André BergheggerCDU/CSU - Sowjetische Kriegsgefangene als NS-Opfer
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute einen Antrag der Fraktion Die Linke. Ich würde aus meiner Sicht gerne zwei Kernpunkte dieses Antrages herausgreifen. Der erste Kernpunkt ist die Frage, ob die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen als nationalsozialistisches Unrecht und die Betroffenen als NS-Opfer anerkannt werden können. Der zweite Kernpunkt ist der Wunsch, dass der Deutsche Bundestag, so wie es Herr Korte gerade gesagt hat, die Überlebenden um Verzeihung bittet. Ich würde sagen: Gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte ist das ein Thema von großer Tragweite und Bedeutung. Wir sollten damit angemessen und sensibel umgehen, ohne zu polarisieren. Ich glaube, das werden wir auch hinbekommen.
Allein in der laufenden Legislaturperiode haben wir uns mit dem Thema „Würdigung des Schicksals sowjetischer Kriegsgefangener in der NS-Zeit“ mehrfach beschäftigt. Dieses Thema war Gegenstand von Beratungen und Debatten im Plenum und im Ausschuss. Zur Chronologie noch einmal einige Stichworte: Ende 2014 gab es hierzu Anträge der Linken und der Grünen. Wir haben über beide Anträge verbunden im Frühjahr 2015 hier im Plenum debattiert. Nach der Überweisung in den Haushaltsausschuss haben wir im Mai 2015 eine öffentliche Anhörung durchgeführt und viele der dort gestellten Fragen intensiv erörtert.
Insbesondere spielte die Fragestellung eine Rolle: Wurden sowjetische Kriegsgefangene im Vergleich zu anderen Betroffenen, zu anderen Personengruppen außerordentlich menschenunwürdig und unbarmherzig behandelt? Nachdem diese Frage bejaht wurde, haben wir auf Initiative der Koalition im Nachtragshaushalt 2015 einen Beschluss gefasst. Wir haben unter der Titelgruppe „Leistungen im Zusammenhang mit Kriegsfolgen“ die erwähnten 10 Millionen Euro als symbolische Anerkennung in Würdigung des Schicksals als ehemalige sowjetische Kriegsgefangene bereitgestellt. Dann hat das Bundesfinanzministerium hierzu Richtlinien ausgearbeitet, der Haushaltsausschuss hat die Mittel freigegeben. Mit der Durchführung der Aufgabe der Auszahlung wurde das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, das BADV, beauftragt. Im Kern geht es darum, dass auf Antrag hin 2 500 Euro pro Fall ausgezahlt werden. Die Anträge können bis Ende September des kommenden Jahres gestellt werden.
Um den vorhin angesprochenen angemessenen und würdigen Umgang darzustellen, wurde vieles Weitere initiiert, um pragmatisch und unbürokratisch Wege aufzuzeigen. Formulare und Unterlagen wurden online gestellt. Die Verbreitung der Informationen über Massenmedien wurde angestrebt. Es gab Hinweise im In- und Ausland auf dieses Thema, auch über die deutschen Botschaften und andere Netzwerke. Die Dokumente wurden mehrsprachig erstellt. Zusammenfassend wurde viel unternommen, um die Informationen wirksam an die Betroffenen herausgeben zu können.
Aktuell liegen rund 1 200 Anträge auf Auszahlung dieser Mittel vor, aus 16 verschiedenen Ländern. 50 Prozent der Anträge kommen aus Russland, und in der Reihenfolge der Anzahl der Anträge folgen die Staaten Ukraine, Armenien, Belarus und Georgien. Angesichts der damals angenommenen noch rund 4 000 lebenden Betroffenen halte ich die Zahl der eingegangenen Anträge für beachtlich. Ungefähr ein Drittel der eingegangenen Anträge wurde bearbeitet, und die Mittel sind ausgezahlt worden. Ich denke, das ist schon eine intensive Abarbeitung. Ich hoffe, dass noch viele Anträge folgen werden.
Der vorliegende Antrag der Linken ist aus meiner Sicht allerdings so formuliert, dass die Grenzen zwischen moralischen, historischen und juristischen Aussagen verschwinden. Ob das bewusst oder unbewusst geschehen ist, sei dahingestellt; aber ich glaube, dass diese Aussagen sauber getrennt werden sollten.
Zum ersten Kernpunkt dieses Antrages, zur Frage der Anerkennung der Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen als nationalsozialistisches Unrecht bzw. die Anerkennung der Betroffenen als NS-Opfer: Nach ständiger Rechtsprechung in diesem Land werden Angehörige der im Zweiten Weltkrieg von Deutschland besetzten Staaten und damit insbesondere auch Kriegsgefangene nicht als Verfolgte im Sinne der Entschädigungsgesetze angesehen. Damit sind Kriegsopfer nicht Opfer nationalsozialistischen Unrechts im Sinne der Entschädigungsgesetze – mit den entsprechenden rechtlichen Folgen. So ist es eben auch hier: Im Sinne der Wiedergutmachungsgesetze sind sowjetische Kriegsgefangene nicht NS-Opfer und ihre Behandlung nicht nationalsozialistisches Unrecht. Ich denke, es ist wichtig, die Begrifflichkeiten auseinanderzuhalten, und das ist in diesem Antrag nicht deutlich herausgearbeitet worden. Wir müssen die Begrifflichkeiten unterscheiden.
Die unstreitig grausame Behandlung der ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen stellt rechtlich gesehen sonstiges Staatsunrecht dar, das zur Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit geführt hat. Für diese Situation gilt das allgemeine Kriegsfolgenrecht.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Unterscheidung zwischen AKG und BEG ist historisch noch nie gelungen!)
Deshalb ist die entsprechende Darstellung in der Titelgruppe „Leistungen im Zusammenhang mit Kriegsfolgen“ im Nachtragshaushalt nachzuvollziehen. Es fällt eben nicht in den Bereich NS-Unrecht.
Der zweite Kernpunkt ist der Wunsch, dass der Deutsche Bundestag die Überlebenden um Verzeihung bitten möge. Aus meiner Sicht bedeutet „jemanden um Verzeihung bitten“, dass man jemanden von etwas freispricht, jemandem vergibt. Man kann auch synonym sagen: sich entschuldigen. Gemeinsam ist diesen Begriffen jedoch, dass auf einen persönlichen Schuldvorwurf verzichtet werden soll. Vergeben, verzeihen, entschuldigen kann man aber nur den Tätern bzw. die Täter, nicht aber die Taten. Es trifft die Mitglieder des Parlaments und den Deutschen Bundestag kein persönlicher Schuldvorwurf. Wir haben aber eine große moralische und ethische Verantwortung. Wir müssen dafür sorgen, dass so grausames Unrecht nie wieder passieren kann. Aber die Unterscheidung zwischen Schuld und Verantwortung ist aus meiner Sicht sehr wichtig. Deswegen könnte ich nachvollziehen, wenn der Deutsche Bundestag diesem Antrag nicht stattgeben würde.
Ich möchte noch einige Anmerkungen in moralischer, ethischer und politischer Hinsicht machen. Wir werden natürlich nie vergessen oder nachsichtig sein, also die Verantwortung relativieren. Wir werden nie dieses Unrecht akzeptieren oder billigen. Wir werden dieses Unrecht nie leugnen oder gar rechtfertigen. Wir müssen und werden dauerhaft eine angemessene Erinnerungskultur pflegen.
Ich glaube, dass wir als Deutscher Bundestag mit dem Beschluss, einen symbolischen Anerkennungsbetrag an sowjetische Kriegsgefangene auszuzahlen, den wir im Haushaltsausschuss vorbereitet haben, einen wichtigen Schritt gemacht haben und ein deutliches Zeichen im Lichte unserer Verantwortung gesetzt haben. Der Vollständigkeit halber möchte ich an dieser Stelle noch erwähnen, dass wir, im Haushaltsjahr 2016 startend, einen weiteren symbolischen Anerkennungsbetrag bewilligt haben. Es werden 50 Millionen Euro symbolische Anerkennung für ehemalige deutsche zivile Zwangsarbeiter bewilligt. Auch das ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Signal.
In diesem Sinne schließe ich mit folgendem Gedanken: Wo es keine Erinnerung gibt, gewinnt das Boshafte, das schreckliche Unrecht die Oberhand. Aus dieser notwendigen Erinnerung heraus wächst unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass derartiges Unrecht nie wieder geschehen kann.
Vielen Dank fürs freundliche Zuhören.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Volker Beck von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6888832 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 173 |
Tagesordnungspunkt | Sowjetische Kriegsgefangene als NS-Opfer |