Hans-Peter Bartels - Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte zum Jahresbericht 2014 passt ganz gut in diese Sitzungswoche. Es ist richtig, dass der Istzustand der Bundeswehr und das, was sich ändern muss, gerade jetzt zum Thema gemacht wird; denn unserer Streitkräfte werden heute wirklich gebraucht – fast möchte man sagen: mehr denn je.
Sie werden unter anderem in den klassischen Auslandseinsätzen – out of area – gebraucht. Die Beanspruchung dafür war in diesem Sommer schon auf gut 2 500 Soldatinnen und Soldaten abgesunken. Jetzt ist EUNAVFOR MED im Mittelmeer dazugekommen, und die Einsätze in Afghanistan und im Nordirak werden wieder etwas größer und wohl auch noch länger dauern. Auch für den Einsatz in Mali werden wir deutlich mehr Personal stellen, und das in dieser Woche durch das Parlament gehende Anti-IS-Mandat bedeutet quantitativ und qualitativ auch noch einmal ein starkes Plus.
Alles in allem werden dann rund 5 000 Soldaten Deutschland in mandatierten internationalen Einsätzen vertreten – doppelt so viele wie Mitte dieses Jahres. Die Bundeswehr kann das leisten – kein Thema –, wenn es die einzige Beanspruchung unserer Soldatinnen und Soldaten wäre. In ganz ähnlicher Größenordnung – gut 5 000 Soldaten – kommen allerdings noch NATO-Verpflichtungen hinzu. Diese sind spätestens mit Beginn der Ukraine-Krise auch sehr ernst gemeint. Ich meine konkret die NRF mit 4 600 deutschen Soldaten, davon 2 700 in der besonders schnellen Speerspitze. Das ist mehr als früher, und diese Truppen haben eine hohe Bereitschaft. Sie üben tatsächlich. Das sind keine reinen Papierbuchungen mehr. Außerdem kommen noch die Air Policing Baltikum, die rotierenden deutschen Heereskompanien in Polen, Estland, Lettland und Litauen und die ständigen maritimen Einsatzverbände der NATO hinzu.
Die kollektive Verteidigung ist wieder ein Thema. Das Bündnis bindet Kräfte in Europa. Aber die Bundeswehr kann das. Die äußere Sicherheit ist ihr Kernauftrag; dafür ist sie da. Weil die Bundeswehr da ist, hat die deutsche Politik, hat dieses Parlament international Handlungsoptionen. Nach 60 Jahren Bundeswehr sind unsere Soldatinnen und Soldaten ein gesuchter Partner in der internationalen militärischen Zusammenarbeit. Dafür, glaube ich, ist dieses Parlament dankbar.
Die Bundeswehr kann auch im Innern helfen, wenn es wirklich nicht anders geht. Die Amtshilfe in Sachen Flüchtlinge bindet im Augenblick 8 000 Männer und Frauen unserer Streitkräfte. Viele Soldaten haben sich freiwillig gemeldet. Der Vorteil unserer Bundeswehr ist, dass sie in Krisen schnell zur Stelle sein kann. Das macht sie auch im Innern so beliebt. Sie macht das gut.
Uns allen sollte aber klar sein, dass Flüchtlingshilfe keine Dauereinsatzaufgabe der Bundeswehr werden darf;
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
denn das ginge auf Kosten von Ausbildung und Einsatzbereitschaft für den Kernauftrag, die äußere Sicherheit. Viele Soldaten sagen mir genau das bei meinen Besuchen in der Truppe, und ich teile diese Sorge. Die Soldaten helfen gern, zur Not auch als Lückenfüller, aber die Lücken müssen irgendwann auch wieder zivil gefüllt werden.
Warum rede ich heute zuallererst über die Beanspruchung des Personals? Weil ich mir Sorgen mache, dass es zu einer Überbeanspruchung kommen könnte. Niemand muss sich Gedanken über neue Aufgaben für die Bundeswehr im Innern machen; die Belastung wächst gerade jetzt in diesen Wochen auch so schon enorm.
Gleichzeitig ist auch noch die letzte Bundeswehrneuausrichtung mit neuen Organisationsstrukturen, neuen Standorten und veränderten Arbeitsbeziehungen zu bewältigen. Es ist richtig, dass die Reform jetzt nachgesteuert wird. Die Bundeswehr braucht 100 Prozent Ausrüstung – große und kleine – für 100 Prozent Bundeswehr, und zwar schnell, nicht irgendwann.
(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Diese Ausrüstung muss aber auch in der Realität und nicht nur auf dem Papier verfügbar sein. Das heißt, es müssen zum Beispiel Ersatzteile gekauft werden, auch für die alten Tornados. Vielleicht geht es auch darum, wieder mehr selber machen zu können. Jedenfalls muss Schluss sein mit der Toleranz für Fehlanzeigen. Wenn das Gerät für Ausbildung und Übungen nicht da ist, ist der Beruf nicht attraktiv; auch das höre ich bei jedem Truppenbesuch.
Vieles ist in Bewegung. Die Stellungnahme des Ministeriums zum Jahresbericht 2014 zeigt, dass Kritik ankommt – nicht immer, aber, wie ich hoffe, immer öfter. Mein Vorgänger Hellmut Königshaus – ich begrüße ihn auf der Tribüne – kann ganz zufrieden sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Er hat Anregungen gegeben, die tatsächlich zu Verbesserungen führen, etwa bei der Kasernensanierung. Nur etwas Tempo fehlt noch; darüber haben wir schon im Ausschuss diskutiert. Ein paar offene Punkte will ich hier noch ansprechen.
Erstens. Es ist gut, dass das Ministerium zwei Arbeitsgruppen – Sie sagen: Taskforces – eingerichtet hat, die helfen sollen, die Verfügbarkeit von Hubschraubern und Flugzeugen zu verbessern. Das ist dringend nötig. Die Ausbildung für NH90, Tiger, Sea King und Sea Lynx leidet extrem. Für unsere Piloten und angehenden Piloten ist das eine unmögliche Situation. Ich höre aus dem BMVg, kurzfristige Lösungen seien nicht zu erwarten. Aber das Problem kennen wir seit Jahren. Insofern bitte ich auch hier um Tempo.
Zweitens. Der Verteidigungsausschuss wie auch mein Amtsvorgänger haben immer wieder auf eine Einhaltung des 20/4-Monatssystems für eingesetzte Soldatinnen und Soldaten gedrängt. Das gelingt noch nicht immer zuverlässig. Aber dann sollte wenigstens der Rücktransport, zum Beispiel aus Afghanistan, planbar und zur festgesetzten Zeit stattfinden und nicht immer mit tagelanger Verzögerung. Das ist für die Soldatinnen und Soldaten und für ihre Familien nur schwer erträglich.
Drittens. Das Beurteilungssystem gerecht zu gestalten, ist gewiss eine enorm anspruchsvolle Aufgabe. Aber je existenzieller es in seinen Konsequenzen wird, etwa beim Übergang vom Zeit- zum Berufssoldaten, desto öfter scheint es zu versagen; so ist jedenfalls der Eindruck bei vielen Betroffenen. Das schadet der Bundeswehr. Ich glaube, wir brauchen hier ein neues und transparenteres System.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich sagen, dass ich den Berichterstatterinnen der Fraktionen, den Kolleginnen Schäfer, Henn, Buchholz und Wagner, für die fraktionsübergreifend gute Zusammenarbeit im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten dankbar bin. Ich danke meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und unseren Ansprechpartnern im Ministerium und in den Streitkräften, die ganz überwiegend auf die Anmerkungen des Wehrbeauftragten konstruktiv eingehen.
Ich danke auch den vielen Soldatinnen und Soldaten, die mit ihren Eingaben immer wieder dafür sorgen, dass Missstände thematisiert und beseitigt werden können. Manchmal geht es eben nicht nur um den Einzelfall, sondern um eine Art militärisches Verbesserungsmanagement. Keine andere Armee der Welt hat so ein Rückmeldesystem. Wir sind damit in 60 Jahren gut gefahren. Es wird uns auch jetzt helfen, wo die Zeiten sicherheitspolitisch erkennbar härter werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Die Kollegin Anita Schäfer spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6245037 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 143 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten |