15.10.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 130 / Tagesordnungspunkt 9

Christian Schmidt - Milchmarkt

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Milch ist im Augenblick billig. Sie ist zu billig. Unsere hochwertigen Lebensmittel sind einen besseren Preis wert. Von der guten Milch werden Verbraucher satt. Es müssen aber auch die Milcherzeuger satt werden können. Wir alle wissen, dass bei diesen Preisen – das gilt übrigens nicht nur für Milch, sondern auch für Schweinefleisch – und durch Trockenheit Bauern in wirtschaftliche Schieflage geraten können und geraten sind. Das ist nicht gut.

Landwirte, auch mit mittleren und kleinen Betrieben, brauchen gute Perspektiven. Deswegen ergreifen wir sowohl kurz- als auch mittelfristig Maßnahmen, um den Markt und die Einkommen zu stabilisieren.

Jetzt geht es allerdings vor allem um die Linderung der akuten Probleme. Deswegen stellen wir den Landwirten kurzfristige Liquiditätshilfen zur Verfügung. Ich würde gar nicht darüber reden und fragen, ob man das mag oder nicht – man braucht es. Deswegen soll das sehr schnell umgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich darf bei der Gelegenheit sagen: Wenn wir Bilanz ziehen, dann müssen wir feststellen, dass die Flexibilität bei den Direktzahlungen, die im Rahmen der Agrarpolitik an die Milcherzeuger gehen und die einen Teil des Einkommens darstellen, zu wünschen übrig lässt. Ja, wir sind dieses Jahr spät dran. Das ist deswegen so, weil sich die neue Agrarpolitik mit Greening, Junglandwirteprämie und anderen neuen Elementen erst einpendeln muss.

Ich wäre bereit gewesen, die Direktzahlungen aus Mitteln des Bundeshaushaltes vorzeitig zu finanzieren. Wenn ich aber erlebe, dass alle 16 Bundesländer, die dafür die Verantwortung tragen, die weiße Fahne hissen und mir sagen, dass sie administrativ nicht in der Lage sind, den Tanker Direktzahlungen auf einen schnelleren Kurs zu bringen bzw. den Kurs zu korrigieren, dann haben wir, meine Damen und Herren, auch hier eine Baustelle bzw. ein Problem, das weit über die Milch hinausgeht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen uns die Strukturen der bürokratisierten europäischen Agrarpolitik ernsthaft und schnell vornehmen. So kann das nicht weitergehen.

(Beifall des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD])

Mittel- und langfristig müssen die Strukturen anpassungsfähiger werden. Manches muss ausgebaut werden – auch die Exportförderung, zu der ich noch kommen werde.

In Brüssel wurde, was die Soforthilfe angeht, über 500 Millionen Euro verhandelt. Die Kommission hat sie aufgeteilt. Der Anteil von 70 Millionen Euro für unser Land ist der größte. Das ist von Bedeutung für die Direkthilfe. Ich habe ein Modell vorgestellt, wie diese 70 Millionen Euro so schnell wie möglich bei den Landwirten ankommen können. Dabei ging es mir darum, die größtmögliche und schnellstmögliche Wirkung zu erzielen. Landwirte, die von ihrer Hausbank bereits ein Liquiditätshilfedarlehen erhalten haben, bekommen dazu einen direkten Zuschuss von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Das ist die Liquiditätshilfe, Geld, das direkt bei den Bauern ankommt. Das Darlehen muss unter dem normalen Satz verzinst werden – es müssen 1 bis 1,5 Prozent weniger sein –, es muss im ersten Jahr tilgungsfrei sein, und es wird eine Laufzeit von vier bis sechs Jahren haben.

Dieses Angebot – ein ähnliches Modell hat die Landwirtschaftliche Rentenbank bereits seit Juli für die „Superabgabe“ laufen – wird dann durch konkretes Cash in Form der Liquiditätshilfe noch befördert und beschleunigt, sodass de facto eine Regelung vorhanden ist, die dazu führt, dass die Konteninhaber, auf deren Konten gegenwärtig rote Zahlen sind, jedenfalls für die nächste Zeit wieder flüssig werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Natürlich ist mir klar, dass das die Probleme nicht löst. Aber wer schnell hilft, hilft doppelt. Und dann lasst uns weitersehen, was wir noch tun müssen.

Ich will darauf hinweisen, dass wir den delegierten Rechtsakt der Europäischen Union noch in dieser Woche erwarten. Dann werde ich sofort die Eilverordnung auf den Weg bringen, sodass alles, was die Antragstellung betrifft, noch im Laufe dieses Jahres über die Bühne gehen kann.

Durch die Kopplung unserer Zuschüsse an die Darlehen stellen wir auch sicher, dass das Geld tatsächlich ankommt. Die Sorge, dass die Banken besonders viel verdienen, ist damit unberechtigt.

Wir schaffen Marktentlastung durch ein neues, attraktives Programm der privaten Lagerhaltung für Milch und Käse – diese wurde, was Magermilchpulver betrifft, bereits stark in Anspruch genommen – sowie ein verbessertes und praktikables Programm der privaten Lagerhaltung für Schweinefleisch, wenngleich ich nicht verhehlen will, dass das Beispiel der privaten Lagerhaltung für Schweinefleisch zeigt, dass man mit privater Lagerhaltung, wenn sie nicht klug angelegt ist, Probleme allenfalls in die Zukunft verschiebt, sie aber nicht löst.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Genau das ist es! Nicht mehr und nicht weniger!)

Wir müssen aber auch die Fragen stellen: Was macht die Landwirtschaft zukunftsfähig? Wie schaffen wir anpassungsfähige Strukturen? Was sichert unseren Milchbauern in Zukunft ein gutes Auskommen? Natürlich ist es gut, zu wissen, dass die EU-Marktbeobachter davon ausgehen, dass sich der Milchpreis in den nächsten Jahren bei 35 Cent einpendeln wird; das ist die Grundlage. Aber auch dann wird es Ausschläge nach oben und unten geben. Natürlich sind wir gespannt-optimistisch, dass die Entwicklung der – jedenfalls bei den Produkten – wieder anziehenden Preise mit einem gewissen Verzug auf die Rohmilchpreise – so sind unsere Hoffnungen und Erwartungen – übergeht. Aber das löst natürlich das Problem nicht. Wir wollen daher die Ausschläge mit marktgeeigneten Mitteln abfedern. Wir brauchen einige Grundlagen dafür: erstens eine hohe Qualität und Regionalität unserer Produkte, zweitens vorausschauende Marktbeobachtung und ein Sicherheitsnetz und drittens weltweite Wettbewerbsfähigkeit. Die Milchquote ist Vergangenheit, und das ist gut so. Das soll auch so bleiben. Ich kenne niemanden, der in Wahrheit der Milchquote eine Träne nachweint.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])

Mein Dank gilt bei der Anpassung vor allem den Landwirtinnen und Landwirten sowie denjenigen, die den Weg und den Übergang – weg von der Milchquote, hin zu einem neuen Regime, das nun schon seit einigen Jahren besteht – vorbereitet und aktiv mitgestaltet haben. Auch von Verbandsseite wurde dieser Weg – Dank an den Deutschen Bauernverband – sehr gut begleitet und unterstützt.

(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Weg an den Rand des Abgrunds!)

Ich bin überzeugt: Die Marktorientierung wird den Milchmarkt langfristig stabilisieren;

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht passiert aber das Gegenteil!)

denn mit unserer jetzigen Situation eines geringen Außenschutzes lassen sich die Milchmenge und der Milchpreis nicht vom Weltmarkt entkoppeln. All die Romantiker, die sagen: „Lasst uns doch ohne Außenschutz so etwas versuchen“ – als ob wir unseren eigenen Markt alleine regieren könnten –, weise ich auf das hin, was die Kollegin Tackmann im Hinblick auf die Subventionierung von Exporten gesagt hat. Die sogenannten Exporterstattungen sind Gift für die Länder der Dritten Welt. Ich will und werde sie nicht akzeptieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir exportieren das doch dahin!)

Ich will, dass dorthin exportiert wird, wo zahlungskräftige Kunden sind. Dass es zahlungskräftige Kunden zum Beispiel in den USA und China gibt, ist doch nicht von der Hand zu weisen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will keine Verwischung der Fragen.

Die Wertschöpfungskette muss sich organisieren.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter?

Mit Interesse, Frau Kollegin Bulling-Schröter.

Danke schön, Herr Minister. – Ich möchte Sie Folgendes fragen: Ich habe in einem Zeitungsartikel gelesen, dass die USA Zölle auf Butterprodukte aus der EU verhängen. Der Hintergrund ist, dass nach Auffassung der USA alles zu billig ist und dass die USA beispielsweise Milch- und Joghurtprodukte selber herstellen wollen. Wie stehen Sie denn dazu?

Vielen Dank, Frau Kollegin.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sind Sie für TTIP, oder?)

Ich habe den Artikel nicht gelesen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten aber so was lesen als Landwirtschaftsminister!)

Wenn es sich aber so, wie Sie sagen, verhält, dann ist das die beste Vorlage dafür, dass wir TTIP brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die EU wird eine High-Level Group einrichten, die sich mit Marktmodellen, aber auch mit Ideen zu Risikomanagement und Sicherungsfonds befasst. Dort bestehen keine Denkverbote. Jede Idee muss aber wirklich weiterhelfen.

Danke, dass Sie sagen: Die Partei hat immer recht. Der alte SED-Slogan würde nicht mehr funktionieren. Ich will aber auch allen Verbänden und allen, die auf diesem Gebiet unterwegs sind, sagen: Es gibt keinen, der immer recht hat. Deswegen bin ich bereit, darüber zu reden. Aber jeder muss schon den Nachweis erbringen, dass seine Idee auch wirklich greift.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das habe ich bei der Mengensteuerung bisher noch nirgendwo gesehen. Wer ehrlich zu sich selbst ist und wissenschaftliche Bewertungen liest, der kann zu keinem anderen Ergebnis kommen.

Wir müssen über viele Fragen reden, beispielsweise über Steuerungsmechanismen bei Preisanpassungen, über Versicherungsmodelle und die Frage, ob wir mit Fondslösungen abfedern können, und wir müssen über das Kartellrecht reden. Ich habe in Kürze mit dem Präsidenten des Bundeskartellamtes ein Gespräch auch über das Thema „Verkauf unter Einstandspreis“. Das ist ein Thema, das wir uns natürlich anschauen müssen. Wir werden darüber auch auf europäischer Ebene offen reden.

Ein letzter Punkt: Export. Der Export in die richtige Richtung ist wichtig. Wer ihn nicht will, der muss sagen, dass dann die Hälfte unserer Landwirte die Betriebe schließen müsste. Das will ich nicht, sondern ich will einen fairen und vernünftigen freien Handel haben. Deswegen werde ich die Mittel für das Auslandsmesseprogramm erhöhen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein allerletztes Wort noch: Wir haben heute früh das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz verabschiedet und darüber debattiert – in der Regierungserklärung hat die Kanzlerin das dargelegt –, wie wir daran arbeiten müssen, dass nicht so viele Menschen sich auf den Weg zu uns machen. Die Menschen kommen zu uns aus Flüchtlingslagern, in denen sie – Gott sei’s geklagt – deswegen leben müssen, weil sie aus ihren Häusern gebombt wurden. Wenn wir, die internationale Gemeinschaft, die wir über Überfluss reden, nicht in der Lage sind, sicherzustellen, dass die Milch zu den Menschen kommt und nicht die Menschen zur Milch, dann haben wir versagt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Milch nach Syrien, oder was heißt das jetzt? Mann, Mann, Mann!)

Deshalb werden mein Kollege Gerd Müller und ich ein nationales Programm auflegen und uns darum kümmern, dass die Mütter und ihre Kinder, die im Libanon oder woanders in den Flüchtlingslagern sind, etwas bekommen. Das ist ein richtiges Verständnis von sozialem Marktgeschehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Kollege Friedrich Ostendorff spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5975410
Wahlperiode 18
Sitzung 130
Tagesordnungspunkt Milchmarkt
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta