Claudia Roth - Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer könnte etwas dagegen haben, den Lebensstandard von Kindern zu verbessern? Wie kann es in praktischer Hilfe aussehen, die Fluchtursachen zu bekämpfen? Wie können Kinder mit internationaler Hilfe besser aufwachsen? Mit genau diesen Fragen befasst sich der Antrag unserer Koalition, den wir heute im Plenum beraten. Er befasst sich umfassend mit der Lebenssituation von Kindern – genau wie wir es immer fordern –, um nachhaltig die Lebenssituation von Kindern und damit auch von Familien zu verbessern.
Laut aktuellen Schätzungen von UNICEF sind derzeit 59 Millionen Kinder in 50 Ländern auf lebensrettende humanitäre Hilfe angewiesen. Wie diese Hilfe aussehen soll, beantwortet uns die UN-Kinderrechtskonvention, die 1989 verabschiedet wurde. In dieser ist ganz genau geregelt, welche Rechte Kinder haben. Die Konvention hat eine hohe Bedeutung, weil immerhin 195 Staaten dieser Welt mit ihr einen Vertrag geschlossen haben, in dem festgelegt wurde, wie Kinder aufwachsen und leben sollen. Der Kinderrechtskonvention sind mehr Staaten beigetreten als allen anderen UN-Konventionen, nämlich alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme der USA.
In Artikel 1 ist formuliert, dass ein „gleiches Recht für alle Kinder“ gelten soll. Wie aber soll das Recht wahrgenommen werden, wenn Armut, Hunger, keine Chancen auf Bildung und Gesundheit das Leben der Kinder prägen? Wie können Kinder Schutz erfahren, wenn in ihrem Heimatland Krieg herrscht? Was ist, wenn die Staatsgewalt weitgehend die Kontrolle verloren hat, wenn Kinder Opfer von Menschenhandel, Zwangsrekrutierung, Zwangsverheiratung und Versklavung werden? Was ist, wenn Kinder dem entfliehen und in Flüchtlingslagern landen oder als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Europa ankommen? Ja, meine Damen und Herren, dann sind sie auf unsere Hilfe angewiesen. Genau damit befasst sich unser Antrag.
Unabhängig davon, wo sie leben, benötigen alle Kinder Gesundheit, auch im präventiven Sinn. Sie müssen Schutzimpfungen erhalten. Sie brauchen frühkindliche, primäre, sekundäre und berufliche Bildung. Sie brauchen Nahrung und Zugang zu gesundem Wasser. Sie brauchen Schutz vor Versklavung, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, Kinderarbeit und Krieg. Insbesondere Mädchen sind von extremer sozialer und ökonomischer Ungleichheit und Ungerechtigkeit betroffen.
Am letzten Wochenende, am 11. Oktober, war der Internationale Mädchentag; die Welt wurde pink. Dieser fand zum dritten Mal statt. Es ist der Tag, an dem international auf die Situation von Mädchen aufmerksam gemacht wird. Dieser Tag hat für mich eine hohe Bedeutung – deswegen heute das pinke Halstuch.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Motto „Because I am a Girl“ von Plan International macht mehr als deutlich, dass es die Mädchen sind, die immer noch in vielen Gesellschaften als minderwertiger angesehen werden als Jungen, die häufiger Opfer von Gewalt, Ausbeutung, Ausgrenzung und Benachteiligungen sind.
Hier im Deutschen Bundestag müssen wir uns für die Kinder und besonders für die Mädchen einsetzen, um die Kinderrechte Wirklichkeit werden zu lassen. Mit einem klaren Bekenntnis zu den Ende September von den Vereinten Nationen verabschiedeten Nachhaltigkeitszielen, kurz SDGs, verbinden wir, wie in unserem Antrag formuliert, politisches und finanzielles Engagement für die Umsetzung aller nachhaltigen Entwicklungsziele unter besonderer Berücksichtigung der Verwirklichung von Geschlechtergerechtigkeit. Wir begrüßen hierbei ausdrücklich das große Engagement der Bundesregierung im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte. Dahinter verbirgt sich ein Prozess von immenser historischer Bedeutung um das Bemühen um Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.
Probleme, die wir lösen müssen, gibt es genug. Laut UNICEF werden mehr als 60 Millionen Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr gegen ihren Willen verheiratet. Sie werden nicht nur ihrer Kindheit beraubt, sondern auch ihrer Chancen auf Bildung und Beruf. Mädchen aus den ärmsten 20 Prozent der Haushalte haben ein dreifach höheres Risiko, als Kind verheiratet zu werden. Im Zusammenhang mit extremer Armut geraten Mädchen häufiger in die Zwänge von Prostitution, die ihre gesundheitliche Situation weiter verschärft, erst recht, wenn aus der Prostitution eine Schwangerschaft hervorgeht. Frauen werden oft gezwungen, ihren Peiniger zu heiraten. Nicht selten werden Frauen Opfer eines Ehrenmordes, wenn sie durch Prostitution oder Vergewaltigung schwanger geworden sind.
Alle zehn Minuten stirbt irgendwo auf dieser Welt ein Mädchen, weil es Opfer von Gewalt geworden ist. Noch mehr Mädchen leiden ihr Leben lang an den körperlichen und psychischen Folgen von Gewalt. Frühe Ehen bedeuten für die Mädchen nicht nur ein abruptes Ende ihrer Kindheit. Viele müssen ihre Schul- und Ausbildung abbrechen. Frühe Schwangerschaften bergen das höchste Sterberisiko.
Mädchen stellen einen Besitz des Mannes dar und werden auch so behandelt. Stirbt ein Mädchen, wird sie durch ein neues Mädchen ersetzt. Das bedeutet für die Männer sogar einen finanziellen Zugewinn, weil sie eine Mitgift erhalten. Diese Mitgift müssen Mädchen oft unter harten und gesundheitsgefährdenden Bedingungen selbst erwirtschaften, zum Beispiel als Textilarbeiterin in Indien.
Es ist mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass es selten der Wille der Eltern ist, ihre Mädchen früh zu verheiraten, sondern das ist oft allein dem finanziellen Druck geschuldet. Je älter ein Mädchen wird, desto mehr Mitgift müssen die Eltern an die Familie des Bräutigams entrichten. Diesen Teufelskreis kann man nur mit einem umfassenden querschnittsorientierten Ansatz durchbrechen, wie ihn die SDGs ermöglichen und wie wir es in unserem Antrag zugrunde gelegt haben.
Wir alle wissen, dass Bildung der Schlüssel für eine zukunftsfähige Entwicklung darstellt. Durch mangelnde Bildung ist die Kinderversorgung oft nicht gewährleistet. Die Armut vererbt sich. Daher müssen wir unser besonderes Augenmerk auf die Bildungsangebote für Kinder richten.
Ich komme zum Schluss: Es gibt mehr als die schwarze Null. Jede Investition in die Bildung von Kindern ist die Rendite für unsere Zukunft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Michaela Engelmeier. – Nächster Redner in der Debatte: Uwe Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5980931 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 131 |
Tagesordnungspunkt | Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern |