das würdigt, was sie ist, nämlich ein Erfolg und ein Geschenk unserer deutschen Geschichte. 80 Prozent der Menschen in den neuen Ländern erleben das auch persönlich so; sie erleben quasi die Wiedervereinigung als das größte historische Glück, das sie erreicht haben.
Mit den Worten „Wir sind das Volk“ haben die Ostdeutschen Freiheit und ein besseres Leben angestrebt. Sie waren auch in den schwierigen Jahren, die es nach der Wiedervereinigung ohne Zweifel gab, in diesem Transformationsprozess bereit, hart anzupacken und daran mitzuwirken, die deutsche Einheit zu einem gesamtdeutschen Erfolg zu machen. Diesen können wir heute feiern.
Das hört sich immer sehr abstrakt an; dabei ist es unglaublich konkret, wenn es um die Lebensqualität der einzelnen Menschen geht, wenn es um den Umweltschutz in den neuen Ländern geht, wenn es um die bessere Anbindung Deutschlands in Europa durch eine moderne Infrastruktur geht und wenn es darum geht, wie es eine innovative Wirtschaft geschafft hat, sich in diesem Transformationsprozess von der Miss- und Planwirtschaft hin zur sozialen Marktwirtschaft zu verändern. Das sind ganz konkrete Leistungen, die wir hier heute würdigen wollen.
Das schönste Geschenk haben sich letztendlich die Menschen selbst gegeben. Denn dank der Lebens- und Arbeitsbedingungen und der medizinischen Versorgung ist die Lebenserwartung in Ostdeutschland heute sieben Jahre länger, als sie noch 1989 war. Das heißt, die Menschen profitieren selber davon und können tagtäglich nicht nur bei Besuchen von Bundesgartenschauen und Landesgartenschauen erleben, dass blühende Landschaften heute Realität geworden sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Ogottogott!)
Dass wir es geschafft haben, in der Infrastruktur Lücken zu schließen und marode Infrastruktur zu beseitigen – über die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ wurden über 40 Milliarden Euro investiert und Schienenprojekte und Autobahnprojekte aufgelegt –, zeigt doch letztendlich, dass in vielen Bereichen unglaublich viel passiert ist. Dies kommt heute unserem gesamten Land zugute und nicht nur den Ostdeutschen.
Wachstum und Innovation sind ein Bereich, in dem in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt wurden, und das trotz des Strukturwandels, den wir in den letzten Jahren durchschritten haben. Dieser Aufholprozess, den die neuen Bundesländer erlebt haben, zeigt, dass hier ein gewaltiger Fortschritt erzielt wurde. Wir haben heute bei der Zahl der Arbeitslosen einen historischen Tiefstand: 750 000 Menschen in den neuen Ländern sind noch arbeitslos; jeder Einzelne von ihnen ist zu viel. Aber das ist der niedrigste Stand, den wir seit 25 Jahren haben. Die Arbeitslosigkeit ist 18 Prozent geringer als 1991. Die Arbeitslosigkeit in meinem Südthüringer Wahlkreis liegt mit 5 Prozent knapp 1,5 Prozentpunkte unterhalb des deutschen Bundesdurchschnittes. Das sind doch Leistungen, die wir nach außen tragen können, auf die wir stolz sein können, liebe Freunde.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Diese Erfolge sehen wir nicht nur im Bereich der Lebensqualität und nicht nur im Bereich des Umweltschutzes – knapp 5 Prozent des Staatsterritoriums in den neuen Ländern haben wir als Biosphärenreservate und Naturparks unter besonderen Schutz gestellt –, sondern wir sehen sie auch bei über 94 000 Arbeitsplätzen in innovativen Bereichen der Forschung und Entwicklung und bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sich heute teilweise als Hidden Champions zu Weltmarktführern entwickelt haben. Wer hätte vor 25 Jahren gedacht, dass wir Weltmarktführer in den neuen Ländern haben?
(Zuruf von der LINKEN: Ja, warum denn nicht?)
Das ist ein Erfolg, den wir nicht kleinreden sollten. Wir unterstützen ihn vielmehr mit den Instrumenten unserer staatlichen Förderung. ZIM, INNO-KOM-Ost, aber auch die Programmfamilie „Unternehmen Region“ zeigen, dass wir als Staat unserer Verantwortung gerecht werden, weiterhin einen erfolgreichen wirtschaftlichen Aufstieg zu gewährleisten.
Sehr geehrte Damen und Herren, eines darf man nicht vergessen: Wir sollten heute mit dieser Debatte keinen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der SED‑Diktatur ziehen. Werter Herr Kollege Gysi, man kann 25 Jahre in verschiedenen Bereichen und für verschiedene Aspekte durchaus nutzen. Ich empfinde es schon ein Stück weit als eine Schande, dass Sie und Ihre Kollegen als Nachfolgepartei der SED die Verantwortung für Stacheldraht, Schießbefehl und Schlussverkauf in der Planwirtschaft nicht aufgearbeitet, nicht analysiert und nicht geradegerückt haben.
(Widerspruch bei der LINKEN)
Es ist letztendlich ein Stück weit eine Schande der deutschen Geschichte, dass Sie diese 25 Jahre nicht genutzt haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Junge, Junge!)
Sehr geehrten Kollegen, das ist nicht abstrakt. Das ist sehr konkret. Die Mehrheit Ihrer Regierungskoalition im Thüringer Landtag beträgt eine Stimme, und das bei zwei ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeitern der Stasi. Das ist die Realität im Jahr 2015.
(Thomas Jurk [SPD]: Das ist Demokratie! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Eine Schande ist das! – Zurufe von der LINKEN)
Hier werden Sie Ihrer Verantwortung nicht gerecht. Die Stasimitarbeiter von gestern sind heute noch in maßgeblicher Verantwortung mit dabei. Das ist ein Stück weit eine Schande.
Herr Kollege Hauptmann, darf die Kollegin Wawzyniak Ihnen eine Zwischenfrage stellen?
Gerne.
Herr Kollege Hauptmann, Sie haben gerade gesagt, dass die Vergangenheit nicht aufgearbeitet worden ist. Nun haben wir mit der Drucksache 18/3145 einen Gesetzentwurf zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften und zur SED‑Opferrente vorgelegt, in dem wir unter anderem vorgeschlagen haben, dass auch diejenigen unter das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz fallen sollten, die Opfer von Zersetzungsmaßnahmen des MfS waren. Diesen Gesetzentwurf haben Sie mit breiter Mehrheit abgelehnt. Der Kollege Vaatz hat sich dazu hinreißen lassen, zu sagen, dass dieser Gesetzentwurf nur eingebracht worden ist, um den Staat zu zerstören. Wie verträgt sich das in Ihren Augen damit, dass die Vergangenheit aufgearbeitet werden soll?
(Beifall bei der LINKEN)
Werte Frau Kollegin, wenn der Thüringer Landtag feststellt, dass zwei ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi parlamentsunwürdig sind,
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Danach hat sie nicht gefragt! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie hat etwas ganz anderes gefragt!)
dann erwarte ich von einer Partei – und auch von einem Regierungsbündnis –, dass sie ihre Mehrheit nicht von diesen zwei Stimmen abhängig macht, sondern einen ganz klaren Schlussstrich unter die Geschichte zieht. Diesen Schlussstrich haben Sie nicht gezogen.
(Ulli Nissen [SPD]: Das war doch gar nicht die Frage! – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Sie können nicht antworten! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Kriege ich auch eine Antwort auf die Frage?)
Von daher sind die von Ihnen angesprochenen Punkte keineswegs ernst zu nehmen.
Herr Gysi, Sie haben uns ein langes Pamphlet vorgetragen und gesagt, wo Sie überall Veränderungen erwarten. Wir wünschen uns als Veränderung, dass Sie damit anfangen, die Nationalhymne hier in diesem Haus mitzusingen. Da fängt es doch bereits an!
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also bitte, das ist doch unwürdig! – Tino Sorge [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ich schicke Ihnen gerne mal den Text! Und den vom Grundgesetz gleich mit!)
– Bleiben Sie doch ganz ruhig. Wer sich aufregt, hat permanent unrecht; das müssten Sie doch wissen.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Peinlich!)
Sehr geehrte Damen und Herren, die Frau Kollegin hat mich gefragt, was wir ganz konkret machen, um den Punkt der Erinnerungskultur zu würdigen; das war ja Ihre Frage. Da hilft ein Blick in den Antrag, den wir heute verabschieden. Denn wir wollen mit diesem Antrag dafür sorgen, dass auch weiterhin eine lebendige Kultur der Erinnerung gepflegt wird, wir wollen Wissensdefizite, gerade der jüngeren Bevölkerung, bekämpfen, und wir wollen – das ist der zentrale Punkt – das Gedenken an die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft fortführen, und das mit einem eigenen Denkmal an einem zentralen Ort hier in Berlin. Das ist Bestandteil dieses Antrags. Wir verpflichten uns in dieser Legislaturperiode zu der Initiative für dieses Denkmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft. Das ist die große Leistung, die diese Regierungskoalition heute mit diesem Antrag erbringt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie müssen zum Schluss kommen, Herr Kollege.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Begonnen habe ich mit den Worten „Wir sind das Volk“, dem zentralen Ausspruch der Bürgerinnen und Bürger, die diesen Transformationsprozess herbeigesehnt und auch bewältigt haben. Heute können wir auch den zweiten Teil dieser zentralen Aussage von 1989 bestätigen: Ja, wir sind auch ein Volk, und wir gehen die Herausforderungen der Zukunft, egal ob in Ost oder West, gemeinsam als ein Volk an. Das ist letztendlich die wunderschönste und größte Errungenschaft, die wir nach 25 Jahren deutscher Einheit feiern können.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Stephan Kühn ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 128 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2015 |