Ralph BrinkhausCDU/CSU - Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Hajduk, ich hätte mir gewünscht, dass Sie in Ihrem Wortbeitrag ein bisschen mehr die Rolle der Bundesländer in diesem ganzen Spiel beleuchten. Ich glaube, wir sind uns hier im Deutschen Bundestag in vielen Punkten, übrigens parteiübergreifend, sehr einig, etwa was das Budgetrecht und die finanziellen Kapazitäten des Bundes angeht. Aber das Problem ist: Wir haben 16 Ministerpräsidenten. Wir können hier so viele Gesetzentwürfe einbringen, wie wir wollen. Aber das ist eine Geschichte, die wir nur gemeinsam zustande bringen, und darüber, wie das gelingen kann, gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Vielleicht noch einmal zur Erklärung: Was sind überhaupt Bund-Länder-Finanzbeziehungen? Dabei geht es um die Aufteilung der Steuergelder zwischen dem Bund auf der einen Seite und den Ländern und Kommunen auf der anderen Seite und um die Aufteilung der Steuereinnahmen, die den Ländern zufallen, zwischen den einzelnen Bundesländern. Das hört sich jetzt sehr einfach an. Aber das, was über die Jahrzehnte dabei herausgekommen ist, ist ein Konstrukt, das so intransparent und kompliziert ist, wie ich es in der Politik eigentlich noch nie gesehen habe. Wenn Sie sich dazu einmal eine Aufzeichnung mit Strichen und Kästchen machen würden, dann würde jedes Burda-Schnittmuster dagegen verblassen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Ganze ist mit unglaublich vielen Ausnahmen und Rückausnahmen gesegnet. Dieses System ist nicht nur intransparent und kompliziert, sondern es ist auch absurd. Um Ihnen dafür ein Beispiel zu nennen: Irgendjemand ist einmal auf die Idee gekommen, dass es Bundesländer gibt, die eigentlich kein Geld haben, sich ein eigenes Parlament oder eine Landesvertretung hier in Berlin zu leisten, weil sie zu klein sind. Diese Länder haben besonders hohe Kosten der politischen Führung im Vergleich zu ihrer Einwohnerzahl. Es ist gesagt worden: Da muss der Bund eingreifen. – Das könnte man ja bei Bundesländern wie Bremen verstehen – ob wir es gutheißen, ist eine andere Frage. Fakt ist: Momentan bekommen 10 von 16 Bundesländern diese Zuweisung, weil sie besonders hohe Kosten der politischen Führung haben. Diese Zuweisung geschieht nach einem System, das vorsieht, dass Rheinland-Pfalz mehr Geld bekommt als das etwa gleich große Sachsen. Hamburg, das noch viel kleiner ist, bekommt überhaupt nichts.
Das heißt, dieses System ist hinreichend absurd und gehört dringend reformiert, und zwar nicht nur punktuell und minimal-invasiv, sondern grundlegend: Es muss sozusagen auf einen Stock gesetzt und neu aufgebaut werden. Ich befürchte nur, dass wir mit unserer föderalen Verfassung dazu nicht mehr in der Lage sind und deswegen mit der ganzen Sache anders umgehen müssen.
Man könnte jetzt den ganzen Nachmittag darüber sprechen, aber ich fasse es einmal kurz zusammen, indem ich mit vier Irrtümern aufräumen, auf einen Vorschlag eingehen, zwei Fragen stellen möchte und dann zum Schluss kommen werde.
Ich fange einmal mit den vier Irrtümern an.
Erster Irrtum. Es wird ja immer so getan, als würden die Steuerzuwächse, die wir haben – die liegen im zweistelligen Milliardenbereich pro Jahr –, ausschließlich beim Bund liegen. Wenn man den einen oder anderen Landesfinanzminister hört, denkt man immer, der Herr Schäuble hat Steuerzuwächse, und die Länder haben nichts. Weit gefehlt. Von den Steuerzuwächsen, die wir haben, entfallen pro Euro ungefähr 60 Cent auf Länder und Kommunen und 40 Cent auf den Bund.
Zweiter Irrtum. Es wird immer so getan, als seien Länder und Kommunen arm und der Bund reich. Fakt ist: Die Verschuldung beträgt ungefähr 1,3 Billionen Euro beim Bund und 0,8 Billionen Euro bei den Ländern und Kommunen. Bei der Pro-Kopf-Verschuldung sind nur Bundesländer wie Bremen und das Saarland noch schlechter als der Bund. Es ist auch eine Wahrheit, dass wir da mit mehreren Hundert Milliarden Euro auseinanderliegen.
