29.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 168 / Tagesordnungspunkt 26

Andreas MattfeldtCDU/CSU - Petitionen zum Thema „Arbeitslosengeld II“

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich nun auf den Sachverhalt zur Abschaffung von Sanktionen für SGB-II-Empfänger eingehe, lassen Sie mich erst einmal ein wenig über die Sinnhaftigkeit dieser heutigen Debatte sprechen. Sie lässt mich schon ein wenig zweifeln, ob Sie, die Linke, überhaupt daran interessiert sind – Kollege Schiefner hat es eben gesagt –, allen Petenten die gleiche Aufmerksamkeit zuzubilligen, oder ob Sie nur dort aktiv sind, wo es Ihnen politisch in den Kram passt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)

Aus gutem Grund war und ist es gängige Praxis, die Sammelübersichten zu Petitionen nicht im Plenum des Bundestages, sondern im zuständigen Ausschuss zu beraten. Über jede einzelne Petition hier im Plenum zu debattieren – das muss man einfach sagen –, wäre weder inhaltlich noch organisatorisch noch zeitlich zu leisten. Dann müsste sich das Plenum des Bundestages nur noch mit Petitionen befassen.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das wäre toll!)

Darum sind die Petitionen im Petitionsausschuss genau richtig aufgehoben. Dort haben wir den Raum, um auf sachlicher Ebene auf jede Petition einzugehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Kommen wir einmal zu einem Beispiel in der Übersicht. In der Petition 60 schreibt der Petent in der Begründung zur Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen, diese seien unverantwortlich gegenüber den Einzahlern. Wissen Sie, als Familienvater, als Haushaltspolitiker, aber vor allem auch als jemand, der nicht sein ganzes Leben im oder vom öffentlichen Dienst gelebt hat, interpretiere ich es für die fleißigen Einzahler genauso, aber natürlich in eine andere Richtung.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Angestellten dort zahlen übrigens auch ein!)

Auch ich sage: Eine Abschaffung von Sanktionen ist unverantwortlich und setzt genau das falsche Signal. Deshalb ist Ihre Forderung hier heute ganz deutlich abzulehnen.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Tosender Beifall!)

Eine Abschaffung der Sanktionen wäre unverantwortlich gegenüber denjenigen, die jeden Tag hart arbeiten, damit dieser Sozialstaat und damit auch die Hartz-IV-Leistungen finanziert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wollen Sie denn damit sagen?)

Im Sinne des Forderns und des Förderns wollen wir Hartz-IV-Beziehern helfen, wieder eine Arbeit zu bekommen. Die gute Lage am Arbeitsmarkt mit der geringsten Zahl an Arbeitslosen seit 25 Jahren und der höchsten Zahl der Beschäftigten – es sind fast 44 Millionen Menschen – und 640 000 offenen Stellen bietet hierzu eine ausgesprochen gute Ausgangslage.

(Günter Baumann [CDU/CSU]: Genau!)

Dies war nicht immer so. Ich gebe ja zu, dass es 2005 bei über 5 Millionen Arbeitslosen weitaus schwieriger war, nach Verlust des Jobs wieder in der Arbeitswelt Fuß zu fassen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was will er uns damit sagen?)

Heute sieht das zum Glück anders aus, dank kluger Politik und auch dank der Einführung der Hartz-IV-Gesetze, die wir, die Union, immer mitgetragen haben. Sie von den Grünen haben sie übrigens mit eingeführt; davon wollen Sie heute anscheinend nichts mehr wissen.

(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Manche sind eben einsichtig! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind ja lernfähig! – Günter Baumann [CDU/CSU]: Das haben sie vergessen!)

Heutzutage fällt es auch bei geringerer Qualifikation erheblich leichter, einen Job zu finden, als 2005. Als Unternehmer in der Lebensmittelbranche weiß ich, wovon ich hier spreche.

Meine Damen und Herren, der Steuerzahler investiert erheblich, um gerade von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Menschen mit Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen zu helfen. Dies geschieht natürlich in der Erwartung, dass diese Maßnahmen dazu beitragen, dass der von Arbeitslosigkeit Betroffene – man darf übrigens sagen: auch mit eigener Anstrengung – wieder einen Job findet.

Ihr Vorschlag, keine Sanktionen auszusprechen, wenn zum Beispiel vereinbarte Termine beim Jobcenter ignoriert, Weiterbildungsmaßnahmen grundlos abgebrochen oder Vorstellungstermine nicht wahrgenommen werden, würde bedeuten, dass wir die Hälfte des Prinzips „Fördern und Fordern“ einfach streichen. Das Fordern, das zumindest bei den meisten Menschen auch notwendig ist – das gilt übrigens auch für mich ganz persönlich –, fände dann nicht mehr statt. Wenn Sie die Sanktionen abschaffen, fordern Sie die Menschen nicht mehr. Das bedeutet für mich, Sie geben diese Menschen de facto auf.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch! Was für eine absurde Argumentation! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch absurd, Herr Mattfeldt!)

Wir von der Union geben keinen Menschen auf, auch und gerade, weil wir wissen, dass es Lebenssituationen gibt, die nicht einfach sind.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist echte Argumentation!)

Meine Damen und Herren, ich kann und will den fleißigen Mitarbeitern in unserem Unternehmen nicht erklären, warum sie jeden Tag pünktlich zur Arbeit erscheinen müssen, während ein Hartz-IV-Empfänger, wenn es nach Ihnen ginge, ohne jede Gegenleistung bedingungs- und sanktionslos jeden Monat sein Geld bekommen soll.

(Dagmar Ziegler [SPD]: So ist es!)

Ich weiß, Sie wollen das nicht hören – einige, gerade die Mitglieder des Petitionsausschusses, wissen, dass ich Mitglied im Club der deutlichen Aussprache bin; daher müssen Sie das ertragen –: Ja, ich habe es in unserem Unternehmen leider nicht nur einmal erlebt, dass es eben auch Langzeitarbeitslose gibt, denen man eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt bzw. eine Chance, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren, geben möchte, diese aber häufig nicht einmal zum Vorstellungsgespräch erscheinen oder schon nach ein oder zwei Tagen – bitte verzeihen Sie meine Ausdrucksweise – einfach ab und an keinen Bock mehr haben, zu arbeiten.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Mattfeldt, das sind ganz miese Unterstellungen!)

Natürlich – das weiß ich – ist das nicht die Mehrheit. Aber gerade für diese schwierigen Fälle brauchen wir Sanktionen, übrigens auch – diese Menschen vergessen Sie in Ihrer Argumentation immer –, um uns vor diejenigen zu stellen, die ernsthaft daran interessiert sind, wieder einen Job zu finden. Das ist zum Glück die große Mehrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Kollege Mattfeldt, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung der Kollegin Müller-Gemmeke?

Aber selbstverständlich.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, dass ich eine Frage stellen darf.

Nachdem ich Ihrer Rede eine Weile zugehört habe, habe ich immer mehr den Eindruck, dass Sie indirekt, zwischen den Zeilen, permanent den Eindruck erwecken wollen, als wenn die Sanktionen notwendig wären, weil Langzeitarbeitslose in der Regel einfach nicht arbeiten wollen.

(Günter Baumann [CDU/CSU]: Das hat er überhaupt nicht gesagt! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Nein, das stimmt nicht! – Er hat doch gesagt, das ist die Ausnahme!)

– Das schwingt für mich die ganze Zeit mit.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, weil Sie das gerne so hätten!)

Daher möchte ich nachfragen, ob das wirklich Ihre Haltung und Ihre Meinung ist.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Nein!)

Zum Zweiten möchte ich fragen, ob Sie wirklich meinen, dass die Strukturen momentan so ausgestaltet sind, dass Langzeitarbeitslose tatsächlich passende Angebote, Chancen bekommen und dass ihnen Perspektiven eröffnet werden. Denn trotz guter Konjunktur – Sie haben das ausgeführt – ist es definitiv so, dass sich die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt hat. Da muss man sich die Strukturen und die Mittel doch einmal anschauen und überlegen, wie so etwas passieren kann.

