29.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 168 / Tagesordnungspunkt 24+ZP6+7

Steffen KanitzCDU/CSU - Tschernobyl und Fukushima - Risiken der Atomkraft

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich ausdrücklich den Wünschen des Bundestagspräsidenten anschließen und Ihnen, Frau Ministerin, im Namen meiner Fraktion herzlich zum Geburtstag gratulieren. Als kleines Geburtstagsgeschenk haben wir Ihnen einen schönen Antrag der Koalitionsfraktionen mitgebracht,

(Zuruf von der LINKEN)

der Sie auf Ihrem Weg unterstützen soll, in Europa für höchste Sicherheitsstandards bei den Kernkraftwerken zu werben. Also, alles Gute für Ihre Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Fukushima und Tschernobyl sind Synonyme für zwei folgenschwere nukleare Unglücke geworden. Mit dem Antrag der Koalitionsfraktionen möchten wir einen Beitrag dazu leisten, dass die Erinnerung an beide Katastrophen wachgehalten wird. Wir gedenken der Opfer und trauern mit den Angehörigen, wir verneigen uns in Dankbarkeit und Respekt vor den vielen Helfern, die unmittelbar nach den Katastrophen beherzt eingegriffen und noch größeren Schaden vermieden haben. Viele von ihnen haben diesen Einsatz mit ihrem Leben bezahlt. Auch wenn die Einschätzungen über die Anzahl der Folgetoten auseinandergehen, sind wir uns, glaube ich, alle einig: Jedes einzelne Opfer war eines zu viel.

Es steht außer Frage, dass wir Japan und auch die Ukraine bei der Beseitigung der Folgen weiterhin unterstützen. Insbesondere in der Ukraine wollen wir bei der Bewältigung der medizinischen und sozialen Spätfolgen helfen. Für den Bau des neuen Sarkophags – die Ministerin hat es eben angesprochen –, der ab Ende 2017 die Umgebung vor weiterer Strahlung schützen soll, steuert allein Deutschland über 300 Millionen Euro bei.

Diese Unfälle mahnen uns auch weiterhin zu höchster Sorgfalt und Vorsicht im Umgang mit dieser Technologie. Wir müssen alles dafür tun, dass etwas Vergleichbares nicht wieder geschieht. Dabei gehen wir nicht von der Unfehlbarkeit des Menschen aus, sondern legen Sicherheitssysteme so aus – das erwarten wir auch –, dass sie auf Fehler angemessen reagieren. In Deutschland leisten wir unseren Beitrag dazu, indem wir über höchste Sicherheitsstandards verfügen, indem wir eine Forschung und eine Entwicklung auf internationalem Spitzenniveau haben und indem wir einen offenen Umgang mit Fehlern praktizieren.

Seit Inbetriebnahme des ersten Reaktors in Garching bei München im Jahr 1957 gab es keine schwerwiegenden nuklearen Vorfälle in kerntechnischen Anlagen in Deutschland. Deswegen möchte ich einen großen Dank an die Betriebsmannschaften der deutschen Kernkraftwerke aussprechen. Auch sie haben gute Arbeit geleistet. Das muss an dieser Stelle auch einmal gesagt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Rückblickend können wir ohne Schaum vor dem Mund feststellen, dass die Nutzung der Kernenergie einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik geleistet hat. Wir haben in dieser Zeit etliche Kompetenzen erworben, etwa im Betrieb von Kernkraftwerken, in der Bearbeitung von Sicherheitskonzepten und auch in der Erkundung.

Das Fachwissen dieser Betriebsmannschaften ist auch in Zukunft unabdingbar. Wir sollten heute nicht leichtfertig die Belegschaft in Gorleben entlassen, weil wir dann möglicherweise in fünf Jahren, wenn wir mit der Erkundung beginnen, feststellen müssten, dass wir das nötige bergmännische Know-how in unserem Land nicht mehr haben. Wir sollten hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitsichtig handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gerade als Folge unseres Ausstiegs wird das Thema „Kompetenz für den sicheren Rückbau von Kernkraftwerken“ immer wichtiger. Diesen bereits vorhandenen Sachverstand an den Standorten müssen wir bewahren und sollten ihn nicht schlechtreden. Dazu müssen wir gerade bei jungen Menschen für das Zukunftsfeld Rückbau Werbung machen. Wer sich einmal angesehen hat, wie ein Ringwasserbehälter mit Diamantseilsägen zerlegt wird, die extra zu diesem Zweck von der Betriebsmannschaft und den Ingenieuren konstruiert wurden, bekommt Lust darauf, bei dieser technisch anspruchsvollen Aufgabe mitzumachen.

Hierbei hat Deutschland eine Vorreiterrolle. Wir werden sie nur erhalten können, wenn wir weiterhin über ausreichend qualifiziertes Personal verfügen. Dazu brauchen wir auch weiterhin eine Offenheit gegenüber neuen Technologien. Wir brauchen auch weiterhin eine Forschungslandschaft, die sich nicht an Ideologie, sondern am Einfallsreichtum zukunftsbegeisterter Menschen orientiert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir brauchen eine Freiheit im Denken. Denn eine Einschränkung dieser Freiheit bedeutet, dass wir uns möglicher Zukunftschancen berauben.

Mir scheint, dass der Gedenktag zu Tschernobyl von interessierter Seite genutzt wird, um Ängste zu schüren.

(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

Dabei gerät die Wahrheit häufig unter die Räder.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Wahrheit denn? Fukushima? Die Störfälle in Deutschland?)

Anhand einiger kurzer Beispiele möchte ich das illus­trieren.

Das erste Beispiel ist Gundremmingen. Die Behauptung ist, es hätte einen Cyberangriff auf die in Betrieb befindlichen Reaktoren gegeben. Richtig ist: Es handelt sich um einen Rechner ohne Internetzugang, der nicht mit dem Betriebs- und Sicherheitssystem der Anlage verbunden ist. Der eigentliche Schutz der Reaktoren findet analog statt. Die Anlage war zu keinem Zeitpunkt gefährdet.

Das zweite Beispiel ist das Kernkraftwerk Fessenheim. Anfang März dieses Jahres erschien ein Bericht, demzufolge einer der „dramatischsten AKW-Unfälle in Westeuropa“ vorgefallen sei.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Atomkraft ist total sicher, oder?)

Richtig ist: Selbst die grün-geführte Landesregierung in Baden-Württemberg hat schon 2014 bestätigt, dass der Vorfall ordnungsgemäß gemeldet wurde, die richtigen Maßnahmen eingeleitet und die notwendigen Informationen veröffentlicht wurden. Ich stelle fest: Es war eine Falschmeldung.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, Atomkraft ist total sicher? – Gegenruf von der CDU/CSU: Hat er ja nicht gesagt!)

Ich komme nun zum Lieblingsbeispiel der letzten Wochen, zum Forschungszentrum Jülich. Ein Redaktionsnetzwerk meldete, Terroristen hätten Unterlagen über das Forschungszentrum Jülich gesammelt. Der Präsident des Verfassungsschutzes habe Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums über mögliche Anschlagspläne informiert. Richtig ist: Weder hat der Verfassungsschutz Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums über solche Vorgänge informiert, noch hatten das Bundes- und entsprechende Landesinnenministerium Kenntnis über solche Vorgänge. Diese Meldung ist frei erfunden.

Sie können in Deutschland alles behaupten. Solange es um Kernkraft geht, können Sie davon ausgehen, dass jede Meldung ungeprüft übernommen und verteilt wird,

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Ihre Rede nicht!)

sofern es sich um die Risiken der Kernkraft handelt.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)

Ein solches Vorgehen ist unzulässig und hat mit seriösem Journalismus nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lügenpresse?)

Ich will noch kurz auf ein Lieblingsthema der Opposition eingehen, den Euratom-Vertrag. Auch wenn Sie es nicht gern hören: Gerade der so häufig kritisierte Euratom-Vertrag leistet vor allem durch die Richtlinie über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen einen wesentlichen Beitrag zu den von Ihnen geforderten höheren Sicherheitsstandards in Europa. Ziel ist es, die nukleare Sicherheit in Europa aufrechtzuerhalten und in allen Ländern zu verbessern. Ich denke, dieses in der Richtlinie verankerte Ziel entspricht genau unseren Interessen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Schon deshalb wäre es kontraproduktiv, den Euratom-Vertrag zu kündigen, unabhängig davon, dass wir dann auch sämtliche Mitspracherechte in internationalen Gremien verlieren.

Wenn wir über Sicherheit sprechen, dann gilt das nicht nur für den Betrieb von nuklearen Anlagen, sondern insbesondere auch für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Hier laufen derzeit zwei Prozesse, die mich hoffen lassen, dass das Jahr 2016 als das Jahr in die Geschichtsbücher eingehen wird, in dem die noch offenen Fragen der Finanzierung des Kernenergieausstiegs auf der einen Seite und der Standortsuche auf der anderen Seite gelöst wurden.

Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs hat in dieser Woche erste Ergebnisse zur Finanzierung der Endlagersuche vorgestellt, die man durchaus als historisch bezeichnen kann. Ich danke allen Beteiligten und gratuliere zu dem Ergebnis, das eben genau dem Verursacherprinzip entspricht und deutlich macht, dass wir natürlich einen Risikoaufschlag auf all die Rückstellungen, die jetzt schon gebildet worden sind, nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist jetzt an der Endlagerkommission, den letzten großen Meilenstein zu bewältigen. Ich bin durchaus optimistisch, dass wir das schaffen werden. Wir tagen nun seit zwei Jahren in intensiven Gesprächen und haben auf einem guten Weg des Vertrauens zusammengefunden. Der Grundkonsens, der uns alle einigt, war: Wir wollen einen Neustart der Endlagersuche auf Basis der weißen Landkarte. Das bedeutet für die CDU/CSU-Fraktion, dass alle Standorte gleichbehandelt werden. Gorleben muss sich wie jeder andere Standort auch an den wissenschaftlichen Kriterien messen lassen und kann nicht aufgrund von politischen Vorfestlegungen vorsorglich aus dem Verfahren genommen werden. Damit würden wir genau die Kritik bestätigen, die im Vorhinein an Gorleben geübt wurde. Wir können nicht alle Bundesländer für ein Verfahren der Endlagersuche öffnen und ein einziges Bundesland ausschließen. Das entspricht nicht dem Prinzip der weißen Landkarte. Das ist mit der CDU/CSU-Fraktion nicht zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kollegin Kotting-Uhl erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6794487
Wahlperiode 18
Sitzung 168
Tagesordnungspunkt Tschernobyl und Fukushima - Risiken der Atomkraft
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta