26.02.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 159 / Tagesordnungspunkt 19

Beate Walter-RosenheimerDIE GRÜNEN - Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir haben bereits vor einigen Wochen hier im Bundestag über das Meister-BAföG diskutiert. In dieser Debatte haben Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, etwas ganz Bemerkenswertes gesagt. Ich wiederhole es hier einmal. Sie haben sinngemäß gesagt, es sei richtig, die Weiterbildungssituation und gegebenenfalls auch die Schreckensszenarien auf diesem Gebiet zu analysieren, entscheidend in der Politik sei aber, dass man handle, dass man etwas mache. Ich finde, damit haben Sie total recht. Politik bedeutet entscheiden und damit im Idealfall entschiedenes Handeln. Wenn diesem politischen Handeln aber keine fundierte Analyse vorausgeht, was es zu ändern gilt, dann hat man ganz offensichtlich ein Problem; denn wer die Herausforderungen nicht kennt, handelt manchmal am Problem vorbei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will mich an dieser Stelle aber gar nicht in Fundamentalopposition bringen. Die Reform des Meister-BAföGs ist in unseren Augen nicht der ganz große Wurf – das wissen Sie inzwischen; das haben wir oft genug gesagt –, trotzdem finden wir – das will ich in aller Deutlichkeit sagen –, dass das ein Schritt in die richtige Richtung ist, wie man so schön sagt. Es stimmt ja auch: Sie haben mit der Öffnung des Meister-BAföGs überfällige Anpassungen vollzogen. Und ja, es ist höchste Zeit, dass in Zukunft auch Bachelorabsolventinnen und Studienabbrecher bei Aufstiegsfortbildungen gefördert werden können. Auch die Erhöhung von Leistungen und Freibeträgen finden wir richtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU] und Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

– Herr Feist, Sie klatschen. Das ist ja gut.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, wenn Sie einmal etwas richtig finden! Dass ich das noch erleben darf!)

Sie wissen, dass wir es schade finden, dass die Reform nicht weiter gefasst ist. Ich denke, dass der eine oder andere Bildungsinteressierte in Zukunft ein paar Euro mehr in der klammen Kasse hat. Das finden wir gut, weil wir jeden zusätzlichen Euro für Bildung richtig finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Es ist eine ganze Menge, was es mehr gibt!)

– Ja.

Wer aber behauptet, mit diesen Anpassungen eine echte Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung herzustellen, hat nicht recht. Da muss man, glaube ich, schon mehr bieten. Genau das haben übrigens – vielleicht erinnern Sie sich daran – auch alle Experten in unserem Fachgespräch, in der Anhörung im Bildungsausschuss bestätigt. Diese Reform gibt eben nicht das notwendige Signal dafür, dass lebenslanges Lernen endlich für alle Menschen möglich wird. Daran müssen Sie etwas ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Aber darum geht es bei dem Gesetz nicht!)

– Wir sprechen jetzt aber über das Thema, auch wenn es nur um dieses eine Gesetz geht. Wir kritisieren ja gerade, dass das kein größerer Wurf ist.

Wer nimmt an Weiterbildungen nicht oder viel zu selten teil? Das sind vor allem Alleinerziehende, das sind vor allem Frauen in den typischen Frauenberufen, die schlechter bezahlt werden, das sind Menschen mit Migrationshintergrund, das sind ausländische Menschen, das sind aber auch Menschen mit geringerer Berufsqualifizierung. All denen hilft die vorgelegte Änderung beim Meister-BAföG herzlich wenig, aber auch für diese Menschen tragen wir hier Verantwortung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vermutlich entgegnen Sie jetzt – das haben Sie ja schon gesagt, Herr Feist –, dass es dafür andere Instrumente gibt: die Bildungsprämie, Bildungsgutscheine, Bildungskredite,

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sind alles Renner! Tolle Sachen!)

Bildungsurlaub, Weiterbildungssparen, verschiedene Länderprogramme. Das gibt es alles. Es stimmt natürlich, dass das Meister-BAföG nicht das einzige Förderinstrument ist; aber glauben Sie denn wirklich, dass die Menschen bei dieser Vielzahl von Programmen und angesichts dieser Unübersichtlichkeit noch den Überblick behalten? Die Weiterbildungsbeteiligung ist in Deutschland doch auch deshalb so gering, weil kaum jemand weiß, was für Fördermöglichkeiten es gibt.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die Weiterbildungsprämie ist immer überbucht! Ein Renner!)

Ich sage: Schaffen Sie doch endlich Transparenz in diesem undurchsichtigen Dschungel.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vereinfachen Sie die Zugänge, damit auch die vorhin genannten Menschen am lebenslangen Lernen teilhaben können.

(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dazu gehören natürlich auch transparente, niedrigschwellige, qualitativ hochwertige und flächendeckende Beratungsangebote vor Ort.

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist doch kein Zufall, dass in der reichen Industrienation Deutschland so wenig Menschen am lebenslangen Lernen teilnehmen. Das hat strukturelle Gründe. Ganz offensichtlich reichen die derzeit bestehenden Förderinstrumente nicht aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist Ihre Aufgabe, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.

Frau Ministerin Wanka, Sie haben gesagt, das Meister-BAföG sei ein entscheidender Beitrag zur Fachkräftesicherung, aber es sei kein Beitrag, der die gesamte Weiterbildungsthematik von A bis Z regle. Aber warum eigentlich nicht? Trauen Sie es sich doch zu, die deutsche Weiterbildung vom Kopf auf die Füße zu stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich ein paar Feststellungen treffen. Sie haben eine parlamentarische 80-Prozent-Mehrheit. Sie sind gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften Partner der großen Allianz für Aus- und Weiterbildung. Der Bund hat im Jahr 2015 einen Haushaltsüberschuss in Höhe von 12 Milliarden Euro erwirtschaftet. Bessere Voraussetzungen für eine umfassende Strukturreform von A bis Z kann es nicht geben. Diese Chance hätten Sie doch nutzen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Spätestens heute erfahren wir leider einmal mehr, dass Ihrer Koalition trotz kräftigen Rückenwinds schnell einmal die Puste ausgeht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nein, wir sind atemlos! – Zurufe von der SPD: Na, na!)

– Ja. – Wie eine sozial gerechte Weiterbildungsförderung aussehen kann, haben wir in unserem grünen Antrag zur Bildungszeit Plus vorgelegt.

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Atemlos durch die Nacht!)

– „Atemlos durch die Nacht“? Das muss man auch als Politikerin in diesen Tagen manchmal machen.

Wir wollen das Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz so umbauen, dass es diesen Namen auch verdient. Mit einem individuellen Mix aus Zuschuss und Darlehen können wir echte Zugangsgerechtigkeit in der Weiterbildung schaffen. Dabei wollen wir die Lebens- und Einkommenssituation berücksichtigen und gerade die Schwächeren fördern.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau das tun wir!)

Damit auch Berufstätige breiten Zugang zu Fort- und Weiterbildung haben, müssen endlich auch die Möglichkeiten der Arbeitszeitreduzierung ausgebaut und vereinfacht werden. Unser Konzept ist sozial gerecht. Denn es gilt der Grundsatz: Wer weniger hat, bekommt mehr – und umgekehrt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist das BAföG-Prinzip!)

Anders als beim Meister-BAföG sollen bei uns alle Menschen die Möglichkeit erhalten, beruflich aufzusteigen und sich persönlich weiterzuentwickeln; denn das ist zukunftsfähig. Auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, scheint ja langsam zu dämmern, dass diese Bundesregierung zu wenig tut, um Geringqualifizierte zu fördern.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Also wirklich!)

Ich habe Ihren Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 12. Februar dieses Jahres gelesen, Herr Kollege Rossmann, in dem es darum geht, wie eine sozial gerechte Weiterbildungsförderung aussehen könnte. Ich finde die Ideen gut. Daran sieht man: Auch eine Zeitung kann ein guter Ort sein, eigene Ideen darzustellen und zu kommentieren.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aber das kommt doch auch ins Parlament, Kollegin!)

Aber Sie sind Teil dieser Bundesregierung,

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was? Das ist mir neu!)

und Sie tragen Verantwortung, die Dinge hier zu verändern; denn entscheidend ist, was hier verändert und im Bundestag beschlossen wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es tut mir leid, aber allein von Gastbeiträgen und vom Fingerzeig auf einen unwilligen Koalitionspartner wird kein einziger Mensch mit schlechteren Startchancen besser gefördert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will abschließend die Seite 24 des Koalitionsvertrages zitieren:

Angesichts des demografischen Wandels ist das lebenslange Lernen so wichtig wie nie. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe wollen wir im Rahmen der „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ bewältigen.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja! Wir tun nichts anderes! – Martin Rabanus [SPD]: Das passiert auch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich dieser Aufgabe! Drehen Sie nicht nur an den kleinen Stellschrauben! Nutzen Sie die breite Allianz für Aus- und Weiterbildung! Bei den Gewerkschaften stoßen Sie doch sicher auf offene Ohren.

(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: In der Tat!)

Wir stimmen Ihrem Gesetzentwurf heute zu. Aber wir finden, bei der Weiterbildung bleibt noch einiges zu tun. Wir geben die Hoffnung nicht auf,

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch nicht!)

dass lebenslanges Lernen auch in der Großen Koalition ankommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Wir haben ja noch ein bisschen Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode!)

Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministerin Johanna Wanka das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6598370
Wahlperiode 18
Sitzung 159
Tagesordnungspunkt Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz
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