Karl SchiewerlingCDU/CSU - Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziel unserer Arbeitsmarktpolitik ist es, möglichst viele Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen, und dies natürlich unter guten, fairen, ordentlichen Bedingungen. Das, liebe Frau Wagenknecht, was Sie gerade vorgeführt haben,
(Zuruf von der LINKEN: War sehr gut!)
ist Ihre abgeschlossene Welt, die Sie sich so bunt malen, wie Sie sie brauchen, um dieses System, die freiheitliche Ordnung, die wir haben, zu bekämpfen. Ihre Angriffe zielen möglichst auf die SPD. Gut, da könnte ich mich locker zurücklehnen. Aber ich sage Ihnen sehr deutlich: Das, was Sie da veranstaltet haben, war unterirdisch und hat mit der Realität nichts zu tun.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Haben Sie den Gesetzentwurf nicht gelesen, Herr Schiewerling? Lesen Sie ihn mal!)
Warum hat das mit der Realität nichts zu tun?
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, warum?)
Die Realität sieht wie folgt aus: Wir haben über 43 Millionen Erwerbstätige, fast 32 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Wir haben über 21,4 Millionen Vollzeitbeschäftigte, und wir haben eine positive Wirtschaftsentwicklung. In vielen Regionen beklagen wir einen branchenspezifischen Fachkräftemangel. Wir haben 685 000 offene Stellen, und wir haben 172 000 offene Ausbildungsstellen. Das ist die Situation, in der wir uns befinden.
Grundlage für eine positive Entwicklung ist eine stabile, gute wirtschaftliche Entwicklung. Voraussetzung dafür ist nun einmal Flexibilität. Der Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ist eine Antwort darauf, dass wir auf der einen Seite Flexibilität, auf der anderen Seite aber auch Sicherheit für die Beschäftigten benötigen. Beides ist für uns in einer Zeit, in der wir offensiv Arbeit 4.0 diskutieren, eine große Herausforderung. Offensichtlich sind Sie, Frau Wagenknecht, und die Linke geistig immer noch in einem Industriezeitalter verhaftet, in dem es um tarifpolitischen Gleichmarsch geht, während die IG Metall und andere längst weiter sind als Sie.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Vielleicht sollten Sie mal zum Thema reden, Herr Schiewerling!)
Meine Damen und Herren, in dieser Diskussion spielt die Frage der Zeitarbeit eine zentrale Rolle. Es ist völlig richtig: Bis 2002 waren Zeitarbeit und Leiharbeit ein arbeitsmarktpolitisches Instrument, angesiedelt bei dem damaligen Arbeitsamt. Es hatte dafür zu sorgen, dass Leute, wenn sie gebraucht wurden, zeitweise überlassen wurden. Aber sie wurden eben nur zeitweise überlassen. Sie gingen dann wieder zurück in die Arbeitslosigkeit, und der Sprung in Beschäftigung ist keineswegs immer geglückt.
Seit 2002 gibt es eine Branche, in der mittlerweile circa 970 000 Menschen tätig sind. Das sind gerade einmal 2,6 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. 90 Prozent der Beschäftigten in der Zeitarbeitsbranche sind in Vollzeit tätig. Sie sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 81,2 Prozent haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag. 98 Prozent aller Zeit- und Leiharbeitnehmer unterliegen einem Tarifvertrag, und viele von ihnen, etwa 40 Prozent, arbeiten in Betrieben, die ebenfalls einem Tarifvertrag unterliegen, und zwar in der Metall- und Elektroindustrie.
Wenn Sie als Beispiel die bayerische Metall- und Elektroindustrie bringen, dann haben Sie genau die Falschen erwischt. Dort gibt es nämlich Tarifverträge. Dort braucht man solche flexiblen Regelungen und keine Instrumente, um möglichst billige Arbeitskräfte anzuwerben. Ich sage Ihnen: Ihr Beispiel zieht in dieser Frage nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber die Spenden ziehen schon, oder?)
– Es ist in Deutschland nicht verboten, Spenden zu bekommen, Herr Kollege Ernst. Nur, wenn dies in einen unsachlichen Zusammenhang gebracht wird, der offensichtlich so konstruiert ist, dass Sie Ihr Weltbild bestätigt bekommen, dann müssen Sie sich schon fragen lassen, ob Sie auf einem anderen Stern leben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, Zeitarbeit ist dafür da, Auftragsspitzen abzufangen, und nicht, um Stammbelegschaft zu ersetzen. Dem stimmen wir ausdrücklich zu. Aber Zeitarbeit und Leiharbeit sind ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument. 70 Prozent – ich bitte, diese Zahl einmal zur Kenntnis zu nehmen – der Zeitarbeitnehmer kommen aus Arbeitslosigkeit, und 29 Prozent der Zeitarbeitnehmer haben keinen Berufsabschluss. Wie jüngst das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung festgestellt hat, sind es gerade Personengruppen, die sich auf dem Arbeitsmarkt schwertun – dazu zählen auch viele ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger –, die über Zeitarbeit wieder in Beschäftigung kommen. Deswegen wäre es falsch, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wenn wir Ihren Anregungen folgen würden, dann würden wir diesen Menschen, die zu den Schwächeren gehören, nicht helfen, wirklich in Arbeit und in Beschäftigung zu kommen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Natürlich gibt es, wie in vielen anderen Bereichen auch, Verwerfungen. Diese Verwerfungen hat die Union 2010 mit der damaligen Schlecker-Drehtürklausel als Erstes in Ordnung gebracht. Wir haben 2005 angefangen, den Bereich der sich damals zugegebenermaßen noch entwickelnden Zeitarbeit und Leiharbeit zu regulieren. Das Gesetz, das wir heute vorlegen, ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg. Insofern brauchen wir von niemandem in der Frage Nachhilfe, was faire Bedingungen am Arbeitsmarkt sind.
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Doch! Die brauchen Sie! )
Dies gilt nicht nur für den Bereich der Zeitarbeit, sondern auch für den Bereich der Werkverträge. Wir haben uns darauf verständigt, die Dinge weiterzuentwickeln und nach vorne zu bringen. Natürlich ist es auch Aufgabe der Verbände, aus dieser Branche eine anerkannte Branche zu machen. Wir wissen, dass die Zeitarbeitsbranche sich vom Ansehen her sehr schwertut. Ich glaube, dass es auch Aufgabe der Branche ist, weiterhin von sich aus im Rahmen von Tarifverträgen, im Rahmen der 98-prozentigen tarifvertraglichen Bindung für eine positive Weiterentwicklung zu sorgen, in den Bereichen Bildung und Qualifizierung zu investieren, selbst ein Zeichen zu setzen, dass man es mit den Arbeitnehmern, die man in seiner Branche beschäftigt hat, ernst meint und alles tut, um sie unterzubringen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Wir haben im Bereich der Zeitarbeit – das haben wir im Rahmen der Vorbereitung dieses Gesetzgebungsprozesses gelernt – höchst unterschiedliche Situationen. Wir haben die Situation, dass viele Tausend Beschäftigte nicht aus der Zeitarbeit heraus wollen, weil sie deutlich mehr verdienen als im jeweiligen Entleihbetrieb. Es sind Spezialisten, die keinen Schutz brauchen, bei denen wir aber achtgeben müssen, dass wir ihnen die Arbeit nicht zusätzlich erschweren.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sollen angestellt werden! Ganz normal!)
Wir haben im Bereich der Zeitarbeit zum Beispiel auch eine Situation, die ich von vielen sozialen Einrichtungen kenne. Sie bemühen sich darum, Menschen mit schweren Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzubringen, und sie tun alles dafür, dass sie sozusagen in Außenwerkstätten tätig sind. Wenn wir denen dieses Instrument nehmen, dann nehmen wir den Menschen mit Behinderungen auch Chancen, auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig zu werden. Wir wollen ihnen dorthin eine Brücke bauen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich glaube, dass es notwendig ist, uns das, was wir auf den Weg bringen, in seiner Wirkung und seiner Entwicklung genau anzusehen und es dann auch entsprechend zu evaluieren.
Zum Thema Werkverträge. Werkverträge sind ein über hundert Jahre altes Instrument. Kein Fenster wäre im Deutschen Bundestag eingebaut worden ohne einen Werkvertrag. Werkvertrag ist ein grundsätzliches Instrument. Dort, wo allerdings – die Bundesarbeitsministerin hat das vorhin treffend dargestellt – Werkverträge und Zeitarbeit miteinander kombiniert werden und im Sinne eines Spurwechsels der jeweiligen Situation so angepasst werden, dass nicht klar ist, in welchem System man sich gerade befindet, brauchen wir Klarheit. – Unklarheit wollen wir verhindern. Das ist missbräuchliche Gestaltung. – Auch dem dient dieses Gesetz. Das hat nicht nur eine ganze Menge mit fairem Wettbewerb am Arbeitsmarkt, sondern auch mit einem fairen Wettbewerb zwischen den Betrieben zu tun. Das Gesetz, das wir hier auf den Weg bringen und das wir jetzt im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens diskutieren, dient auch dazu, Gerechtigkeit zwischen den Betrieben, die sich anständig verhalten, und denjenigen, die glauben, sie müssten jede Möglichkeit zum Missbrauch nutzen, um ja möglichst viel zu verdienen, herzustellen und diesen Wettbewerb in eine vernünftige Ordnung zu bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Beate Müller-Gemmeke von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7006257 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes |