18.03.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 162 / Tagesordnungspunkt 22

Hiltrud LotzeSPD - Atomausstieg in Europa

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 26. April 1986, Tschernobyl, und der 11. März 2011, Fukushima, haben sich in das Bewusstsein stark eingegraben. Noch heute kämpfen wir mit den Folgen.

In Fukushima kämpft seitdem ein technisch hochentwickeltes Land – wenn man den Bildern folgen kann – etwas hilflos gegen die Folgen des Unfalls. Tschernobyl ist und bleibt eine Todeszone. Von dort kommen noch heute, 30 Jahre nach dem Unfall, Kinder nach Deutschland, auch in meine Region, nach Lüneburg, wo Ehrenamtliche aus Hilfsvereinen es ihnen ermöglichen, sich ein paar Wochen lang gesundheitlich zu stabilisieren und ihr Immunsystem wieder aufzubauen, damit sie dann für zwei Jahre in ihrer Heimat wieder ein halbwegs normales Leben führen können. Die Auswirkungen der beiden Atomkatastrophen sind also noch gegenwärtig und sind auch lange noch nicht überwunden.

Vor diesem Hintergrund erleben wir in dieser Woche, wie die Energiekonzerne in Karlsruhe gegen den Ausstieg aus der Hochrisikotechnologie Atomkraft klagen. Sie klagen auf Milliarden Euro Entschädigung für entgangene Gewinne, und man könnte den Eindruck gewinnen, dass bei Konzernen und Aktionären das Recht auf Gewinn weit höher eingestuft wird als das Recht der Menschen auf Unversehrtheit, auf Gesundheit und auf ihr Leben.

Die Geschichte des deutschen Atomausstiegs muss ich in diesem Kreise nicht wiederholen – wir alle kennen sie –: 2002 der rot-grüne Ausstiegsbeschluss, dann der schwarz-gelbe Rückfall in die Laufzeitverlängerung, nach Fukushima dann der endgültige Ausstieg. Während wir in Deutschland in einigen Jahren, 2022, Gott sei Dank endlich Schluss machen und das letzte Atomkraftwerk abschalten, setzen andere Länder weiter auf Atomkraft. Grenznah liegen alte, marode und störanfällige Reaktoren: Fessenheim, Tihange, Beznau in der Schweiz. Wenn dort ein Unfall passieren würde, dann würde das nicht nur die Menschen vor Ort betreffen, sondern eben auch uns in Deutschland. Nicht umsonst hält das Land Nordrhein-Westfalen 10 Millionen Jodtabletten vor – für einen Fall, der hoffentlich nie eintreten wird.

Es ist also wirklich höchste Zeit, mit dem europaweiten Ausstieg zu beginnen und bei unseren Nachbarn für den Ausstieg zu werben. Damit komme ich zu Ihrem Antrag, Herr Zdebel. Sie fordern unter anderem die Auflösung bzw. einseitige Kündigung des Euratom-Vertrags. Ich will deutlich sagen: Im Ziel, das auch da oben auf der Anzeigetafel steht – „Atomausstieg in Europa“ –, sind wir uns einig. Wir streiten oder diskutieren über den Weg dahin. Wir von der SPD wollen den Euroatom-Vertrag reformieren. Wir wollen ihn nicht einseitig kündigen, sondern wir wollen Einfluss behalten auf die Diskussionen in Europa und auf das, was bei unseren Nachbarn passiert. Wir wollen vor allen Dingen Informationen darüber haben.

(Beifall bei der SPD)

Da gibt es natürlich Dinge, die verbessert werden müssen. Wir wollen und brauchen höhere Sicherheitsstandards. Wir müssen den gegenseitigen Informationsaustausch verbessern. Wir wollen, dass eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird, wenn zum Beispiel tatsächlich die Laufzeit eines älteren Kraftwerks verlängert wird. All das sind Dinge, die wir gerne in einen reformierten Euratom-Vertrag schreiben würden. Wir sind der Überzeugung, dass es richtig ist, den Vertrag nicht zu kündigen, sondern unser Ziel auf dem Weg der Veränderung des Vertrages zu erreichen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben vielleicht in dieser Woche einen Artikel von Wolfgang Janisch in der Süddeutschen gelesen. Ich zitiere daraus:

Die Entscheidung für oder gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie ist allein dem Gesetzgeber überlassen. Ob das „Restrisiko“ noch hinnehmbar ist, das von den Atommeilern ausgeht, darüber entscheiden weder Aufsichtsbehörden noch Energiekommissionen, weder Wissenschaftler noch Fachbeamte.

Darüber entscheiden allein die gewählten Abgeordneten, die damit die Verantwortung dafür übernehmen, ob sie ihren Bürgern das „Restrisiko“ zumuten wollen …

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war noch nicht dabei; aber der Bundestag hat diese Verantwortung übernommen und den Ausstieg beschlossen. Wir sind davon überzeugt, dass es heute der richtige Schritt ist, unsere Kolleginnen und Kollegen in den anderen europäischen Parlamenten in Gesprächen und Verhandlungen davon zu überzeugen, dass der vermeintliche Vorteil preiswerten und sauberen Stroms

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorteil? Der ist teuer wie kein anderer! – Gegenruf des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: „Vermeintlich“!)

– vermeintlich! – es nicht wert ist, das vorhandene Rest­risiko einzugehen, und es richtig ist, ebenfalls Verantwortung für die eigene Bevölkerung und für alle in Europa zu übernehmen und auszusteigen.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Thema weiterarbeiten!

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Florian Oßner von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6680876
Wahlperiode 18
Sitzung 162
Tagesordnungspunkt Atomausstieg in Europa
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