09.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 176 / Tagesordnungspunkt 9

Siegmund EhrmannSPD - Aufarbeitung der SED-Diktatur

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Lassen Sie mich persönlich anmerken: Seit 1990 haben sich in meiner Fraktion mit dem Thema „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ federführend vornehmlich Kolleginnen und Kollegen befasst, die aus Ostdeutschland stammten. Bei mir, als dem heute zuständigen Berichterstatter, ist das anders. Ich komme aus NRW. Trotzdem kenne ich durch vielfältige private, aber auch familiäre Bezüge – private insbesondere zu Gleichaltrigen aus der Jungen Gemeinde – viele Menschen und Lebensbiografien, die von SED- und Stasiunrecht geprägt, zum Teil auch gebrochen wurden.

Die Aufarbeitung der SED-Diktatur ist kein Ostthema. Es ist ein Thema für alle in unserem Land, und es ist auch mein persönliches Thema.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Antrag. Es mutet in der Tat merkwürdig an, dass wir darin etwas beteuern, das wir selbst nie in Zweifel gezogen haben. Ja, die Aufarbeitung der SED-Diktatur bleibt eine Daueraufgabe. Ja, der Aktenzugang für die Bürgerinnen und Bürger – insbesondere für die Opfer – sowie für Forschung, Bildung und Medien bleibt garantiert.

Dass wir die Expertenkommission eingesetzt haben, die jetzt Ergebnisse vorgelegt hat, hat nichts mit einem Schlussstrich, dem Ende der Aufarbeitung oder einem Schlag ins Gesicht der Opfer zu tun. Über das Ob der Aufarbeitung bestand zu keiner Zeit Zweifel. Die Kernfrage lautete aber, wie wir es besser machen können, hatte doch die Stasi-Unterlagen-Behörde als Sonderbehörde nie eine Ewigkeitsgarantie. Ihre Stellenausstattung ist in all den Jahren von insgesamt 3 400 Beschäftigten auf 1 600 Stellen zurückgegangen.

Seit mehr als zehn Jahren – nicht erst seit 2008 – wird um den richtigen Ansatz einer verbesserten Arbeit bei der Auskunftserteilung im Archiv und in den Außenstellen sowie in der Forschung und der historisch-politischen Bildung gerungen. Ich erinnere an die heftige Kontroverse um die Ergebnisse der noch von Rot-Grün eingesetzten sogenannten Sabrow-Kommission im Jahre 2006.

Im Gedenkstättenkonzept 2008 – darauf wurde verwiesen – fixierte die Bundesregierung ausdrücklich die BStU als zeitlich begrenzte Institution und hoffte auf die kommende Legislaturperiode, in der eine dann einzurichtende Expertenkommission Handlungsempfehlungen erarbeiten sollte. Die schwarz-gelbe Koalition hat sich das im Koalitionsvertrag vorgenommen; sie kam allerdings nicht an den Start. Wir haben das dann in der zweiten Großen Koalition ab 2013 ebenfalls vereinbart und diese Expertenkommission eingesetzt.

Die von der Kommission mit 13:1 beschlossenen Handlungsempfehlungen kennen wir seit dem 12. April 2016, als die Kommission dem Bundestagspräsidenten ihre Ergebnisse überreichte. Auch ich will der Expertenkommission für die anderthalb Jahre währende anstrengende, auf Konsens zielende Arbeit ausdrücklich danken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wem bewusst ist – damit möchte ich auf Herrn Liebich eingehen – welche Kontroversen Akteure, die jetzt mitgearbeitet haben, sich vor zehn Jahren geliefert haben, weiß: Sie waren meilenweit auseinander. Von daher ist es ein guter Weg, in einem nichtöffentlichen Verfahren, gleichzeitig aber auch bei Anhörung aller Beteiligten einen Weg zu finden. Es ist unter der Leitung von Professor Böhmer und Professor Schröder gelungen, sich anzunähern. Deshalb sind diese Handlungsempfehlungen nach wie vor ein wichtiger Meilenstein und Maßstab. Wir meinen, dass diese Arbeit weiter aufgegriffen werden muss. Wir müssen uns auf sie stützen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das erfordert allerdings – diese Kritik lasse ich durchaus auch gegenüber der Koalition gelten –, dass wir uns mit den Handlungsempfehlungen seriös auseinandersetzen und das Für und Wider abwägen. Der Kulturausschuss hat das in einem öffentlichen Fachgespräch Ende April gemacht. Wie nicht anders zu erwarten – das musste sein –, sind die bekannten Kontroversen noch einmal zutage getreten. Ich habe dort im Kern nichts Neues gehört.

Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, die Kommissionsempfehlungen in der Koalition und im Parlament insgesamt zu bewerten, selbstverständlich unter Einbeziehung der kritischen Stimmen. Schließlich hatten wir uns im Einsetzungsbeschluss darauf verständigt, noch in dieser Wahlperiode zu belastbaren Ergebnissen zu kommen. Sie finden sich letztendlich im Bundesgesetzblatt wieder.

Meine Damen und Herren, ich will und kann nicht verhehlen, dass es auch in meiner Fraktion und in meiner Partei kritische Stimmen zu den Kommissionsempfehlungen gibt. Natürlich gibt es Diskussionsbedarf. Aber überhaupt keine Debatte zu führen, ist wenig souverän und dient nicht der Sache.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für meine Fraktion sind die Vorschläge der Expertenkommission beileibe nicht vom Tisch.

Da wir nun allerdings feststellen müssen, dass wir bei der Reform der BStU in dieser Legislaturperiode nicht entscheidend weiterkommen, muss an der Spitze der BStU Klarheit geschaffen werden. Deshalb steht gleich die Wahl von Herrn Jahn als Bundesbeauftragter an. – Ich begrüße Herrn Jahn hier im Saal. Meine Fraktion wird ihn unterstützen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Entschuldigung. – Darf ich die Kollegen noch einmal bitten, den Kollegen Ehrmann zu Wort kommen zu lassen? Er hat nämlich das Wort. Das meine ich wirklich ernst. Ich bitte die Kollegen hinten im Saal, ihre Gespräche einzustellen oder draußen zu führen. Es ist absolut nicht angemessen, dass man in dieser Debatte so dazwischenredet, dass sogar wir hier im Präsidium Herrn Ehrmann kaum verstehen. Bitte hören Sie ihm zu genauso wie dem letzten Kollegen, der in dieser wichtigen Debatte redet.

(Beifall)

So, Siggi Ehrmann, weiter geht’s.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Tat ist die Geschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes die Geschichte eines Gesetzes aus dem Parlament heraus. Alle Veränderungen und Ziele wurden gemeinsam erarbeitet und weitestgehend im Konsens erreicht. Wir setzen mit dem Antrag, der Ihnen vorliegt, nun auf einen anderen Weg, nämlich auf den Transformationsprozess aus dem Amt heraus, indem der Beauftragte für die Stasiunterlagen gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundesarchivs den Übergang der Stasiunterlagenakten in das Bundesarchiv vorbereitet. Die Ziele, an denen sich die BStU und das Bundesarchiv bei der Entwicklung eines gemeinsamen Konzepts orientieren sollen, haben wir in diesem Antrag fixiert. Die konkrete Ausgestaltung sollte sich an den Handlungsempfehlungen der Expertenkommission orientieren.

Ich werbe nachdrücklich dafür, dass wir uns weiterhin mit den Kommissionempfehlungen auseinandersetzen. Dann wären diese nicht für den Papierkorb gewesen.

Zum Schluss noch eine grundlegende Bemerkung. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur umfasst mehr als die Themen Ministerium für Staatssicherheit und BStU. Die SED verantwortete den durchherrschten Alltag. Die Wirkungsmechanismen kommunistischer Systeme und ihre Transformation vergleichend zu erforschen und für die politische Bildung zu erschließen, steht auch mit Verweis auf ein Jubiläum an, mit dem wir uns im Jahre 2017 befassen werden, nämlich der Oktoberrevolution. Lassen Sie uns auch hierüber in einen Dialog eintreten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Siegmund Ehrmann. – Der letzte Redner in dieser Debatte: Dr. Harald Terpe für die Grünen. Auch er hat das Recht, dass ihm zugehört wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6908381
Wahlperiode 18
Sitzung 176
Tagesordnungspunkt Aufarbeitung der SED-Diktatur
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