19.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 156 / Zusatzpunkt 5

Luise AmtsbergDIE GRÜNEN - Einführung beschleunigter Asylverfahren

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Zu den zwingend erforderlichen Reformen im Sexualstrafrecht haben Sie jetzt leider nichts gesagt. Insofern fällt es mir nach wie vor schwer, zu glauben, dass im Fokus dieser ganzen Initiativen tatsächlich der Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt steht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber kommen wir zu dem vorliegenden Entwurf. Ein Gesetzentwurf, der den Wert der Familie infrage stellt, der die Rechte und den Schutz von Kindern hintanstellt, der Integration wissentlich auf Jahre behindert, der die Betroffenen über ihre Zukunft in Deutschland verunsichert – auf einen solchen Gesetzentwurf kennt meine Fraktion nur eine Antwort, und die ist Nein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nein, weil Humanität eben nicht für ein paar Monate oder zwei Jahre mal pausieren kann, nur weil es innenpolitisch etwas unbequemer wird, nein, weil es nicht sein darf, dass Grundrechte gerade dann, wenn sie gebraucht werden, wenn sie sich beweisen müssen, preisgegeben werden.

Das Recht auf Familienleben ist nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention und zahlreichen weiteren Vereinbarungen, wie zum Beispiel der UN-Kinderrechtskonvention, verbrieft. Und trotzdem: Mit Ihrem Gesetz verweigern Sie Menschen, die aufgrund von Lebensgefahr, von drohender Folter, Todesstrafe oder infolge von Bürgerkriegen nicht in ihre Heimat zurückkehren können, das Zusammenleben mit ihren Familien.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion findet, dass das Recht darauf, mit seiner Familie zusammenzuleben, ausnahmslos für alle Menschen gilt, auch für Flüchtlinge, allem voran für Kinder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Denn Kinder – darüber wurde hier wenig gesagt – sind die Hauptopfer von Krieg. Sie sind besonders verletzlich, sie brauchen besonderen Schutz, in bewaffneten Konflikten, aber auch auf der Flucht. Sie brauchen besonderen Schutz und unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, auch hier in Deutschland.

Kinder haben Kriege nicht zu verantworten. Deshalb ist Ihr Plan, gerade bei Kindern, die alleine nach Deutschland gekommen sind, den Nachzug der Verwandten einzuschränken bzw. nicht zu erlauben, nichts anderes als gemein und verantwortungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Auf Ihrem Weg, die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland zu reduzieren, setzen Sie bei den Schwächsten an, ohne Wenn und Aber. Das kann einen eigentlich nur sprachlos machen; denn wir wissen, dass die Folge ist, dass insbesondere Frauen und Kinder – die Abgeordneten, die derzeit vor Ort sind, werden das bestätigen können – auf die Boote über das Mittelmeer gehen. Das ist auch logisch.

Ich finde es wirklich bigott, wenn man sich am Anfang der Debatte hinstellt und sagt: „Hier kommen nur junge Männer nach Deutschland. Was ist denn eigentlich los?“, und später, wenn sich sozusagen der Wind dreht und viele Kinder kommen, auf einmal sagt: „Die Eltern in den Kriegs- und Krisengebieten, die ihre Kinder losschickten, sind verantwortungslos“, vor allen Dingen, wenn man weiß – Frau Jelpke hat darauf hingewiesen –, dass es manchmal der einzige Weg ist, sein Kind zu schützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es ist falsch, Frau Högl, zu sagen, dass es nur zwei Jahre sind. Für geflüchtete Erwachsene bedeutet der ausgesetzte Familiennachzug, dass sie im schlimmsten Fall bis zu fünf Jahre von ihren Familien getrennt werden, was nach meiner Auffassung einer dauerhaften Trennung gleichkommt. Das Asylverfahren dauert ab Stellung des Asylgesuchs meist mehr als zwölf Monate. Zwei Jahre beträgt die Wartefrist für Familienangehörige. Zudem müssen die Nachzugsberechtigten häufig länger als ein Jahr auf einen Termin bei der jeweiligen deutschen Botschaft warten. Das macht am Ende vier bis fünf Jahre, und deshalb müssen wir hier von einer dauerhaften Trennung von Familien sprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht noch mal zu den Zahlen. Ich habe dazu ja eine Kleine Anfrage gestellt, Herr Strobl. Deshalb weiß ich: Das Szenario, das Sie hier zeichnen, dass Millionen von Familien nachkommen, ist einfach falsch.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bedauerlicherweise ist es so, dass lediglich gut 18 000 Menschen im vergangenen Jahr von diesem Recht Gebrauch machen konnten. Es ist doch nicht so, dass wir überrannt werden von einer Situation, mit der wir nicht umgehen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: 500 000 Syrer haben das Recht auf sofortigen Familiennachzug!)

Integration ist ein Familienprojekt. Wer keine Hoffnung hat, seine Kinder und Partner zügig in Sicherheit zu bringen, der wird sich in Deutschland nicht integrieren, der wird nicht glücklich, der wird hier auch nicht wirklich ankommen können. Von daher sind Einschränkungen beim Familiennachzug nicht nur menschenrechtlich verantwortungslos, sondern auch mit Blick auf die Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt verantwortungslos und kurzsichtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das gilt im Übrigen auch für eine weitere Regelung in Ihrem Gesetzentwurf: Sie möchten künftig pauschal von allen Flüchtlingen Geld einbehalten, um Sprachkurse zu finanzieren – wohlgemerkt von allen, sogar von denen, die überhaupt gar kein Anrecht auf Sprachkurse haben. Das heißt, obwohl das Bundesverfassungsgericht unmissverständlich klargemacht hat, dass die Menschenwürde migrationspolitisch nicht zu relativieren ist, verlangen Sie künftig sogar Geld für etwas, was gar nicht allen zusteht. Dazu möchte ich sagen: Die Unterscheidung bezieht sich eben nicht auf „schutzberechtigt“ und „nicht schutzberechtigt“, sondern auf die Schutzquote. Das zeigt sich ganz wunderbar bei den Sprachkursen, auf die nur Syrer, Iraner, Iraker und Eritreer ein Anrecht haben, zum Beispiel Afghanen aber nicht. Herr Strobl, Sie können mir sicherlich beispringen, wenn ich sage, dass ein großer Teil dieser Menschen durchaus schutzberechtigt ist, hier für immer bleiben wird, also hier eine Zukunft haben muss und deswegen an den Sprachkursen partizipieren muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Lassen Sie mich zum Schluss – weil das in der Debatte traurigerweise umgeht – die verschärfte Regelung für jene Flüchtlinge ansprechen, die aufgrund einer Erkrankung aus humanitären Gründen eigentlich nicht zurückgeschickt werden können. Man beruft sich dabei auf innerstaatliche bzw. inländische Gesundheitsalternativen und darauf, dass Behandlungen von schweren Krankheiten grundsätzlich in dem betreffenden Land möglich sind. Fragen, ob kranke Menschen die Gesundheitsversorgung vor Ort überhaupt erreichen können, ob sie genügend Mittel zur Verfügung haben, wenn sie zurückgeschickt werden, ob es überhaupt die Möglichkeit gibt, sich innerhalb des Landes ohne Gefahr zu bewegen, um die Gesundheitsversorgung in Anspruch zu nehmen, haben überhaupt keinen Platz. Genauso befremdlich ist es, dass es in Ihrem vorliegenden Gesetzentwurf heißt, dass posttraumatische Belastungsstörungen keine schwerwiegenden Erkrankungen darstellen, wenn sie medikamentös behandelt werden können. Ich weiß nicht, wie viele Ärzte und Therapeuten heute im Parlament anwesend sind: Ich habe mir sagen lassen, dass das mit der Realität sehr wenig zu tun hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Kurzum: Auch diese geplante Regelung wird zu einer Ausweitung der Abschiebungen von kranken Menschen führen. Das kritisieren wir aufs Schärfste. Ich würde mir wirklich wünschen, Herr Strobl, dass Sie an dieser Stelle vielleicht auch ein paar Menschenrechtler zitieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie haben wenigstens zugehört, im Gegensatz zu anderen!)

Man kann sich das nicht immer aussuchen, und es geht nicht, dass man nur zitiert, wenn es gerade passt, an anderer Stelle jedoch gar nicht hinhört bzw. Verfahren im Parlament durchführt, in denen wir nur eine Woche Zeit haben, um uns mit Experten auszutauschen.

(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Zwei Wochen!)

Ich komme zum Schluss. Neue Gesetze, die nicht einmal einen Tag die Luft der Inkraftsetzung atmen, bevor sie durch ein neues ersetzt werden sollen, durchnummerierte Sammelpakete, die in Eilverfahren durch die parlamentarischen Beratungen gejagt werden, das kategorische Ignorieren der Bedenken aus der Zivilgesellschaft und der Experten und auch das notorische Abwehren von Vorschlägen, die wir durchaus vorgelegt haben – all das wird Sie nicht zu Ihrem Ziel bringen,

(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Wir haben ja noch die Ausschussberatungen!)

dass Asylverfahren beschleunigt werden, dass geordnete Verfahren stattfinden und dass wir wissen – das ist ja Ihr Hauptanliegen –, wer sich hier in unserem Land befindet. All das wird dazu nicht beitragen. Ihr Vorhaben ist einseitig und gegen die Rechte von Schutzsuchenden. Das lehnen wir entschieden ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Stephan Mayer.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Burkhard Lischka [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6569830
Wahlperiode 18
Sitzung 156
Tagesordnungspunkt Einführung beschleunigter Asylverfahren
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