Barbara WoltmannCDU/CSU - Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Der Antrag der Linken mit dem Titel „Demokratie für alle“, über den wir heute gemeinsam mit ihrem bereits 2014 eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes und zur Einführung eines Bundesabstimmungsgesetzes heute beraten und beschließen, findet nicht unsere Zustimmung;
(Jan Korte [DIE LINKE]: Überraschung!)
das ist hier durch meine Vorredner schon deutlich geworden.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das hoffe ich!)
Die von Ihnen gewünschte Einführung einer dreistufigen Volksgesetzgebung und deren Aufnahme in das Grundgesetz suggeriert schon fast eine Art Basisdemokratie nach Schweizer Vorbild. Dies passt nicht in unser Demokratieverständnis und das Demokratieverständnis, das unserem Grundgesetz innewohnt. Durch das Schweizer Modell – Frau Keul hat es in ihrer Rede schon erwähnt – mit den Bürgerentscheiden hat es ziemlich lange gedauert, bis zum Beispiel das Frauenwahlrecht eingeführt worden ist. Das möchte ich hier nicht.
Die Väter und Mütter unserer Verfassung haben nach dem Zweiten Weltkrieg ein sehr kluges und sehr weitsichtiges Grundgesetz erlassen. Sie waren geprägt von den Erfahrungen in der Weimarer Republik und auch des Dritten Reiches.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da kommt ja doch noch das Argument!)
– Ja, den Gefallen wollte ich Ihnen doch noch tun, dass dieses Argument auch noch kommt.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wunderbar!)
Das Grundgesetz ist aus den Erfahrungen der Vergangenheit und der Hoffnung für die Zukunft heraus im Jahr 1949 sehr klar und sehr intelligent gefasst worden. Es ist das Bekenntnis zu einer repräsentativen Demokratie.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir wollen es ergänzen!)
Für mich ist das Grundgesetz das wichtigste und bedeutendste Gesetz, das wir in Deutschland haben. Es ist die Basis unserer gesamten Rechtsnormen.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da steht was von Wahlen und Abstimmungen!)
Es war schon damals sehr zukunftsfest und ist es auch noch heute.
Während wir andere Gesetze schon einmal schnell ändern, weil sich die gesellschaftlichen oder die politischen Verhältnisse geändert haben oder auch aktuelle Ereignisse dies vermeintlich fordern, verschließt sich das Grundgesetz diesem Zeitgeist des Veränderns, den wir in der heutigen Zeit allzu schnell verspüren. Da ist das Grundgesetz dann auf einmal ganz sperrig.
Ein Volksentscheid ist im Grundgesetz dennoch nicht völlig ausgeschlossen. In Artikel 29 des Grundgesetzes ist die Möglichkeit normiert, Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebiets durch ein Bundesgesetz zu regeln. Dieses Bundesgesetz muss durch Volksentscheid bestätigt werden. Aber, wie gesagt, das betrifft nur die Neugliederung des Bundesgebiets, und auch das ist nicht ganz einfach, wie wir das schon bei dem Volksentscheid zum Zusammenschluss des Landes Brandenburg mit dem Land Berlin gesehen haben. Das Ergebnis kennen Sie.
Weiteres zu diesem Thema findet sich nicht im Grundgesetz, und das aus gutem Grund; denn das, was in Ländern und Kommunen möglich ist, lässt sich nicht automatisch auf die Bundesebene übertragen. Für Änderungen des Grundgesetzes muss es schon sehr gewichtige Gründe geben, und das Grundgesetz kann, wie Sie alle wissen, nur mit großer Mehrheit, nämlich mit Zweidrittelmehrheit, von Bundestag und Bundesrat geändert werden. Über die Ewigkeitsklausel des Artikels 79 Absatz 3 des Grundgesetzes können bestimmte Grundrechte gar nicht geändert werden. Da sind bewusst große Hürden aufgebaut worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, die Gründe, die Sie für eine Änderung des Grundgesetzes aufführen, reichen mir da nicht aus. Herr Kollege Korte, Ihre Beispiele – dazu ist hier schon einiges gesagt worden – reichen mir auch nicht.
Aus meiner Sicht ist es auch ein Irrglaube, zu meinen, mit mehr plebiszitären Elementen auf Bundesebene ein Mehr an Demokratie zu schaffen. So einfach ist das nicht. Über welche Fälle auf Bundesebene hätten Sie denn gern durch einen Volksentscheid abstimmen lassen wollen – einige Beispiele sind von Vorrednern auch schon gebracht worden –: das Rettungspaket für Griechenland, die Euro-Einführung, die Erhöhung von Sozialhilfesätzen oder die Schließung der Grenze im Zuge der Flüchtlingswelle? Man muss die Dinge immer bis zu Ende denken.
Frau Kollegin Woltmann, darf ich Sie unterbrechen? – Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wawzyniak?
Frau Präsidentin, nein.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ich hätte Sie gern nach Artikel 20 Absatz 2 gefragt!)
Für eine Volksinitiative sollen, Ihren Vorstellungen folgend, gar nur Hunderttausend Stimmen ausreichen. Auch das ist von Vorrednern schon kritisch angemerkt worden.
Wir sprechen manchmal von einer gewissen Demokratieverdrossenheit. Aber ist das wirklich so? Ja, es gehen immer weniger Bürger zur Wahl – bis auf die letzten drei Landtagswahlen. Viele mögen sich wohl nicht mehr für das politische Geschehen interessieren, manch einer ist auch enttäuscht. Vielleicht kann man da von einer gewissen Politikmüdigkeit sprechen. Aber für mich sind die Lösung und die Antwort auf dieses Phänomen nicht in Ihrem Gesetzentwurf zu finden. Ich glaube, dass für viele Demokratie so selbstverständlich geworden ist, dass es sich oft vermeintlich gar nicht mehr lohnt, sich für sie einzusetzen. Das können wir nur durch eine überzeugende Politik und durch Politiker, welche die Sorgen und Vorstellungen der Menschen wahrnehmen, lösen und Antworten darauf finden.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann ich bestätigen!)
Ein Beispiel ist die Flüchtlingswelle im letzten Jahr. Da sind in der Bevölkerung Ängste und Ablehnung aufgekommen, wurde Überfremdung befürchtet. Das müssen wir aufgreifen und müssen darauf durchdachte Antworten geben. Das haben wir auch getan. Was hätte uns da jetzt ein Volksentscheid gebracht? Wem hätte das wohl genutzt? Mir schwant bei solchen Gedanken nichts Gutes. Insofern sollten wir es belassen, wie es ist.
Bundespräsident Gauck hat im Vorwort der Grundgesetzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung geschrieben:
Unsere Verfassung ist – davon bin ich fest überzeugt – auch in Zukunft das sichere Fundament zur Bewältigung aktueller Herausforderungen unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens. Das Grundgesetz ist eine echte Bürgerverfassung geworden.
Abzulehnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ist auch Ihr Vorschlag, das Wahlalter auf 16 Jahre zu reduzieren. Meine Vorredner haben es schon angesprochen: Die Bindung an die Volljährigkeit bei allen Entscheidungen, die die Bundesrepublik in all ihrer Tragweite betreffen, ist richtig; denn erst mit 18 entstehen auch alle Rechte und Pflichten.
Völlig schleierhaft ist mir auch Ihr Regelungsvorschlag – auch das ist schon angesprochen worden –, auch Nichtdeutschen das Wahlrecht zu geben, die seit fünf Jahren in Deutschland gemeldet sind.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Tagesordnungspunkt 15 heute! Das erzähle ich Ihnen heute Abend!)
Auch das lehnen wir ab. Das Wahlrecht an die deutsche Staatsbürgerschaft zu knüpfen, ist richtig. Das Staatsvolk wird, verfassungsrechtlich gesehen, nur von Deutschen gebildet.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Unsinn!)
Insofern ist im Bundeswahlgesetz zu Recht geregelt, dass nur Deutsche den Bundestag wählen dürfen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Im Übrigen hat mich ein bisschen gewundert – der Kollege Ostermann hat es schon angesprochen –, dass Sie neben Ihrem Gesetzentwurf noch Ihren Antrag „Demokratie für alle“ vorlegen, in dem Sie die Bundesregierung auffordern, Initiativen zu mehr Demokratie vorlegen. Ich glaube, Sie sind sich Ihres Gesetzentwurfs nicht mehr so sicher.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wir wollten den Vergleich!)
Sei’s drum: Auch dieser Antrag findet nicht unsere Zustimmung.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6907857 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 176 |
Tagesordnungspunkt | Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid |