Swen SchulzSPD - Schlussrunde Haushaltsgesetz 2017
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren auf den Tribünen! Diese Schlussrunde gibt Gelegenheit, ein Resümee der Anberatung des Haushaltsplanes 2017 zu ziehen.
Ich habe die Debatten aufmerksam verfolgt. Es gibt natürlich Kritik der Opposition, wie eben von Frau Lötzsch. Es wäre ja auch merkwürdig, wenn es anders wäre.
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Aber mäßige Kritik, ganz mäßige! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Vor allem gab es Vorschläge! Gute Vorschläge!)
Teilweise ist diese Kritik nicht gerechtfertigt und überzogen, teilweise aber auch durchaus erwägenswert.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ach!)
Da es sich hier um einen Entwurf der Regierung handelt und wir selbstbewusste Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind, werden wir sicher noch das eine oder andere ändern und verbessern.
Viele Beobachter haben erwartet, dass sich die Koalition bei diesen Haushaltsberatungen gewissermaßen auf offener Bühne zerfetzt. Das hat sie insgesamt gesehen nicht getan.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Na ja!)
Und das ist auch gut so; denn die Bürgerinnen und Bürger erwarten mit Recht, dass wir den Bundeshaushalt sachgerecht, ernsthaft und anständig erörtern.
Das heißt natürlich nicht, dass wir uns hier andauernd gegenseitig Liebeslieder in die Ohren säuseln, dass wir hier Händchen halten und Ringelreih tanzen. Nein, die Koalitionsparteien haben unterschiedliche Positionen und vertreten diese auch selbstbewusst und engagiert. Wir sind eben verschiedene Parteien, die um einen gemeinsamen Haushalt des nächsten Jahres ringen.
Wie ist die Lage? Sie ist jedenfalls deutlich besser als die verbreitete Stimmung.
(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das stimmt!)
Der Haushalt ist eigentlich nachgerade ein Traum: Die Investitionen steigen, wir haben neue Rekorde bei Bildung und Forschung, die Kommunen werden entlastet, auch die sozialen Leistungen steigen – und das alles bei Überschüssen. Das ist eine Luxussituation, um die uns praktisch die ganze Welt beneidet.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In dieser Situation kommen die unterschiedlichsten Vorschläge dafür, wie es weitergehen soll. Ich will hier betonen: Eine Steuersenkung, die hauptsächlich den Spitzenverdienern nutzt, kommt für uns nicht infrage.
(Beifall bei der SPD)
Wir sprechen gerne über eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, aber drei Dinge müssen klar sein:
Erstens muss die Entlastung den unteren und mittleren Einkommen helfen. Das geht am besten über die Sozialabgaben Die nämlich drücken Familien und Durchschnittsverdiener viel mehr als die Steuern.
Zweitens muss eine Entlastung durch eine Belastung der hohen und höchsten Einkommen und Vermögen gegenfinanziert werden.
Drittens dürfen wir nicht damit anfangen, den Haushalt strukturell in eine Schieflage zu bringen, nur weil die Steuereinnahmen gerade einmal gut laufen und die Zinsen niedrig sind. Die Zeiten können sich schnell ändern, und wir brauchen einen handlungsfähigen Staat, gerade wenn die Wirtschaft einmal nicht mehr so brummt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Mehr noch: Wir müssen heute die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Entwicklung gut weitergeht. Wir müssen in die Zukunft investieren. Wir machen zwar eine Menge – das ist dargestellt worden –, aber da geht noch mehr. Das betrifft auch und gerade Bildungs- und Sozialinvestitionen.
Viel wird darüber diskutiert, auch in dieser Haushaltsdebatte, warum die AfD so viel Zuspruch erhält. Es kommt einiges zusammen, die Menschen sind natürlich sehr unterschiedlich. Aber eines ist doch klar: Da spielen auch Sorgen und Abstiegsängste eine Rolle, das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht, dass zu wenig für die normalen Menschen getan wird. Was antworten wir? Dass Ausgrenzung und Hass keine Antworten sind. Das ist sehr richtig.
Aber wir müssen auch konkret handeln, müssen mit Maßnahmen gegen Kinderarmut, für Alleinerziehende, für Kitas und Schulen, für die ordentliche Bezahlung von Krankenschwestern und Erziehern, gegen Armut im Alter diese Gesellschaft gerechter gestalten.
(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht mal! – Gegenruf von der SPD: Machen wir!)
Es reicht eben nicht, zu sagen, dass es den Menschen im Durchschnitt gut geht, wie ich das hier von der Union gehört habe.
Ich empfehle Ihnen allen, das neue Buch von Marcel Fratzscher zu lesen. Er ist der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW, und nun wahrlich nicht so etwas wie ein linker Spinner. Das Buch heißt Verteilungskampf: Warum Deutschland immer ungleicher wird. Er legt aus wissenschaftlich-ökonomischer Perspektive dar, dass Deutschland in den letzten Jahrzehnten ungleicher und ungerechter geworden ist und dass das nicht nur ein soziales und gesellschaftliches, sondern auch ein massives wirtschaftliches Problem ist. Ungerechtigkeit ist eine Wachstumsbremse, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Darum habe ich mich sehr gefreut, als die Bundeskanzlerin in der Generaldebatte gesagt hat, dass der soziale Zusammenhalt unser größtes Pfund ist und dass wir das Soziale stärken müssen. – Ja, recht hat sie. Aber das muss dann auch gemacht werden, da müssen konkrete Verbesserungen her.
(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir Sozialdemokraten fordern das ein, setzen auch einiges durch, wie den Mindestlohn, den sozialen Wohnungsbau, die Erhöhung des BAföG, die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ und die Mietpreisbremse. Aber lassen Sie es mich so sagen: Ich wünschte, es wäre leichter in der Koalition. Eine soziale und gerechte Gesellschaft mit Aufstiegschancen für alle ist die beste Voraussetzung für Sicherheit. Das ist doch keine neue Erkenntnis. Gute Bildung ist die beste Kriminalprävention.
Viel Kritik rührt daher, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr sicher fühlen. Natürlich brauchen wir den handlungsfähigen Staat, um Sicherheit, Ordnung und Recht durchzusetzen. Darum stocken wir die Mittel für die Bundespolizei auf und machen Einbruchsprävention. Die richtige Antwort ist eine klare, sachliche, lösungsorientierte Politik.
Was nicht hilft, ist, mit irgendwelchen Parolen der AfD hinterherzulaufen und Scheindebatten loszutreten, wie etwa über den Einsatz der Bundeswehr im Inneren oder über die Burka. Natürlich lehnen wir die Burka ab, aber sie hat mit Sicherheit nichts zu tun. Das verunsichert die Menschen nur noch mehr und treibt sie in die Arme der Rechtspopulisten. Die CDU in Berlin im aktuellen Wahlkampf, namentlich Innensenator Henkel, hat dazu gehörig beigetragen. Es würde mich nicht wundern, wenn er dafür bei den Wahlen die Quittung erhalten und heftig abgestraft würde.
Lassen Sie mich dann bei dieser Gelegenheit etwas näher auf Berlin eingehen. Auch wenn ich offiziell als Spandauer Abgeordneter geführt werde, spreche ich jetzt einfach einmal als Vertreter Berlins. Zunächst und vor allem sage ich Danke. Ein riesiges Dankeschön aus Berlin an die Adresse des Haushaltsausschusses, des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung und ganz Deutschlands dafür, dass die Hauptstadt Berlin so toll unterstützt wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es gibt ja nicht nur den Hauptstadtfinanzierungsvertrag, in dem eine Menge geregelt wird, sondern wirklich jedes Jahr kommt in den Haushaltsberatungen für die Kultur noch ordentlich etwas dazu. Aber auch die Förderung der Bildung, der Wissenschaft und der Wirtschaft ist aus Berlin gar nicht mehr wegzudenken.
So viel Dank aus Berlin ist selten; ich weiß das. Deswegen beeile ich mich auch, hinzuzufügen: Es darf gerne mehr sein, muss es auch. Schließlich leistet Berlin sehr viel für ganz Deutschland. Berlin ist ja nicht nur Hauptstadt, sondern auch Metropole, Zentrum, Leuchtturm: in der Kultur, in der Wissenschaft, für Start-ups, als Werkstatt für die Zukunft. Wenn Michael Müller Regierender Bürgermeister bleibt, dann geht das auch gut weiter, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD – Christian Haase [CDU/CSU]: Wenn!)
Ich will aber in diesem Zusammenhang – ich bin beim Thema Berlin – zu einem weiteren wichtigen Thema kommen, nämlich zur Liegenschaftspolitik des Bundes. Eckhardt Rehberg und Frau Lötzsch hatten sie ja bereits angesprochen.
Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die BImA, besitzt auch und gerade in Berlin viele Grundstücke und Gebäude, die der Bund nicht braucht. Sie werden verkauft – nach aktueller Rechtslage zum höchsten Preis. Das ist zwar gut für den Bundeshaushalt, aber schlecht für die Stadt, weil dann eben keine bezahlbaren Wohnungen entstehen bzw. keine stadtverträgliche öffentliche Nutzung möglich ist, sondern private Investoren ihren Gewinn maximieren. Aber bei den Problemen, die wir in Berlin und in anderen Städten haben, darf der Bund doch nicht das Spekulationskarussell beschleunigen, sondern muss im Gegenteil öffentliche Interessen wahren und die Liegenschaften zu vernünftigen Preisen an die Kommunen veräußern, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Caren Lay [DIE LINKE]: Warum haben Sie denn dann Verkäufen zugestimmt?)
Das von dir angesprochene Beispiel, lieber Eckhardt Rehberg, greift allerdings nicht. Denn diese Liegenschaften sind für den Wohnungsbau nicht geeignet. Berlin hat unlängst seine Liegenschaftspolitik geändert und ist damit ein Beispiel für den Bund.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat eindeutig Position bezogen. Im Haushaltsausschuss haben wir auch erste Schritte in diese Richtung gemacht, etwa mit Maßnahmen zur Flüchtlingsunterbringung oder der verbilligten Abgabe von Grundstücken, wenn Sozialwohnungen errichtet werden.
Ich sage aber auch deutlich, Frau Lötzsch: Der Verkauf des Dragoner-Areals in Kreuzberg zum Höchstpreis war ein Fehler.
Lieber Herr Schulz, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung der Kollegin Lay?
Ja, gerne.
Schönen Tag übrigens. Es gab hier nämlich einen Wechsel. Ich grüße Sie.
Vielen lieben Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen, verehrter Herr Kollege. – Ich teile ja Ihre Einschätzung, dass sich die Liegenschaftspolitik des Bundes dringend ändern muss und nicht mehr nach dem Höchstgebot vergeben werden darf, weil das die Spekulation antreibt. Vielmehr sollten wir mit unserer Liegenschaftspolitik im Bundestag eine gute Entwicklung beim sozialen Wohnungsbau befördern. Auch das Dragoner-Areal muss natürlich an die Stadt Berlin gehen.
Aber können Sie mir bitte beantworten, warum erstens Ihre Fraktion im Haushaltsausschuss des Bundestages und hier im Plenum für den Verkauf des Dragoner-Areals an einen Großinvestor gestimmt hat, warum zweitens Ihre Fraktion bei jeder Gelegenheit Anträge der Linken, aber auch der Grünen, in denen gefordert wurde, endlich das Vorkaufsrecht der Kommunen einzuführen, abgelehnt hat? Und drittens: Stimmen Sie mir zu, dass es doch irgendwie verdächtig ist, wenn die SPD knapp zwei Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl in Berlin plötzlich zu einer späten Einsicht kommt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Frau Lay, für die Zwischenfrage. – Ich kann das aus Ihrer Sicht verstehen. Von der Oppositionswarte aus ist immer alles klar und eindeutig. In Regierungsverantwortung in einer Koalition ist das alles immer ein bisschen schwieriger.
Ich kann nur noch einmal sagen: Die SPD-Bundestagsfraktion hat schon länger ihre Position, was die Liegenschaftspolitik anbetrifft, formuliert. Der Verkauf des Dragoner-Areals in Kreuzberg war tatsächlich ein Fehler. Wir versuchen Schritt für Schritt, die Liegenschaftspolitik des Bundes zu ändern, und hoffen, dass wir da auch weiterkommen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Herr Schulz, Sie haben jetzt eine neue Frage oder Bemerkung provoziert. Erlauben Sie noch eine weitere Zwischenfrage oder -bemerkung der Kollegin Lisa Paus?
(Ulrike Gottschalck [SPD]: Jetzt ist aber gut!)
Ja.
Lieber Kollege Swen Schulz, wenn Sie jetzt zu Recht darauf hinweisen, dass Sie sich im Bund in einer Koalition mit der CDU befinden, und daraus ableiten, dass Sie keine eigenständigen Gesetzentwürfe einbringen, können Sie mir dann erläutern, was es wert ist, wenn doch nur mit Zustimmung des Koalitionspartners etwas geht, dass der Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Herr Oppermann, vor zwei Wochen verkündet hat, dass die SPD einen Gesetzentwurf einbringen möchte, um das BImA-Gesetz zu ändern? Können Sie mir bestätigen, dass Herr Oppermann das mit der CDU abgesprochen hat, oder könnte es sein, dass das doch Wahlkampfgeplänkel war?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Nein, das ist kein Wahlkampfgeplänkel unseres Fraktionsvorsitzenden, sondern eine klare Positionierung, mit der er deutlich gemacht hat, wie die SPD-Bundestagsfraktion zur Liegenschaftspolitik des Bundes steht. Das ist doch eine klare Ansage und, glaube ich, auch interessant für die Bürgerinnen und Bürger, meine sehr verehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich sehr bemüht!)
Jetzt lassen wir Herrn Schulz zum Ende seiner Rede kommen.
Ich greife den Faden wieder auf. Der Verkauf des Dragoner-Areals war ein Fehler, und ich fordere die Bundesregierung bzw. das Finanzministerium auf, den Kaufvertrag rückabzuwickeln. Nach dem Einspruch des Bundesrates besteht die Möglichkeit dazu. Ich glaube, das wäre ein guter Beitrag.
Noch eine Bemerkung: Lassen Sie die Verfahrensänderung beim Verkauf der Bundesimmobilien sein, Herr Spahn. Die Verknüpfung mit den Flüchtlingskosten ist nicht sachgerecht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider bleibt mir nicht mehr viel Zeit, um, wie ich mir vorgenommen hatte, ein weiteres wichtiges Thema anzusprechen, nämlich den vollständigen Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Jeder weiß – ob hier in Berlin, im Bundestag, in der Bundesregierung, in den betroffenen Ministerien, ob in NRW oder im Grunde auch in Bonn selbst –: Die örtliche Teilung der Bundesregierung ist ein Auslaufmodell.
(Beifall der Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE] und Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])
Die Ministerien ziehen immer mehr Leute nach Berlin, weil es sinnvoll, praktisch und kostensparend ist. Ich höre inzwischen auch immer mehr Stimmen aus Nordrhein-Westfalen, die sagen: Die Bonner – hallo, Uli Kelber! – sollen den Ball mal ruhig flachhalten; denen geht es heute besser als je zuvor.
Es sollen ja gar nicht alle von heute auf morgen umziehen. Es soll auch fair mit den Bediensteten sowie der Stadt Bonn umgegangen werden. Dazu gehört dann aber eben auch, dass sich alle ehrlich machen und einen Plan aufstellen, aus dem hervorgeht, wie Schritt für Schritt der Komplettumzug vorgenommen und Härten vermieden werden können.
Und wie Sie zum Ende Ihrer Rede kommen.
Ich wollte gerade zum Schlusssatz kommen. – In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Haushaltsberatungen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Swen Schulz. – Nächste Rednerin: Ekin Deligöz für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7000520 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 188 |
Tagesordnungspunkt | Schlussrunde Haushaltsgesetz 2017 |