12.05.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 170 / Tagesordnungspunkt 12

Daniela KolbeSPD - Rentenrecht für DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge

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Sehr geehrter Herr Präsident! Es ist sehr freundlich, dass Sie hier keinen Redner spontan nach vorne rufen. Ich glaube, es wäre eine gewisse Überforderung, zu diesem Thema spontan und frei eine Rede halten zu müssen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dies ist ein sehr spannendes Thema. Insofern freue ich mich über ein bisschen Aufmerksamkeit. – Es geht jetzt in zweiter Lesung um einen Antrag, der sich mit DDR-Altübersiedlern und DDR-Flüchtlingen befasst. Es reden genau die gleichen Rednerinnen und Redner wie bei der ersten Lesung. Man könnte jetzt sagen, dass das alles nur ein Ritual ist, dass das Gleiche noch einmal aufgeführt wird. Dazu muss ich ganz klar sagen: Nein, das ist nicht der Fall. Wir von der SPD-Fraktion haben intern sehr intensiv diskutiert. Wir haben mit Betroffenen gesprochen, und wir haben auch gestern im Ausschuss äußerst intensiv und tiefgründig über dieses komplizierte Thema gesprochen. Ich finde, das war dem Anlass, dem Thema angemessen. Ich finde es sehr gut, dass wir das so gemacht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Als erste Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt will ich versuchen, Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, die Sie vielleicht zufällig gerade dieser Debatte zuhören, in wenigen Sätzen zu erklären, um was es geht: Das ist eigentlich ein Thema, das extrem viele Menschen betrifft, nämlich diejenigen, die vor dem Fall der Mauer die DDR als Flüchtlinge verlassen haben, die freigekauft worden sind oder geflohen sind. Denen ist in der BRD versprochen worden: Liebe Leute, wir behandeln euch rentenrechtlich so, als hättet ihr euer Arbeitsleben in der BRD verbracht. Das dazugehörige Recht ist das Fremdrentenrecht. Dann kam die Wiedervereinigung – wir waren froh und glücklich –, und seitdem werden diese Menschen hinsichtlich der Zeit, während der sie in der DDR gelebt haben, so behandelt wie andere ehemalige DDR-Bürgerinnen und -Bürger auch. Es wird also geguckt: Was haben sie real einbezahlt? Das wird hochgewertet, und dann haben sie ihre Rentenpunkte. Real bedeutet das, dass viele Einbußen hinnehmen mussten – viele, aber nicht alle.

Seit der ersten Lesung haben wir aus meiner Sicht einige Punkte hinsichtlich dieser schwierigen Lage klären können. Es war ja lange unklar – viele Betroffene sagen das mittlerweile auch –, wann das Gesetz geändert worden ist und ob die Regelung, dass DDR-Übersiedler nach SGB VI behandelt werden, überhaupt geltendes Recht ist. Wir haben in die historischen Bücher geschaut und festgestellt: Natürlich hat das stattgefunden. Mit dem Rentenüberleitungsgesetz wurde 1992 der Bezug zum SGB VI hergestellt. In § 256 a SGB VI – Entschuldigung, dass das so technisch ist – wurde beschrieben, wie Rentenanwartschaften für Beitragszeiten im Beitrittsgebiet, also in der DDR, zu behandeln sind. Damit galt dieses Recht auch für die DDR-Flüchtlinge und für die Übersiedlerinnen und Übersiedler, zumal zeitgleich auch das Fremdrentengesetz geändert und die entsprechende Gruppe dort gestrichen worden ist. Es finden sich auch ein paar Zitate zu diesem Vorgang in den Ausschussprotokollen. Man muss aber wirklich kramen und suchen.

Es zeigt sich also erstens: Ja, das Gesetz gilt so, wie wir hier darüber diskutieren. Ich denke, das sollte die Grundlage der Debatte sein. Es zeigt sich zweitens aber auch, dass wir hier über etwas reden, was schwerlich als Glanzstunde des Parlamentarismus bezeichnet werden kann; denn hier ist eine sehr weitreichende Änderung für eine große Menschengruppe vorgenommen worden, und die betroffenen Menschen sind im Rentenüberleitungsgesetz quasi als blinde Passagiere mitgereist. Es wurde nicht intensiv darüber gesprochen und diskutiert. Vielen Betroffenen ist erst sehr viel später bewusst geworden, was hier passiert ist.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl wahr!)

Aus meiner Sicht war das also keine Glanzstunde des Parlamentarismus, und womöglich – das muss man rückblickend sagen – ist dabei auch eine falsche Entscheidung getroffen worden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Wir als SPD-Fraktion haben uns damit auseinandergesetzt und den Antrag eingebracht, den Sie uns jetzt – copy and paste – wieder vorlegen. Wir haben zwischenzeitlich sehr intensiv darüber diskutiert und geschaut, wie man eine solche Regelung wiedergutmachen könnte. Wir sind zu der Feststellung gekommen, dass ein Zurückdrehen des Rentenrechts an dieser Stelle nicht funktioniert. Wir sind zu keiner Lösung gekommen, mit der wir einerseits der Gruppe Genüge tun und andererseits nicht sehr viele Ungerechtigkeiten neu aufmachen. Ich habe das hier in meiner Rede in der ersten Lesung intensiv ausgeführt.

Ich will noch auf einen Punkt eingehen, der in der ersten Lesung ein bisschen zu kurz gekommen ist. Das ist das Thema „Benachteiligung von Frauen im Fremdrentengesetz“. Ich möchte ein Beispiel nennen. Viele von uns haben die Petition einer Frau bekommen, die vor 1937 geboren ist. Für diese Gruppe – es gibt im Rentenrecht ja unzählige Ausnahmen – gilt nun gerade noch übergangsweise das Fremdrentenrecht. Sie ist in den 80er-Jahren übergesiedelt und schreibt uns, dass sie gerade nicht nach Fremdrentenrecht behandelt werden möchte – danach wird sie gerade behandelt –, weil sie nach dem SGB VI, also dem normalem Rentenrecht, 17 Prozent mehr Rente beziehen würde. Das macht noch einmal deutlich: Das Fremdrentenrecht benachteiligt Frauen im Vergleich zum SGB VI ganz deutlich, weil es unterstellt, die Menschen hätten ihr Erwerbsleben in der BRD verbracht. In der BRD haben Frauen deutlich weniger verdient als in der DDR, wo gleicher Lohn Realität war.

Das hat auch der Ausschussdienst 2010 festgestellt. Ich zitiere: Bei Facharbeiterinnen und ungelernten landwirtschaftlichen Hilfskräften ist das geltende Recht teilweise günstiger als die Anwendung des Fremdrentenrechts. – Für die Gruppe der vor 1937 Geborenen ist die Günstigerprüfung nicht vorgesehen – in dem Antrag steht das nicht so –, und die Günstigerprüfung für nach 1937 Geborene würde in allererster Linie Männer begünstigen.

Das schlagendste Argument bleibt aber die Frage der Spätaussiedler, für die weiterhin das Fremdrentenrecht gilt. Also für Deutsche aus der Sowjetunion oder aus Siebenbürgen, die später gekommen sind, gilt das Fremdrentenrecht weiter. Hier wurde aber mittlerweile auf 60 Prozent der Listenwerte abgesenkt.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die meisten sind nach 1991 gekommen!)

Wenn man sich aus Sicht eines Spätaussiedlers anschaut, dass DDR-Übersiedler wieder nach Fremdrentenrecht mit 100 Prozent bewertet würden, wird klar, dass sehr viele dieser deutschen Staatsangehörigen dies zu Recht als eine Riesenungerechtigkeit empfinden würden. Das ist einer der Hauptgründe, warum wir sagen, dass der Antrag, wie er vorliegt, jedenfalls nicht zu gesamtgesellschaftlicher Gerechtigkeit führt,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Legen Sie etwas Besseres vor!)

sodass wir bei aller Sympathie für die Gruppe und bei allem Mitempfinden für das entstandene Leid der Personen, insbesondere für diejenigen, die damals lange in Haft waren und dann freigekauft wurden oder geflohen sind, diesem Antrag nicht zustimmen können; denn wir sehen darin keine gesamtgesellschaftliche Lösung des Problems. Deshalb werden wir Ihren Antrag nach intensiver und emotionaler Debatte ablehnen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6831869
Wahlperiode 18
Sitzung 170
Tagesordnungspunkt Rentenrecht für DDR-Altübersiedler und -Flüchtlinge
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