Norbert Lammert - Einführung beschleunigter Asylverfahren
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit allen Entscheidungen und Maßnahmen, die wir in den letzten Monaten getroffen oder ergriffen haben, verfolgen wir ein einziges Ziel: eine spürbare und nachhaltige Reduzierung des Flüchtlingszustroms. Die Gesetze, über deren Entwürfe wir heute beraten, sind nicht der einzige, wohl aber ein weiterer wichtiger Schritt auf diesem Weg. Zur Reduzierung der Zahl gehört, dass wir beim Flüchtlingszustrom konsequent unterscheiden zwischen denen, die schutzbedürftig sind und hier Schutz bekommen sollen, und denen, die offensichtlich nicht schutzbedürftig sind und deswegen möglichst unverzüglich in ihre Heimat zurückkehren müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dieser Gedanke hat uns beim ersten Asylpaket geleitet und führt uns auch heute die Feder. Mit der Schaffung besonderer Aufnahmeeinrichtungen, der Schaffung eines zusätzlich beschleunigten Asylverfahrens für Migranten aus sicheren Herkunftsstaaten und der Einführung verschärfter Sanktionen bei Verstößen gegen die Residenzpflicht werden wir die Anreize für eine Antragstellung von offenkundig Nichtschutzbedürftigen noch einmal deutlich reduzieren und nunmehr auf nahe null senken.
Hinzu treten die Einschränkungen beim Familiennachzug für neu ankommende subsidiär Schutzberechtigte. Diese Einschränkungen beim Familiennachzug sind unvermeidlich.
(Zuruf von der LINKEN: Warum? – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ein Quatsch! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie können sich hier nicht so benehmen wie zu Hause!)
– Ich will Ihnen auf diesen Zwischenruf mit dem „Quatsch“ einmal ein Zitat vorhalten. Ich zitiere:
‚Es ist nicht die unbedingte Voraussetzung, dass der Familienclan aus Kabul oder Kandahar dann hierher nachkommt‘,
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Es geht um Kinder und Frauen! Das ist geistige Brandstiftung, Herr Strobl!)
… Alle seien sich bewusst, dass Flüchtlingszahlen begrenzt werden müssten. Dazu gebe es jedoch nur ganz wenige Möglichkeiten.
Ich zitiere weiter:
‚Eine davon ist die Begrenzung des Familiennachzugs für unbegleitete Minderjährige.‘ Wenn die Politik das nicht tue, müsse sie dem Volk sagen, dass die Flüchtlingszahlen in den nächsten Monaten nicht zurückgehen würden.
(Zurufe von der LINKEN)
Die Schlepperbanden wüssten sehr genau von den Diskussionen in Deutschland. Sie sammelten unbegleitete Kinder von 12 bis 18 Jahren ‚und schaffen damit ein neues großes Kontingent, das zu uns kommt‘. Es sei eine Realität, dass Familien Kinder losschickten in der Hoffnung, später nachkommen zu können. So sei es auch vor 36 Jahren in Vietnam gewesen.
Dieser „Brandstifter“ – um Ihren Zwischenruf aufzugreifen – ist Rupert Neudeck, der 1979 mit Unterstützung des Schriftstellers Heinrich Böll – vielleicht sagt Ihnen das noch etwas – das deutsche Komitee „Ein Schiff für Vietnam“ gegründet hat, das im Rahmen der späteren Flüchtlingsorganisation „Cap Anamur“ allein 11 000 Flüchtlinge vor der Küste Vietnams gerettet hat. Ich finde, Rupert Neudeck ist unverdächtig.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und das ist kein „Quatsch“ und das ist auch kein „Brandstifter“, sondern das ist eine Notwendigkeit im Interesse der Flüchtlinge, die bei uns leben.
(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir schränken den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte im Übrigen nicht aus Hartherzigkeit ein, sondern aus der Einsicht in die Grenzen unserer Möglichkeiten. Bis 2015 sind mehrere Hunderttausend Syrer nach Deutschland geflohen, denen bereits heute oder in Kürze das Recht auf vollen Familiennachzug zusteht.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Peinlich! Wir haben mehr Vertrauen in Deutschland als Sie, Herr Strobl!)
Niemand weiß, wie viele Menschen in den Anrainerstaaten oder in Syrien selbst auf den Familiennachzug warten und ihn geltend machen. Wir können jetzt bei einem hohen Flüchtlingszustrom die Zahlen nicht auch noch einmal durch Familiennachzug verdoppeln oder verdreifachen.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist durch nichts belegt, Herr Strobl!)
Das ist der Kern: Wir brauchen eine Atempause. Wir müssen auch einmal Luft holen können.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine schreckliche Art von Sprache! Haben Sie denn gerade ein Problem? Kriegen Sie gar keine Luft? Was ist das denn für eine Sprache bezüglich Menschen? Das ist einfach unanständig!)
– Herr Hofreiter, da Sie in Ihren Interviews die Einschränkung des Familiennachzugs
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist einfach unanständig!)
als ein Integrationshindernis bezeichnen,
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Tat! Genau! – Zuruf von der LINKEN)
will ich Ihnen einmal sagen, was ein Integrationshindernis ist.
Das ist eine Regelung aus dem Jahr 2004, die Sie mit dem damaligen Zuwanderungsgesetz geschaffen haben, eine Regelung, die heute dafür sorgt, dass nach bestehender Gesetzeslage anerkannte Flüchtlinge ein unbefristetes Daueraufenthaltsrecht voraussetzungslos nach dem Ablauf von drei Jahren erhalten. Gleichviel, ob man sich auch nur irgendwie um Integration bemüht hat, gleichviel, ob man sich auch nur ein bisschen bemüht hat, die deutsche Sprache zu lernen,
(Unruhe bei der LINKEN)
gleichviel, ob man sich nur ein bisschen bemüht hat, für seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu sorgen, gleichviel, ob man straffällig geworden ist: Es gibt automatisch nach drei Jahren ein Daueraufenthaltsrecht. Eine solche Regelung schafft keine Integrationsanreize, sie ist ein Integrationshindernis. Und das sollten wir aus dem Weg räumen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Kollege Strobl, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck zu?
Bitte.
Herr Strobl, grundsätzlich ist natürlich die Aufnahme von Flüchtlingen etwas anderes als die Aufnahme von Arbeitsmigranten. Deshalb wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt vom Gesetzgeber von den Flüchtlingen, weil sie ohnehin aufgrund ihres Schutzstatus dauerhaft bleiben können, nichts zusätzlich verlangt.
Man kann natürlich diese Frage anders sehen und sagen: Wir verlangen von Flüchtlingen und Migranten bei der Integration das Gleiche. Aber wenn man das tut, müsste man auch bei der Frage des Charakters der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis rechtlich das Gleiche verlangen. Das unbefristete Aufenthaltsrecht eines Flüchtlings ist nämlich durch Wegfall des Asylgrunds jederzeit widerrufbar; das ist bei Migranten nicht der Fall.
Wollen Sie die Gleichstellung bei den Integrationsanforderungen damit verbinden, dass Flüchtlinge in Zukunft nicht mehr das Damoklesschwert über sich spüren, selbst bei einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, dass womöglich zum Zeitpunkt der Einbürgerung vom BAMF die Flüchtlingseigenschaft wieder aberkannt wird? Das wäre vielleicht ein konsistenter Vorschlag, dem man zumindest etwas abgewinnen könnte.
Herr Kollege Beck, es gibt möglicherweise einen grundsätzlichen Unterschied in der Betrachtungsweise.
(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Sie haben die Frage doch gestellt; jetzt müssen Sie schon die Geduld haben, sich auch die Antwort anzuhören.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für uns bedeuten Flüchtlingsschutz und die Gewährung von Asyl zunächst einmal ein Bleiberecht auf Zeit. Wenn die Fluchtursachen beseitigt sind, wenn der Asylgrund wegfällt, dann ist es nach unserer Vorstellung so, dass der Flüchtling wieder in seine Heimat zurückgeht und beispielsweise beim Aufbau in seiner Heimat hilft. Flüchtlingsschutz ist zunächst einmal ein Recht auf Zeit. Deswegen ist eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland auch befristet. Wenn wir nun dazu übergehen, dem Flüchtling ein Daueraufenthaltsrecht zu geben, dann muss das doch sinnvollerweise zumindest an eine Integrationsbemühung geknüpft sein. Sonst macht das doch keinen Sinn.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jede Integrationspflicht läuft ins Leere, wenn wir das nicht so machen. Deswegen müssen wir dieses Gesetz zwingend ändern.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich verstehe, warum die CDU in Baden-Württemberg keinen guten Trend hat, sondern die Grünen! Sie haben einfach keine Ahnung! Das ist kein Strom! Das sind Menschen!)
Mit Blick auf die Reduzierung des Flüchtlingsstroms – das hat auch etwas mit der Grünenfraktion zu tun –
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Menschen und keine Ströme! Das ist keine Naturkatastrophe!)
bedauere ich sehr, dass wir heute die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten nicht im Deutschen Bundestag beraten können. Es sind ganz überwiegend ökonomische Motive, die Migranten aus Marokko, aus Algerien und aus Tunesien zur Stellung eines Asylantrags in Deutschland veranlassen.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das ist selbst bei Leuten, die aus Vorpommern nach Bayern gehen, so!)
Die Anerkennungsquoten sind verschwindend gering. Sie betrugen im Jahr 2015 für Marokko 2,29 Prozent, für Algerien 0,98 Prozent und für die Tunesische Republik 0,00 Prozent. Mit der raschen Einstufung dieser Staaten als sichere Herkunftsstaaten hätten wir frühzeitig auf die seit kurzem stark steigenden Zahlen reagieren können.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn auch immer und immer wieder anderes behauptet wird, auch wenn insbesondere Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, es nicht wahrhaben wollen – die Erfahrung, die wir im Zusammenhang mit den Balkanstaaten gesammelt haben, macht eines ganz deutlich: Eine Einstufung als sicheres Herkunftsland zeitigt unmittelbar Konsequenzen. Seit der Aufnahme der Westbalkan-Staaten in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten sind die Asylbewerberzahlen aus dieser Region drastisch zurückgegangen. Heute kommen monatlich nur noch wenige Hundert Menschen von dort. Anfang 2015 waren es noch 25 000 im Monat.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben echt keine Ahnung! Sie verstehen den Unterschied noch nicht mal!)
Wir hätten den Kreis der sicheren Herkunftsstaaten, was den Westbalkan angeht, im Übrigen besser ein Jahr früher erweitert. Doch das im Bundesrat zustimmungspflichtige Gesetz ist von Ihnen blockiert worden. Sie waren dagegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das hatte im Übrigen eine unmittelbare Folge: Im vergangenen Jahr kamen 150 000 Migranten aus dem Westbalkan nach Deutschland, um hier einen Asylantrag zu stellen. Den allergrößten Teil von ihnen werden wir in einem komplizierten Verfahren zurückführen müssen. Die Entwicklung, die wir im Zusammenhang mit dem Westbalkan erleben, darf sich im Hinblick auf die Maghreb-Staaten und Nordafrika nicht wiederholen. Der Maghreb darf kein zweiter Westbalkan werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deswegen müssen wir in dieser Frage schnell handeln.
Es war schon ein bemerkenswerter Vorgang – Herr Innenminister Jäger kann gleich etwas dazu sagen –: Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz war noch nicht beschlossen, da kündigten einige Länder bereits an, dass sie wesentliche Teile dieses Gesetzes gar nicht umzusetzen gedenken: die dauerhafte Unterbringung von Asylbewerbern ohne Bleibeperspektive in den Erstaufnahmeeinrichtungen, Sachleistungen statt Bargeld. „ Mit uns ist das nicht zu machen“, erklärten einige Bundesländer.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus gutem Grund!)
Ich kann an dieser Stelle nur an die Länder appellieren, alle Teile der Asylgesetzgebung konsequent und auch streng umzusetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dies gilt insbesondere für die schärferen Regeln der Abschiebung, wie sie im Asylpaket II festgelegt sind.
Alle gesetzlichen Regelungen laufen nämlich ins Leere, wenn es an dem Willen fehlt, das geltende Recht anzuwenden und ablehnende Bescheide konsequent durchzusetzen. Ich weiß: Abschiebungen sind nicht einfach; sie sind auch nicht populär. Doch erst mit der konsequenten Durchsetzung negativer Bescheide können wir das eindeutige Signal senden: Wer keines Schutzes bedarf, der hat keine Bleibeperspektive in Deutschland und der muss in seine Heimat zurückkehren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die Kollegin Jelpke hat nun das Wort für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6569795 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 156 |
Tagesordnungspunkt | Einführung beschleunigter Asylverfahren |