Dritter Irrtum. Es wird ja immer so getan, als täte der Bund nichts für die Kommunen. Das ist in unserem Grundgesetz eigentlich auch so vorgesehen.
(Zuruf der Abg. Anja Hajduk [Bündnis 90/Die Grünen])
Danach darf der Bund auch gar nichts für die Kommunen tun, weil die Kommunen Bestandteil der Länder sind und die Länder dafür zuständig sind, dass die Kommunen genug Geld haben. Nichtsdestotrotz tut der Bund für die Kommunen etwas. Wir haben die Kosten für die Grundsicherung im Alter übernommen – das ist ein satter zweistelliger Milliardenbetrag allein in dieser Legislaturperiode –, wir sind stärker in die Übernahme der Kosten der Unterkunft eingestiegen – das sind auch ungefähr 5 Milliarden Euro –, wir sind in den ganzen Kitabereich eingestiegen – das sind ebenfalls über 5 Milliarden Euro. Wenn Sie die Fortführung der Gemeindeverkehrsfinanzierung, die Entflechtungsmittel für den Städtebau und die diversen Investitionspakete nehmen, dann sind wir bei weit über 15 Milliarden Euro.
Dann müssen wir noch sehen, dass wir bei den Regionalisierungsmitteln – wir haben gestern die Debatte geführt – wohl auch noch kein Ende gefunden haben und dass da auch schon wieder Wünsche vorgetragen werden – der öffentliche Personennahverkehr betrifft auch die Kommunen –, obwohl wir auch hier in dieser Legislaturperiode schon mehr als 1 Milliarde Euro draufgelegt haben.
Das heißt, wir haben ein richtig sattes Paket für Länder und Kommunen geschnürt, wobei die Bildungsausgaben – BAföG und solche Sachen – noch nicht einmal darin enthalten sind.
Dazu nur zwei Bemerkungen: Erstens. Jedes Mal, wenn wir etwas machen, heißt es, wir brauchen noch mehr. Und zweitens. Danke hat auch noch niemand gesagt. Das heißt, wir geben von unseren eigenen Mitteln, von diesen 40 Cent von jedem Steuer-Euro – 60 Cent gehen woandershin –, noch eine Menge ab, um es den Ländern und Kommunen zu ermöglichen, ihren Aufgaben nachzukommen.
Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zu dem vierten Irrtum, der Bund tue nichts im Bereich der Sonderaufgabe Migration. Wenn man sich einmal anschaut, was im Bundeshaushalt an verschiedenen Stellen – von der Fluchtursachenbekämpfung in den Herkunftsländern bis zur Finanzierung von Migration in diesem Land – aufgewandt wird, dann sind wir auch bei 16 Milliarden Euro in diesem Jahr. Das Ganze steigt bei moderat steigenden Migrationszahlen auf 20 Milliarden Euro an. Darin sind solche Sachen enthalten wie die, dass wir für jede Asylbewerberin und jeden Asylbewerber trennscharf 670 Euro pro Kopf und Monat geben. Ich hoffe, das wird auch an die Kommunen weitergereicht.
Das geht noch weiter: Wenn die Asylbewerberin bzw. der Asylbewerber aus dem Asylverfahren heraus ist, bekommt sie bzw. er Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern, die weitestgehend vom Bund finanziert werden – vielleicht bis auf die Kosten der Unterkunft. Wir haben im Haushaltsausschuss auch Pakete für die Bereiche unbegleitete Jugendliche, Städtebau und Kita geschnürt. Nicht zuletzt gibt der Bund auch sehr viel für Sprachförderung und entsprechende Dinge aus.
Es ist nicht kleinzureden, was da seitens der Kommunen gemacht wird, weil es großartig ist, mit welcher Opferbereitschaft diese Herausforderungen im Bereich der Migration angenommen worden sind und wie die entsprechenden Maßnahmen auch bezahlt worden sind und bezahlt werden. Aber es ist ein Irrtum, anzunehmen, dass der Bund nicht dabei ist.
Das waren die vier Irrtümer.
Jetzt kommt der eine Vorschlag: Der Vorschlag der Länder vom Dezember des letzten Jahres, auf den Sie ja auch Bezug genommen haben, ist erstens nicht sonderlich hilfreich, weil er die Grundprobleme und Fehlanreize in diesem System nicht beseitigt.
(Zuruf der Abg. Anja Hajduk [Bündnis 90/Die Grünen])
Und dieses Burda-Schnittmuster wird auch nicht wesentlich unkomplizierter. Das ist das erste Manko.
Das zweite Manko ist, dass dieser Vorschlag der Länder nur funktioniert, wenn der Bund zusätzlich zu dem, was ich Ihnen eben noch einmal erläutert habe, über 9,5 Milliarden Euro auf den Tisch legt. Dabei glaube ich sogar, dass der Betrag mittlerweile noch ein bisschen höher ist.
Das ist ein tolles Demokratieverständnis, wenn sich 16 Ministerpräsidenten zusammensetzen und sagen: „Wir haben eine Lösung für unser Problem, kostet zwar irgendwie 9,5 Milliarden Euro, aber das zahlen wir nicht selbst, sondern das kann dann der Bund bezahlen“, und sich dann darüber beschweren, dass hier im Deutschen Bundestag gesagt wird: Na ja, ist schwierig, wenn solch ein Vertrag zulasten Dritter abgeschlossen wird, bei dem wir nicht mitreden können.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Ich habe nicht mehr viel vorzutragen. Ich ziehe das durch. Sie können gleich eine Kurzintervention machen. – In der Budgetverantwortung müssen wir als Bundestag dagegenhalten.
Im Übrigen wissen wir auch eines, meine Damen und Herren: Wenn dieser Vorschlag hier im Deutschen Bundestag eins zu eins abgesegnet worden wäre: Die Tinte des Bundespräsidenten darunter wäre noch nicht trocken gewesen, es wären weitere Forderungen gekommen zu den Kosten der Unterkunft, zu Investitionen, zur Integration und – das haben Sie auch gesagt – zur Bildung. Es würde nämlich gesagt werden: Jetzt heben wir das Kooperationsverbot im Bereich Bildung auf, damit der Bund auch die Schulen bezahlen kann. – Bei den Universitäten haben wir ja schon etwas gemacht; da ist der Sündenfall bereits erfolgt. – Das zu dem Vorschlag.
Jetzt kommen die zwei Fragen, die ich mir stelle. Die erste Frage lautet – Sie haben sie auch schon angesprochen –: Wie sieht es denn eigentlich mit dem föderalen Selbstverständnis in diesem Land aus? Wie sieht es mit dem Anspruch auf Eigenstaatlichkeit aus, wenn erstens bei allen zusätzlichen Problemen immer der Bund gerufen wird und die eigene finanzielle Verantwortung nicht wahrgenommen wird und wenn zweitens der brüderliche Finanzausgleich zwischen den Bundesländern komplett aufgehoben wird und es zu einem väterlichen Finanzausgleich kommt, in dem nur noch der Bund dafür zuständig ist? – Das ist das erste Problem.
Das zweite Problem, das mich beschäftigt, ist eines, das ich als Haushälter habe. Wenn ich mir anschaue, welche Lasten wir uns momentan für den Bundeshaushalt aufbürden – innere Sicherheit, äußere Sicherheit, Migration, Euro-Rettung, viel Geld für Kommunen und Länder, was ich gerade schon erzählt habe – und was wir jetzt noch zusätzlich draufsetzen – aufgrund der demografischen Entwicklung werden wir im nächsten Jahrzehnt erhebliche Belastungen in den Sozialversicherungssystemen haben, teilweise selbst verursacht durch die Beschlüsse zur Mütterrente und zur Rente mit 63 und solche Dinge –, dann frage ich mich wirklich: Welcher Gestaltungsspielraum ist denn für die Haushälter, die in zehn Jahren in diesem Saal hier sitzen, noch vorhanden? Können sie überhaupt noch irgendetwas Eigenes machen, oder sind sie so gefesselt – auch durch wieder ansteigende Zinsen für unsere Schulden und durch alles andere, was ich Ihnen eben erzählt habe –, dass sie im Prinzip nur noch als Notar hier sitzen und abnicken können? Sie werden sagen müssen: Eigene Projekte – wir hatten gerade eine Debatte über Bildung – können wir gar nicht auf den Weg bringen.
Herr Kollege Brinkhaus, ich muss Sie unterbrechen. Gestatten Sie dazu eine Zwischenfrage der Kollegin Hajduk?
Ich habe jetzt noch 43 Sekunden.
Die haben Sie auch weiterhin. Sie haben jetzt die Chance, die Redezeit zu verlängern.
Gut, dann machen wir jetzt noch eine Zwischenfrage.
Frau Hajduk.
Die Zeit wird angehalten.
Ja natürlich, immer. Wir wollen auf den Rest Ihrer Rede nicht verzichten.
Vielen Dank, Herr Kollege Brinkhaus. – Wir sind uns einig: Das ist eine komplexe Thematik. Wir sind uns einig: Sie ist auch extrem umstritten. – Ich habe Ihnen sehr wohl zugehört, aber ich habe in Ihrer Rede nicht gehört, ob Sie es nicht richtig finden, dass wir demnächst trotzdem diese Reform anpacken und zu einer Lösung kommen müssen. Wenn Sie mir nur immer erklären, warum das alles nicht geklappt hat und warum das nicht geht, dann landen wir am Ende in der Problematik, dass wir für Bund, Länder und Kommunen – die Finanzierungssituation ist teilweise sehr unterschiedlich – keine verlässliche Perspektive haben. Verstehe ich Sie richtig, dass Sie sagen wollen: „Wir kriegen das nicht hin, und dann legen wir die Hände in den Schoß“? Das kann es doch nicht sein!
Zweitens würde ich Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen – die Mehrbelastung des Bundes, die die Länder sich wünschen, ist natürlich keine Selbstverständlichkeit –, dass die Reaktion des Bundesfinanzministeriums auf den Ländervorschlag mittlerweile doch fast eine Annäherung bedeutet, nämlich den fiskalischen Rahmen, wenn auch nicht in den Strukturen, den Ländern zuzugestehen? Das kann also nicht das Hauptproblem sein.
Zu dem zweiten Teil: Ich bin Mitglied des Parlaments und nicht Vertreter des Bundesfinanzministeriums.
Zu dem ersten Teil: Ich hatte am Anfang der Rede pädagogisch sehr wertvoll erläutert: vier Irrtümer, ein Vorschlag, zwei Fragen und eine Schlussfolgerung. Warten Sie einfach die Schlussfolgerung ab; dann kommt auch der Vorschlag zu der ganzen Sache.
(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich mal gespannt!)
Bei dieser Schlussfolgerung bin ich mittlerweile; die Zeit läuft ja auch ab.
Um das einmal zusammenzufassen: Die Erwartungshaltung der Länder in diesem ganzen Prozess lässt sich wie folgt beschreiben: Der Bund zahlt für alles, es wird spitz abgerechnet, und es darf nichts kontrolliert werden. – Das ist eine Sache, die so nicht funktioniert. Dementsprechend brauchen wir ein faires Miteinander, in dem wir die Sache neu aufsetzen und auch einmal ganz rigoros gucken:
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn der Vorschlag? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wer hat denn welche Aufgaben zu erfüllen? Wie ist die Finanzausstattung für diese Aufgaben?
Das funktioniert nicht, indem ich irgendwo invasiv eingreife und beispielsweise Folgendes mache: Weil einem Bundesland in diesem Ländervorschlag irgendwo noch 30 Millionen Euro fehlen, denke ich mir eine Bundesergänzungszuweisung dafür aus, dass es da keine Bundesforschungseinrichtung gibt.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist der Vorschlag von Ihnen?)
Das funktioniert nicht.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn der Vorschlag von Ihnen?)
Wir haben unsere Vorschläge vorgelegt. Meine verbliebene Redezeit ist jetzt bei minus sieben Sekunden,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Ein Vorschlag und doch kein Vorschlag!)
aber wir können gerne eine zweite Debatte eröffnen, damit ich Ihnen das entsprechend erläutern kann. Ihr Vorschlag ist mir allerdings aus Ihren Ausführungen auch nicht deutlich geworden. Es gibt keinen großen grünen Knopf, auf den ich drücken kann, um das Problem einfach zu lösen. Eines kann ich Ihnen aber sagen – Sie haben ja beklagt, dass die Transparenz fehlt –: Sie glauben doch wohl nicht, dass eine gemeinsame parlamentarische Arbeitsgruppe aus Grünen, Linken und Koalitionsfraktionen dazu führt, dass die Ministerpräsidenten hinterher sagen: Ja, das ist es; das machen wir jetzt. – Insofern ist die ganze Sache etwas komplizierter.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Dr. Axel Troost, Fraktion Die Linke, das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6833901 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 171 |
Tagesordnungspunkt | Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen |