Matthias BartkeSPD - Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Sommer 2014 gab es eine Koalitionsgruppe zur Flexirente. Die Arbeitsgruppe hatte damals länger als ein Jahr verhandelt. Unsere Fachsprecherin, Katja Mast, hatte das zum Anlass genommen, die Verhandlungsdauer mit der Schwangerschaft eines Nashorns zu vergleichen.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das Gesetz ist schöner als ein Nashorn!)
Nun debattieren wir heute nicht über Rentenfragen, sondern über Rechtsvereinfachungen im SGB II, und die basieren auf den Vorstellungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2014. Um bei den Dickhäutern zu bleiben: Die 540 Tage einer Nashornschwangerschaft haben wir schon überschritten, die zwei Jahre einer Elefantenschwangerschaft sind in Sicht. Es steht zu hoffen, dass wir sie nicht erreichen.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Im Vorfeld hat der bayerische Löwe Seehofer schon einmal gebrüllt. Löwen sind bekanntermaßen keine Dickhäuter. Herr Seehofer hat gesagt – das ist weniger spaßig –:
Das Verwässern der Sanktionen bei Drückebergern wird die CSU verhindern.
Ganz unabhängig vom Stil dieser Aussage ist sie inhaltlich falsch. Herr Seehofer bezog sich auf das Vorhaben unserer Ministerin Andrea Nahles, die verschärften Sanktionsregeln für unter 25-Jährige abzuschaffen und sie denen für ältere Arbeitsuchende anzupassen. Außerdem sollte die Kürzung bei den Kosten für Unterkunft und Heizung abgeschafft werden. Auf dieses Vorhaben hatten wir uns mit sämtlichen Experten bereits geeinigt. Gemeinsame Erkenntnis war: Die teilweise überharte Sanktionierung von Jugendlichen und die Streichung der Kosten für Unterkunft wirken kontraproduktiv. Herr Strengmann-Kuhn hat das eben durchaus zutreffend dargestellt. Deswegen sage ich: Schlecht gebrüllt, bayerischer Löwe!
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und? Konsequenz?)
Nach der Verweigerungshaltung der CSU hat sich unsere Ministerin Nahles entschieden, die Verbesserung des Sanktionsregimes vom restlichen Gesetzgebungsverfahren abzukoppeln; denn die anderen mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagenen Rechtsvereinfachungen sind dringend notwendig. Wir wollen die unnötige Bürokratie in den Jobcentern abbauen. Die Jobvermittler sollen die Chance haben, ihrer Berufsbezeichnung gerecht zu werden, und nicht ihre ganze Energie auf Verwaltungsvorgänge verwenden müssen.
Meine Damen und Herren von der Linken, erfreulicherweise konnten auch Sie sich durchringen, in Ihrem Antrag Vorschläge des Gesetzentwurfs zu begrüßen. Ich war, ehrlich gesagt, überrascht. Sie beziehen sich dabei insbesondere auf die Verlängerung der Dauer der Bewilligung der Bescheide auf zwölf Monate und die Einschränkung der Verpflichtung zur Krankmeldung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich sage Ihnen aber: Der Gesetzentwurf enthält noch deutlich mehr Verbesserungen. Leider haben Sie die nicht erkannt, und leider erheben Sie am Ende doch wieder nur Ihre alte Forderung, Sanktionen komplett abzuschaffen. Dabei war Ihr Antrag zu Beginn deutlich differenzierter. Sie haben ebenso wie ich kritisiert, dass die Sondersanktionen für Jugendliche und die Kürzung bei den Kosten der Unterkunft nicht abgeschafft werden.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung oder -frage von Herrn Birkwald von der Linken?
Da er das vorher schon so nett angekündigt hat, gerne.
Wie? So geht das aber nicht. So läuft das nicht – damit das ganz klar ist.
(Heiterkeit – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Abgesprochene Zwischenfragen? Wo gibt es denn so was?)
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Kollege Bartke, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben. Sie haben eben gesagt, dass Sie sich dafür aussprechen, die verschärften Sanktionen für Jugendliche abzuschaffen. Das erkenne ich ausdrücklich an, auch wenn ich alle Sanktionen abgeschafft haben will.
Ich frage Sie als SPD-Abgeordneten, weil die SPD das Familienministerium besetzt, warum Sie Alleinerziehende und Kinder mit diesem Gesetz so strafen. Ich zitiere aus der heutigen Ausgabe der Welt. Die Überschrift lautet:
Hartz-IV-Reform trifft vor allem Trennungskinder – Bundesregierung will Alleinerziehenden Geld streichen, wenn der Nachwuchs tageweise beim anderen Elternteil ist.
Die Kollegin Brantner hatte das Thema ja eben angesprochen. Es ist so, dass alleinerziehende Frauen, wenn sie das Kind für ein Wochenende zum Vater geben, Geld abgezogen bekommen. Das Kinderzimmer bleibt aber, die Zahnbürste bleibt, und alle anderen Aufwendungen für das Kind bleiben auch. Die Familienverbände sagen unisono: Das ist völliger Unsinn. Sie fordern im Gegenteil einen Umgangsmehrbedarf. Das fordert nicht nur ein Familienverband, sondern drei, und auch der Deutsche Juristinnenbund. Meine Frage an Sie, da die SPD die Familienministerin stellt: Warum belasten Sie Alleinerziehende, die zu 40 Prozent voll oder ergänzend auf Hartz IV angewiesen sind, mit diesem Gesetz so enorm? Ich finde, wir sollten etwas für Kinder und Jugendliche und für Alleinerziehende tun und sie nicht noch bestrafen.
(Beifall bei der LINKEN)
Um es vorab zu sagen: Die Frage war angekündigt, aber nicht der Inhalt der Frage. Deswegen sage ich Ihnen: Ich freue mich, dass Sie so konstruktiv an den Beratungen teilnehmen. Ich würde mich auch freuen, wenn Sie weiterhin so konstruktiv agierten
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Es wäre schön, wenn Sie etwas von den Vorschlägen übernehmen würden!)
und in den Ausschussberatungen zur Sache argumentierten. Ich will jetzt nicht ins Detail gehen.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt bin ich aber auch auf die Antwort gespannt! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In unserem Antrag ist ein Vorschlag dafür! Den kann man übernehmen!)
– Ich erläutere das nicht weiter. Es ist damit beendet.
Der Gesetzentwurf enthält noch deutlich mehr Verbesserungen.
Moment. War das jetzt die Antwort?
Das war die Antwort.
(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das war die Antwort?)
Ach so, gut.
Zum Thema Sanktionen haben Sie eine Kleine Anfrage gestellt, über deren Beantwortung durch die Bundesregierung letzte Woche in der Presse breit diskutiert wurde. Da fand sich unter anderem die Schlagzeile: Fast 40 Prozent der Klagen gegen Sanktionen sind erfolgreich. Ich sage Ihnen, Herr Birkwald, ausdrücklich Danke für diese Anfrage. Die Zahlen alarmieren auch uns. Jede unrechtmäßige Sanktion ist eine zu viel. Auf die Gründe dafür müssen wir ein Auge haben, und wir müssen daraus unsere Konsequenzen ziehen. Aber ich kann Ihnen schon jetzt sagen: Das wird nicht die Abschaffung der Sanktionen sein, wie Sie direkt wieder geschlussfolgert haben. In dieser Position hat uns die Mehrheit der Experten in der letztjährigen Anhörung bestätigt.
Mir ist besonders wichtig, dass die Beratung als ausdrückliche Leistung des Gesetzes in den vorliegenden Gesetzentwurf eingeführt wird. Die Beratung ist in der Vergangenheit oft zu kurz gekommen. Ich wünsche mir, dass der fördernde Charakter dieser Regelung gelebt werden wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Eine Beratung ist erst dann durch Wertschätzung geprägt, wenn sie auf Augenhöhe erfolgt. Unter dieser Voraussetzung kann sie den Leistungsempfänger darin unterstützen, seine Hilfebedürftigkeit zu überwinden: Welche Möglichkeiten zum Nachholen von Qualifikationen gibt es? Wo bestehen Chancen zum beruflichen Aufstieg?
Zukünftig soll außerdem für jeden erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Potenzialanalyse der bisherigen Eingliederungsvereinbarung vorgeschaltet werden. Individuelle Potenziale statt standardisierte Verwaltungspraxis haben hier neuen Raum. In der Eingliederungsvereinbarung wird dann festgelegt, in welche Tätigkeitsbereiche vermittelt werden soll. Damit können Vermittlungen unterhalb vorhandener Qualifikationen verhindert werden. Mit dem Gesetz entfällt in Zukunft auch die Darlehensregelung, wenn eine Maßnahme nach Wegfall der Hilfebedürftigkeit weiter gefördert wird. Den Teilnehmern wird es so erleichtert, die Maßnahme abzuschließen. Außerdem müssen sie nicht mit Schulden in die Erwerbstätigkeit starten.
Am Schluss noch zu einer mir besonders wichtigen Regelung, die auch schon Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller dargestellt hat. Auszubildende und Schüler, die BAföG erhalten, sollen künftig aufstockend Arbeitslosengeld II erhalten können. Wenn eine Ausbildung allein durch die Ausbildungsvergütung nicht finanziert werden kann, ist das meistens schon der Anfang vom Ende. Durch die Neuregelung werden Aufnahme und Absolvierung einer Ausbildung endlich erleichtert.
Uns liegt am Herzen, dass wir für die Leistungsempfänger Verbesserungen erreichen. Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Gesetzentwurf die besten Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Auch in meiner Fraktion sind wir noch nicht vollends zufrieden, und – Herr Schiewerling hat es eben angekündigt – wir werden noch über unterschiedliche Änderungswünsche gemeinsam diskutieren. Ich freue mich daher auf das Beratungsverfahren und setze auf die Zusammenarbeit auch mit Ihnen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])
Vielen Dank, Herr Kollege Bartke. – Der nächste Redner in der Debatte: Kai Whittaker für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6756061 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 165 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des SGB II - Rechtsvereinfachung |