11.11.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 135 / Tagesordnungspunkt 3

Uli GrötschSPD - Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Waren es wirklich nur Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, die jahrelang vermeintlich unbemerkt von den Behörden mordend durch Deutschland gezogen sind, oder hatten sie überall Helfer? Wurden die Opfer doch nicht zufällig ausgewählt? Gibt es vielleicht ein größeres Neonazi-Netzwerk, das das Trio unterstützt hat und vielleicht immer noch dessen Ideologie verbreitet? Gibt es Verbindungen zur organisierten Kriminalität? Haben die Behörden – so, wie es scheint – Hinweise übersehen? – Ich für mich persönlich würde diese und andere Fragen wohl mit „Ja, so scheint es; aber wir müssen es beweisen“ beantworten. Diese und viele weitere Umstände sind auch vier Jahre nach der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrundes ungeklärt. Das ist ein Zustand, den wir so nicht hinnehmen werden.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir, wie auch schon meine Kolleginnen und Kollegen im ersten NSU-Untersuchungsausschuss, alle an einem Strang ziehen werden. Das Thema ist zu wichtig für Parteibefindlichkeiten, und es eignet sich schon gar nicht für Grabenkämpfe oder persönliche Profilierung.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages und die Untersuchungsausschüsse der Landtage haben schon vieles aufgeklärt und wichtige Arbeit geleistet. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bei allen Beteiligten bedanken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen nun das leisten, was der erste NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages schlichtweg nicht leisten konnte, zum Teil aus Zeitgründen, zum Teil auch deshalb, weil wir heute Erkenntnisse haben, die damals noch völlig unbekannt waren. Jetzt können wir auf die bisherigen Ergebnisse zurückgreifen und da ansetzen, wo noch Fragen offen sind. Diese offenen Fragen – möglichst alle – wollen wir abräumen.

Anders als meine Vorgängerinnen und Vorgänger können wir heute in unserer Arbeit auch auf die Rechercheergebnisse von Journalisten, Vereinen, Organisationen und Stiftungen wie etwa der Amadeu-Antonio-Stiftung zurückgreifen, die sich in den letzten vier Jahren intensiv mit dem NSU beschäftigt haben. Wir müssen nicht bei null anfangen. Ich glaube, das wird ein großer Vorteil sein.

Mir ist auch wichtig, dass wir im Untersuchungsausschuss nicht nur die Fragen aufarbeiten, die sich uns Abgeordneten stellen. Ich möchte auch den Fragen nachgehen, die sich etwa den Opferanwälten oder den Medienvertretern stellen.

Ohnehin spielen die Medien in diesem Komplex eine besondere Rolle. Vieles ist erst durch ihre Recherche überhaupt ans Tageslicht gekommen. Von einer medialen „Hexenjagd“, wie ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Baden-Württemberg die Arbeit der Presse vor dem dortigen Untersuchungsausschuss bezeichnet hat, kann meiner Meinung nach überhaupt keine Rede sein.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Aber da zeigt sich wieder: Von einer Fehlerkultur sind wir in manchen Behörden noch weit entfernt.

Wir werden uns nicht schon frühzeitig auf die eine oder andere Theorie festlegen; das hat schon mein Vorredner unterstrichen. Für die Behörden stand damals von Anfang an fest: Die Täter müssen aus dem familiären Umkreis kommen. Von „Döner-Morden“ und der „Mordserie Bosporus“ war die Rede. Mit diesen Beschuldigungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wurden die Angehörigen zum zweiten Mal Opfer. Dass die Täter aus der rechten Szene kommen und Rassismus das Tatmotiv sein könnte, wurde damals bei den Ermittlungen nicht in Erwägung gezogen. Es konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Heute wissen wir es besser.

Dass das Trio mit rechtsextremen Gruppierungen wie etwa Blood & Honour, Combat 18 oder der Oidoxie Streetfighting Crew vernetzt war, scheint uns heute ziemlich eindeutig zu sein. Schon im ersten NSU-Untersuchungsausschuss wurde klar, dass das Netzwerk größer war, als die Ermittlungsbehörden zunächst glaubten und zum Teil wohl heute noch glauben. Ich frage mich, ob der NSU vielleicht sogar ein noch größeres, straffer organisiertes und umfassenderes Monstrum war, als wir es uns zum heutigen Zeitpunkt vorstellen können.

Das alles, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir klären – mit allen Mitgliedern, auf Augenhöhe und fraktionsübergreifend –, weil wir es den Opfern schuldig sind. Abdulkerim Simsek, der Sohn des ersten NSU-Opfers Enver Simsek, brachte es auf den Punkt, als er sagte:

Ich möchte meinen Kindern erzählen können, was mit ihrem Opa passiert ist. Ich würde dafür sorgen, dass sie trotz allem ohne Hass aufwachsen. Aber ich möchte ihnen die Wahrheit erzählen können – die ganze.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6137326
Wahlperiode 18
Sitzung 135
Tagesordnungspunkt Einsetzung des 3. Untersuchungsausschusses
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