(Beifall der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Katja Kipping [DIE LINKE])

Liebe Frau Müller-Gemmeke, vielleicht haben Sie nicht richtig zugehört.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)

Sie interpretieren meine Worte so, wie Sie es gerne hätten. Die Lebenswirklichkeit sieht eben anders aus, als Sie sie darstellen. Gerade wir von der Union stellen sehr viel Geld für Weiterbildungsmaßnahmen bereit, um die Langzeitarbeitslosen, bei denen es manches Mal wirklich Vermittlungshemmnisse gibt, so zu qualifizieren, dass sie eine Arbeit bzw. eine Beschäftigung aufnehmen können.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat sich die Langzeitarbeitslosigkeit dann verfestigt?)

Frau Müller-Gemmeke, wir wissen aber, dass der Mensch so ist, wie er ist. Der Mensch braucht das ein oder andere Mal – gerade wenn er seit vielen Jahren beschäftigungslos ist – auch einen gewissen Druck, damit er Termine wahrnimmt, zu Vorstellungsgesprächen erscheint und diese Maßnahmen aufnimmt, und ich darf Ihnen sagen: Wenn die Gesellschaft bereit ist, dem jeweiligen in Not befindlichen Menschen Mittel für einen vorübergehenden Zeitraum zu geben, dann ist es doch nun wirklich nicht zu viel verlangt, dass dieser Mensch dann auch etwas zurückgibt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn hier jemand etwas missverstehen will, dann versteht er das Prinzip „Leistung – Gegenleistung“ nicht.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Anreize“!)

– Nun bin ich dran, Frau Müller-Gemmeke. Wir sollten hier kein Zwiegespräch führen. Ich glaube, das wäre nicht im Sinne des Plenums.

Frau Müller-Gemmeke, ich komme aus der Wirtschaft und weiß sehr wohl, dass es heute Stellen gibt, die eben nicht für jeden Langzeitarbeitslosen geeignet sind. Wir können aber doch nicht die Augen davor verschließen, dass wir in Deutschland 640 000 unbesetzte Stellen haben, und das sind nicht nur hochqualifizierte Stellen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also dann stimmt doch was mit den Strukturen nicht!)

Diese Stellen können auch Langzeitarbeitslosen angeboten und von ihnen in Anspruch genommen werden.

(Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt Platz – Cajus Caesar [CDU/CSU], an Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Aufstehen! – Gegenruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat lang genug herumgeschwafelt! Er hat nicht geantwortet!)

Meine Damen und Herren, vielleicht sollten wir jetzt auch einmal die Fakten betrachten. Gerade bei den Ausführungen der Grünen und der Linken hat man den Eindruck, als würde in Deutschland permanent sanktioniert werden. Das ist eben nicht Fall. Im Gegenteil: Wir müssen uns manchmal fragen, ob wir hier nicht sogar zu großzügig sind.

Sie wissen ganz genau, dass eben nicht immer beim ersten Versäumnis, sondern in fast allen Fällen erst nach der dritten Ermahnung sanktioniert wird.

(Cajus Caesar [CDU/CSU]: Ja!)

Lediglich 3 Prozent der SGB‑II-Empfänger wurden 2015 sanktioniert. Allein hieran sehen Sie, dass diese Motivationshilfe sehr zurückhaltend eingesetzt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken und – das muss ich jetzt auch sagen – der Grünen, es bleibt wohl dabei, dass wir von der Union uns um die Langzeitarbeitslosen, die enorme Anstrengungen unternehmen, um wieder einen Job zu finden, und um diejenigen kümmern, die diese sozialen Errungenschaften mit harter Arbeit finanzieren, während Sie ausschließlich die Interessen derjenigen vertreten, die einfach keinerlei Anstrengungen unternehmen wollen, um wieder einen Job zu bekommen.

(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sind die Vorschläge, Sanktionen abzuschaffen, abzulehnen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Vielen Dank! Ihre Rede werden wir weitertragen!)

Ich schließe die Aussprache.

Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich Ihnen zur Kenntnis: Mir liegen sieben persönliche schriftliche Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor. Entsprechend unseren Regeln nehmen wir sie zu Protokoll.

Ich gebe das Wort an die Kollegin Kerstin Kassner zu einer persönlichen Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6794777
Wahlperiode 18
Sitzung 168
Tagesordnungspunkt Petitionen zum Thema „Arbeitslosengeld II“
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