Petra Pau - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 50 Millionen Kinder sind ohne Heimat auf der Flucht. Jeder zweite Flüchtende ist minderjährig und flüchtet vor Gewalt, Krieg, Hunger und Armut. So berichtet das Kinderhilfswerk UNICEF heute in seinem ersten globalen Bericht und zeigt damit auf, dass diese Zahl überproportional hoch ist.
Vor der Migrationskonferenz am 19. und 20. November in New York ruft UNICEF dazu auf, Kinder – insbesondere solche ohne Begleitung – besser vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen. Wie das geht, steht geschrieben, und zwar in der UN-Kinderrechtskonvention. Mit ihr hat jedes Kind die gleichen Rechte. Es darf keine Rolle spielen, an welchem Ort oder in welchem Land es aufwächst.
Viel hat sich seit der Ratifizierung getan. Aber es gibt leider auch noch viel zu tun. Dabei hilft es nicht, blindlinks Geld in die Hand zu nehmen und zu verteilen. Wenn wir in der Entwicklungszusammenarbeit etwas erreichen wollen, müssen wir uns an die SDGs halten, um eine nachhaltige Veränderung zu erreichen. Daher müssen die Haushaltsmittel, die uns dafür zur Verfügung stehen, auch so eingesetzt werden, dass ein verbindlicher Rahmen der Hilfe entsteht. Das können wir nicht nur durch Sonderinitiativen erreichen. Dafür braucht es eine kontinuierliche Investition in Maßnahmen und Projekte.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU])
Eine dieser nachhaltigen Investitionen muss die Geburtenregistrierung betreffen. Wir müssen beim Lebensstart dieser Kinder beginnen, wie wir es in unserem einstimmig angenommenen Antrag „Bevölkerungsstatistiken verbessern – Zivile Registrierungssysteme stärken“ parlamentarisch beschlossen haben. Wir wollen das verbriefte Recht von Kindern auf die Registrierung ihrer Geburt, wie in Artikel 7 der UN-Kinderrechtskonvention verankert, in die Tat umsetzen. Die Geburtenregistrierung ist ein Grundstein für die Verwirklichung von Kinderrechten. Denn ohne eine Geburtsurkunde haben Kinder auch keine Bürgerrechte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zum Beispiel im Gesundheitsbereich sollte geprüft werden, inwieweit eine Verzahnung von GAVI-Aktivitäten und Geburtenregistrierung sinnvoll ist. Wenn Kinder und Eltern zur Impfung erscheinen, können sie nachregistriert werden. Wir müssen dafür eine digitale Plattform errichten, damit die unterschiedlichen Bedingungen der einzelnen Länder besser berücksichtigt werden können.
(Stefan Rebmann [SPD]: Sehr richtig!)
Weiter ist es von zentraler Bedeutung, sich für eine bessere Bildung zu engagieren. Dabei dürfen wir nicht nur auf Ausbildung und weiterführende Bildung setzen. Wir müssen uns gerade in fragilen Staaten mehr im Bereich der grundständigen und auch in der frühkindlichen Bildung aufstellen.
Der ebenfalls diese Woche veröffentlichte Bericht der UNESCO macht deutlich, dass vor allem bei der Grundbildung mehr investiert werden muss. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen fehlt es 60 Millionen Kindern weltweit an formaler Bildung. Ein Drittel dieser Kinder stammt aus Krisenregionen. Es ist aber nicht ausreichend, nur Verbesserungen in diesem Bereich zu fordern. Was wir brauchen, sind auch die entsprechenden finanziellen Mittel, um Taten folgen zu lassen. Das ist übrigens auch eine gute Investition. Um es mit den Worten von Nelson Mandela zu sagen: „Bildung ist die mächtigste Waffe, um die Welt zu verändern.“ Ebenso formulierte es auch die Nobelpreisträgerin Malala.
Bildung ist auf lange Sicht ein entscheidender Faktor beim Wiederaufbau von Gesellschaften. Durch sie kann auch die Aussicht auf Erfolg von anderen Maßnahmen deutlich verbessert werden.
Wir müssen aber auch auf das schauen, was – selbst wenn es Schulen gibt – Bildung verhindert. Ich nenne die uns allen bekannten Übel der Bildungsbrüche: Kinderarbeit, Kindersoldaten, IS‑Zwangsrekrutierung, Frühverheiratung und minderjährige Mütter.
Zur Kinderarbeit. Weltweit gehen 168 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 17 Jahren arbeiten. Das ist häufig die einzige Chance dafür, dass die Familien finanziell über die Runden kommen. Die gesundheitlichen Folgen für die Kinder sind katastrophal, und die fehlende Bildung verbaut alle Chancen auf eine bessere Lebensperspektive.
Im vergangenen Jahr waren wir in Pakistan, wo wir eine Kohlenmine besichtigt haben. Dort haben wir siebenjährige kleine Jungen arbeiten sehen. Sie holen – übrigens ohne Schutz und barfuß – zehn Stunden am Tag die Kohlen aus den Minen heraus, weil ihre Eltern Schuldknechte des Minenbesitzers sind. Das hat mich, wenn ich das sagen darf, nachhaltig beeindruckt.
Zur Frühehe. Die Müttersterblichkeit ist eines der größten ungelösten Probleme in der Entwicklungszusammenarbeit. Eine Ursache ist unter anderem auch die Frühehe. UNICEF schätzt, dass jedes Jahr 10 bis 14 Millionen Mädchen gegen ihren Willen verheiratet werden. Es ist riskant für Mutter und Kind, wenn die Mutter so früh ein Kind bekommt. Dieses Problem ist durch die Flüchtlinge übrigens auch in Deutschland angekommen. Auch hier müssen wir uns im Parlament für eine Veränderung starkmachen. Herr Silberhorn, ich nehme gern Ihre Formulierung aus der Ausschusssitzung auf: Die Zukunft von Mädchen darf nicht unter einem Brautschleier begraben werden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Mein Votum: Wir dürfen in Deutschland keine Frühehen anerkennen oder dulden. Hier gibt es gesetzgeberischen Handlungsbedarf.
Zu den Kindersoldaten. Zu viele Kinder leiden nicht nur an Hunger, Durst und Krankheit, sondern auch an Gewalt. Dazu gehört nicht nur, dass sie Gewalt erleiden, sondern auch, dass sie Gewalt ausüben müssen. Sie erleiden als Teil von bewaffneten Gruppen und Armeen unermessliches Leid. Die meisten von ihnen sind ihr Leben lang traumatisiert, haben keine Schulbildung erhalten und haben somit keine Chance auf eine normale Zukunft.
Nach wie vor sind etwa 250 000 Kinder in mindestens 19 Ländern als Kindersoldaten aktiv. Zurzeit ist es übrigens vor allem der „Islamische Staat“, der mit seiner fanatischen Ideologie Kinder manipuliert, sie als Selbstmordattentäter in den Tod schickt oder als Henker missbraucht.
Ich komme zu einem ähnlichen Problem, das ich erwähne, weil wir gerade in der Debatte um den Haushalt sind. Wir müssen auch einmal genauer hinsehen, wohin die deutschen Hilfsgelder fließen und wie sie zum Beispiel von NGOs verwendet werden. Erst kürzlich gab es Berichte über einen sogenannten Märtyrerfonds in den palästinensischen Autonomiegebieten, mit dem Familien und Angehörige getöteter Terroristen in Millionenhöhe unterstützt werden, wenn sie eines ihrer Kinder als Selbstmordattentäter auf den Weg schicken. Das ist Missbrauch von Hilfsgeldern!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ebenso gilt es auch, genau hinzusehen, was an UN-Schulen passiert, damit diese nicht durch Ideologie zu Institutionen der Erziehung zum Hass werden. Wenn die Bundesrepublik Deutschland Mittel für die Entwicklung in die Hand nimmt, muss sichergestellt werden, dass sie ihren Zweck erfüllen und nicht missbraucht werden.
Zum Schluss möchte ich hier noch einmal deutlich betonen: Ohne grundlegende Bildung ist keine nachhaltige Entwicklung möglich. Darum gilt es, verstärkt in Bildung zu investieren und Ursachen für Bildungsbrüche zu beseitigen. Nur so sind wir glaubwürdig, wenn wir davon reden, dass wir Fluchtursachen bekämpfen wollen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort hat der Kollege Uwe Kekeritz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6999419 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 186 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung |