29.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 193 / Tagesordnungspunkt 3

Christoph BergnerCDU/CSU - Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner einer breiten, facettenreichen Debatte im Schatten der beeindruckenden Abschiedsrede von Peer Steinbrück ist es natürlich nicht so ganz leicht, sich thematisch auf etwas zu konzentrieren, was vielleicht einen Schlussakzent setzen kann. Ich habe mich entschlossen, ein Thema aufzugreifen, das bei der Erarbeitung unseres Antrags durchaus kontrovers diskutiert wurde, und das ist die Frage des europäischen Zusammenhalts als eine kulturpolitische Herausforderung.

Wir haben uns daran gewöhnt, zu sagen, dass der Brexit gewissermaßen einen Wendepunkt markiert, dass er ein Weckruf für Europa ist und dass die europäische Politik auf diesen Weckruf reagieren muss. Die inzwischen stattgefundenen Treffen und Gipfel – Bratislava, um nur ein Beispiel zu nennen – zeigen, wie man – im Bereich der Wirtschaftsmarktpolitik, wie man im Bereich der Freizügigkeit und wie man im Bereich der Währungspolitik sowie der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik versucht – auf diesen Weckruf reagieren kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Fragen in dieser Debatte sind: Ist der Brexit auch ein Weckruf für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, und wie sollen wir dann, wenn wir dies bejahen, diesen Weckruf aufnehmen?

Die Antwort auf die erste Frage scheint mir relativ naheliegend zu sein. Wir tun gut daran, diesen Weckruf auch als einen kulturpolitischen Weckruf zu betrachten; denn – das ist deutlich geworden, und Peer Steinbrück hat es ja auch gesagt – allein die Bindekräfte des gemeinsamen Marktes, allein die Bindekräfte der gemeinsamen Währung, allein die Bindekräfte der Freizügigkeit reichen erkennbar nicht aus, um das Gemeinschaftsgefühl zu festigen, das wir in Form von europäischer Solidarität, geschlossener Außenpolitik und wechselseitigem Verständnis bei Herausforderungen wie der Flüchtlingskrise brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb würde ich die erste Frage uneingeschränkt bejahen und sagen: Ja, wir sind gut beraten, auch in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik Handlungsbedarf zu sehen und diesen Handlungsbedarf aufzugreifen. Dies ist Gegenstand unseres Entschließungsantrags geworden.

Damit stellt sich natürlich die zweite Frage: In welcher Weise soll der Handlungsbedarf aufgegriffen werden? Ich möchte es riskieren, zu sagen: Wir müssen um eine gemeinsame europäische Identität ringen, die wir nicht in ausreichendem Maße haben. Wenn wir dies als eine Aufgabe der Kulturmittler betrachten, dann stellt sich natürlich die Frage: Wie sollen wir zu den angemessenen Antworten kommen? Diese Diskussion ist nicht einfach; denn sie fällt in eine Zeit, in der identitäre Bewegungen und Ideologien sich mal nationalistisch, mal ausschließlich europäisch-abendländisch, mal islamophob abzugrenzen und so Identitätsmuster aufzubauen versuchen; jedenfalls suchen diese Ideologien bewusst den Konflikt mit der Grundwertecharta der Europäischen Union.

Die Antwort ist auch deshalb schwer, weil wir – davon bin ich überzeugt – Identität nicht in der Grenzenlosigkeit finden, weil wir, wenn wir Identität suchen, die Grenzen unserer Identitätsbezüge suchen müssen, Grenzen, die Peer Steinbrück das „normative Projekt des Westens“ genannt hat. Viele wohlmeinende Akteure, auch in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, flüchten sich geradezu in die Grenzenlosigkeit und weichen der Frage: „Was ist typisch europäisch?“ in einer Weise aus, die ich nicht nachvollziehen kann.

Die Debatte über die europäische Identität fällt in eine Zeit, in der nationalstaatliche Leitbilder im Sinne einer antieuropäischen Zielstellung in den Parteienlandschaften Europas revitalisiert werden. Die Lehre, die wir daraus ziehen können, ist, dass europäische Identität immer nur als Konglomerat nationaler und regionaler Identifikationen verstanden werden kann. Es wäre unklug, weil wir eine europäische Identität pflegen wollen, die nationalen Identitäten zu verteufeln. Wir müssen die Bindekräfte dieses Konglomerats suchen. Dies halte ich für eine sehr wichtige Herausforderung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Suche nach der europäischen Identifikation fällt in eine Zeit, in der die östlichen EU-Mitgliedstaaten in der Flüchtlingsfrage Identitätskriterien geltend machen – keine muslimischen Zuwanderer –, die im westlichen Europa längst zur Disposition gestellt wurden. Auch hier empfehle ich uns sehr, gegenüber den Osteuropäern nicht die Schulmeister zu spielen, sondern diese Identitätsfragen, die mit den osteuropäischen Kulturkonzepten verbunden sind, zum Gegenstand eines ehrlichen Dialogs zu machen.

All diese Probleme und Schwierigkeiten unterstreichen aus meiner Sicht, dass europäische Identifikation als ein Arbeitsgebiet der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ernst genommen werden muss. Hier sind einige Ansätze schon genannt worden: Netzwerke wie EUNIC, Kulturhauptstädte Europas. In der letzten Sitzung des Unterausschusses wurde das Projekt „Europäisches Kulturerbejahr 2018“ vorgestellt. Ich muss zugeben, dass ich von den Darstellungen der brandenburgischen Wissenschaftsministerin und des zuständigen Geschäftsführers etwas enttäuscht war. Ich hätte mir gewünscht, dass sie konkreter und programmatischer gewesen wären. Der Grundsatz des Europäischen Kulturerbejahres „Europas kulturelles Erbe“ ist aber ein maßgeblicher und unverzichtbarer Bestandteil unserer gemeinsamen europäischen wie auch lokalen Identität. Dieser Grundsatz ist im Sinne des Anliegens nur zu unterstreichen. Ich appelliere, dass wir aus diesem Europäischen Kulturerbejahr etwas machen.

Es lassen sich weitere Beispiele nennen. Ein beliebtes Beispiel von mir sind die deutschen Minderheiten, die nicht als Außenstellen nationaler deutscher Selbstdarstellung, sondern als Zeugen der Vielfalt europäischer Siedlungsgeschichte betrachtet werden können. Ich will nur beispielhaft erwähnen, dass die „Stiftung Kirchenburgen“ in Rumänien – wie ich gerade in diesen Tagen gehört habe – unter der Schirmherrschaft des rumänischen Staatspräsidenten und des deutschen Bundespräsidenten steht. Dies begrüße ich sehr und betrachte ich auch als eine besondere Verpflichtung.

Ich will weiterhin, um auf die Polemik von Herrn Dehm zu reagieren, die östliche Nachbarschaftspolitik erwähnen; für die Aufstockung der entsprechenden Mittel haben wir uns eingesetzt. Die Frage, wie wir zu unseren östlichen Nachbarn die Hand ausstrecken und wie wir gesellschaftspolitische Konzepte mit ihnen diskutieren, ist eine entscheidende Frage für das europäische Selbstverständnis und eine große Bewährungsprobe für die europäische Identitätssuche.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7009792
Wahlperiode 18
Sitzung 193
Tagesordnungspunkt Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
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