Uli GrötschSPD - Verlängerung von Terrorismusbekämpfungsvorschriften
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es bei dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf eigentlich gar nicht um die Frage gehen kann, ob wir die Verlängerung der Gültigkeit dieses Gesetzes brauchen, also ob wir unseren Sicherheitsbehörden weiterhin Befugnisse zur Terrorismusbekämpfung geben oder nicht. Ich war bis jetzt der Meinung, dass es im ganzen Haus oder zumindest in weiten Teilen eigentlich unstrittig sein müsste,
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sollte man meinen!)
dass die Sicherheitsbehörden in Deutschland auch in Zukunft die Befugnisse brauchen, die sie in den letzten Jahren hatten. Denn niemand wird doch behaupten wollen, dass sich die Gefährdungslage hinsichtlich terroristischer Bedrohungen in Deutschland etwa entspannt hat oder dass sie sich gar erledigt hat und wir somit auf diese Gesetze verzichten könnten.
Osama bin Laden ist zwar längst tot. Aber al-Qaida steht bei weitem nicht mehr allein im Fokus der Öffentlichkeit. Auch das Thema Terrorismus entwickelt sich weiter.
Uns zeigt in diesen Tagen – man kann schon fast sagen: in diesen Jahren – das selbsternannte Kalifat des „Islamischen Staates“ eine Form des Terrors, die uns bislang unbekannt war. Diese Form des Terrors des „Islamischen Staates“ bedroht uns ganz konkret hier in Deutschland: durch radikalisierte Islamisten, ausreisende Dschihadisten und vor allem durch Syrien-Rückkehrer, von denen die allermeisten über Kampferfahrung verfügen.
Es geht heute nicht um die Frage, was die Ursachen des Terrorismus in all seinen Erscheinungsformen sind, und es geht auch nicht um die Frage der Bekämpfung der Ursachen. Mit dem zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf geht es nur um die Befugnisse, also sozusagen um den Rahmen, den wir den Nachrichtendiensten und den Sicherheitsbehörden in Deutschland geben, um in angemessener Weise auf diese Bedrohungen reagieren zu können.
Ich glaube, ohne Auskunftseinholung etwa bei Luftfahrtunternehmen, Kreditinstituten und Telekommunikationsdienstleistern geht es heutzutage nicht. Deshalb gibt es zu diesem Gesetzentwurf keine Alternative.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die SPD-Bundestagsfraktion weiß sehr wohl, dass mit diesen Befugnissen auch immer ein teilweise nicht unerheblicher Grundrechtseingriff einhergeht und wir die Freiheitsrechte mancher Bürger damit einschränken müssen. Wir sind aber auch dafür verantwortlich, dass sich die Menschen in unserem Land auch in Zukunft vor Terrorismus sicher fühlen können. Deshalb haben wir den Spagat zwischen Bürgerrechten und erforderlichen Grundrechtseingriffen jederzeit bei jedem Gesetzentwurf im Blick und somit auch bei diesem. Deshalb haben wir den Gesetzentwurf fast so belassen, wie er war.
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fast!)
Es gibt keine wesentliche Ausweitung der nachrichtendienstlichen Befugnisse.
Eine kleine Änderung betrifft das Grundbuchrecht.
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Definitionssache!)
Künftig können nicht nur Strafverfolgungsbehörden, sondern auch Nachrichtendienste verdeckt in Grundbücher und Grundakten Einblick nehmen,
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, das ist unwesentlich?)
um beispielsweise herauszufinden, wem ein Grundstück gehört, auf dem sich regelmäßig rechte Vereinigungen oder islamistische Vereinigungen treffen. Dem Eigentümer darf die Grundbucheinsicht für eine bestimmte Dauer nicht mitgeteilt werden, um Ermittlungen nicht zu gefährden. Das halte ich für richtig, und das ist in diesem Zusammenhang auch wichtig.
(Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD])
Für die SPD war es von entscheidender Bedeutung, dass wir das Terrorismusbekämpfungsgesetz erneut befristen, und zwar bis 2021, und dass wir es dann erneut auf seine Notwendigkeit und Wirksamkeit überprüfen, weil sich dieses Phänomen bis zum Jahr 2021 wieder verändert haben wird. Wir hoffen und glauben, dass wir mit unserer Gesetzgebung dazu beitragen, dass es sich zurückentwickelt, statt sich weiter auszubreiten.
Die Evaluierung der Durchführungspraxis des Gesetzes hat einerseits gezeigt, dass die nachrichtendienstlichen Befugnisse maßvoll angewandt wurden, und andererseits, dass sie sich sehr bewährt haben. Nicht immer sind die Erfolge der Sicherheitsbehörden öffentlich wahrnehmbar, wie etwa bei der Verhaftung von Terrorverdächtigen in Oberursel im April dieses Jahres. Als wir damals das Gesetz gemacht haben, haben wir es sehr bewusst von vornherein befristet, weil wir um die eben schon angesprochene Sensibilität der Befugnisse wussten.
Nun geht es um die dritte Verlängerung, weil die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus nach wie vor besteht, der heutzutage – wir alle kennen die Videos des „Islamischen Staates“ – viel brutaler und hemmungsloser ist als jemals zuvor. Wir wissen, dass schreckliche Terroranschläge wie im Mai 2014 im Jüdischen Museum in Brüssel oder wie im Januar dieses Jahres auf das Satireblatt Charlie Hebdo in Paris auch bei uns in Deutschland passieren können.
Der „Islamische Staat“ ruft ganz konkret zu individuellen Terrortaten in Deutschland auf. Wir können und wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass zivile Helden wie im Thalys-Schnellzug weiterhin für ihre Mitbürger ihr Leben riskieren, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das muss Aufgabe des Staates sein. Wir müssen den Rahmen schaffen und den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit geben, diese Taten zu verhindern.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Deshalb stellt die Große Koalition unsere Sicherheitsbehörden weiterhin gut auf. Das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz bekommen neue Planstellen in erheblichem Umfang
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Och!)
und eine angemessene Sachmittelausstattung auch und gerade im Cyberabwehrbereich, der auch in diesem Zusammenhang ein wichtiges Thema darstellt. Auch die Bundespolizei wird über die bereits in diesem Jahr erfolgte und für 2016 vorgesehene Aufstockung hinaus weitere 3 000 Stellen erhalten.
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist überfällig!)
Wir wissen dabei sehr wohl, dass Paragrafen und repressive Maßnahmen allein noch keine effektive Terrorismusbekämpfung gewährleisten. Die SPD-Bundestagsfraktion und die CDU/CSU-Fraktion, also die gesamte Große Koalition, setzen deshalb genauso sehr – der Kollege Mayer hat das eben in seiner Rede angedeutet – auf Prävention wie auf Repression.
Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten mit sehr vielen im Bereich der Extremismusprävention engagierten Vereinen und Trägern getroffen und mir ein Bild von ihrer Arbeit gemacht. Ihre Arbeit ist gefragter denn je. Etwa Informationsveranstaltungen der Bundeszentrale für politische Bildung sind völlig überlaufen. Ich denke etwa an Ufuq e. V., an die Beratungsstelle Hayat, die Aussteigern und Angehörigen radikalisierter Personen konkrete und wirksame Hilfe anbietet, oder an das Projekt „Wegweiser“ in Nordrhein-Westfalen sowie an das Violence Prevention Network; Sie alle kennen diese Organisationen. Es gibt in den für die Prävention originär zuständigen Bundesländern viele solcher niedrigschwelligen Projekte, die sich gegen den gewaltorientierten Islamismus wenden und dabei sehr erfolgreich sind. Deshalb war es richtig, dass wir im letzten Jahr den Mittelansatz für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ um 10 Millionen Euro auf nun 40,5 Millionen Euro aufgestockt haben. Ich meine, dass wir diesen Weg weitergehen müssen. Das ist der richtige Weg.
(Beifall bei der SPD)
Ich danke in diesem Zusammenhang unserer Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, die früher als andere erkannt hat, dass es auf Prävention genauso ankommt wie auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Wer sich mit den verschiedenen Beratungsstellen unterhält und sieht, dass das Telefon nicht eine Minute stillsteht, der merkt schnell, dass in das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ in den aktuellen Haushaltsberatungen mehr Geld fließen muss, weil Prävention genauso wichtig ist wie Repression.
Ich meine, dass es in diesem Bereich eine zentrale Koordinierungsstelle braucht, unter deren Dach sich die Träger und Vereine organisieren, austauschen und vernetzen können. Als Vorbild könnte etwa die Bundesarbeitsgemeinschaft „Ausstieg zum Einstieg“ dienen, die sich seit Jahren erfolgreich um ausstiegswillige Rechte kümmert. Extremismus in jeder Form ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
Vor fast genau vier Jahren hat die Selbstenttarnung der NSU-Terroristen Deutschland erschüttert, und sie tut das immer noch. Seitdem versuchen wir, die Umstände aufzuklären. In der nächsten Woche wird der Deutsche Bundestag zum NSU-Terror einen zweiten Untersuchungsausschuss einsetzen. Dabei ist das Ziel klar: lückenlose Aufklärung, damit so etwas nie wieder passieren kann. Auch vor diesem Hintergrund bin ich sehr besorgt über das erneute Aufkeimen einer rechtsterroristischen Szene in Teilen unseres Landes.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nichts anderes ist es nämlich, wenn sich organisierte, rechte Schlägertrupps aufmachen und vor Krieg und Terror zu uns geflüchtete Menschen und ihre Unterkünfte angreifen. Die Beobachtung dieser Rechtsterroristen ist ein Fall für unsere Sicherheitsbehörden, insbesondere für den Verfassungsschutz.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Manchmal kann man Zweifel bekommen!)
Wenn sich das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen und sein Präsident dieser Aufgabe nicht annehmen wollen, dann muss das Bundesamt für Verfassungsschutz die Zügel in die Hand nehmen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Die gesetzlichen Grundlagen für diese Zuständigkeit haben wir noch vor der Sommerpause geschaffen. Ich gehe davon aus, dass der Bundespräsident das Gesetz bald unterschreiben wird.
Sowohl Rechtsterror als auch islamistischer Terror sind verabscheuungswürdig und müssen von unseren Sicherheitsbehörden bekämpft werden. Dafür geben wir ihnen unter bestimmten und gesetzlich geregelten Voraussetzungen das Werkzeug mit diesem Gesetz an die Hand. Ohne dieses Gesetz katapultieren wir uns in die Steinzeit der Terrorabwehr; das wäre fatal und verantwortungslos. Deshalb fordere ich insbesondere die Grünen auf, der Verlängerung der Geltungsdauer eines Gesetzes aus gemeinsamen Zeiten zuzustimmen.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Lang ist’s her!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort hat die Kollegin Irene Mihalic für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6101407 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 133 |
Tagesordnungspunkt | Verlängerung von Terrorismusbekämpfungsvorschriften |