Christian FlisekSPD - Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition hat einen gut ausverhandelten, detaillierten Koalitionsvertrag. Dieser Koalitionsvertrag war der bisherige Fahrplan für fast alle Gesetzesvorhaben dieser Regierung. Er wird es mit Sicherheit auch noch bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Sicherheit nicht!)
Gleichwohl beraten wir mit dem heute im Entwurf vorliegenden BND-Reformgesetz ein Vorhaben, das sich so nicht in diesem Koalitionsvertrag findet. Das hat gute Gründe; denn den Urknall für diese Reform finden wir in der Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses der 18. Wahlperiode, des sogenannten NSA-Untersuchungsausschusses, des Deutschen Bundestages.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ein bisschen PKGr war auch dabei!)
– Ein bisschen, ja. Wir reden jetzt über die BND-Reform, Herr Kollege Binninger. Ich denke, wir sind uns einig, dass die wesentliche Arbeit im NSA-Untersuchungsausschuss geleistet wurde.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da ist sie: die Harmonie der Großen Koalition! – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Vielleicht doch Zwillinge!)
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Ausschuss – das ist bereits erwähnt worden – wurden in über zweieinhalbjähriger Arbeit all jene Erkenntnisse zutage gefördert, die wir heute zu einer umfassenden Reform des Rechts des Bundesnachrichtendienstes verdichten. Zur Wahrheit gehört auch, dass uns diese Erkenntnisse im Untersuchungsausschuss weder vom Bundesnachrichtendienst noch vom Bundeskanzleramt auf dem Silbertablett serviert wurden.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem mit Schwärzungen!)
Wir mussten sie uns in über 115 Sitzungen mit über 100 Zeugen und mit über 2 000 zum Teil schwer lesbaren Akten mühsam erarbeiten. Ich möchte aber betonen, dass mit diesem Untersuchungsausschuss der Deutsche Bundestag bisher weltweit das einzige Parlament ist, das sich nach den Veröffentlichungen von Edward Snowden so gründlich und so intensiv mit dieser Thematik befasst hat.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)
Die Defizite innerhalb des Bundesnachrichtendienstes, die der Untersuchungsausschuss aufgedeckt hat, waren und sind massiv. Da geht es etwa um die Ausland-Ausland-Verkehre – das ist angesprochen worden; das findet sich auch im Titel dieses Gesetzes wieder –; das sind beispielsweise E-Mails, die ihren Ursprung im Ausland haben, bei denen also der Absender im Ausland ist, mit einem Empfänger im Ausland. Bei der strategisch wichtigen Überwachung solcher Verkehre agierte der Bundesnachrichtendienst bisher in einer Dunkelkammer.
Das setzte sich fort in einer völlig unzureichenden Kontrolle dieses immer wichtiger werdenden Tätigkeitsbereichs durch das Bundeskanzleramt. Wir haben erst gestern einen Referatsleiter als Zeugen im Untersuchungsausschuss gehört, dessen Aufgabe es war, die Abteilung TA zu kontrollieren, wenn man so will, die Aufsicht auszuüben.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ein Mann!)
Zwischen 2013 und 2015 – ich sage es Ihnen – fand sich da zum Thema Selektoren relativ wenig.
Innerhalb des Bundesnachrichtendienstes entwickelten sich über Jahre hinweg auch völlig abstruse Rechtsinterpretationen. Die berühmteste ist die Weltraumtheorie, die auch durch die Medien geisterte. Ich glaube, das alles waren Interpretationen des geltenden Rechts mit einem einzigen Ziel, sich nämlich des Ballasts des deutschen Rechts zu entledigen.
Wir haben eklatante organisatorische Missstände in der Abteilung Technische Aufklärung festgestellt. Wir haben bis tief in diese Legislaturperiode hinein eine Informationspolitik des Bundeskanzleramts gehabt, zu der man in Bezug auf die Aufarbeitung dieser Missstände sagen kann: Das war alles andere als proaktiv.
Meine Damen und Herren, ich denke, dass die sozialdemokratische Fraktion die einzige Fraktion in diesem Hause war, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt die richtigen Schlüsse aus dieser unerträglichen Situation gezogen hat.
(Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren Sie ganz, ganz allein!)
Wir haben im Sommer 2015 ein Eckpunktepapier auf den Tisch gelegt, in dem nicht nur die damals bekannten Mängel klar benannt worden sind; wir haben auch konkrete Lösungsvorschläge vorgelegt.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von denen ist wenig übrig geblieben! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr seid so toll!)
Wir hätten uns gewünscht, dass die anderen sich mit Vorschlägen beteiligen; aber da gab es nichts,
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von uns!)
obwohl die Erkenntnisse auf dem Tisch lagen. Man war unisono die Meinung: Lassen Sie uns doch abwarten, bis der Untersuchungsausschuss seinen Abschlussbericht vorlegt! – Für uns war klar: Der Abschlussbericht wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Ende der Legislaturperiode zusammenfallen. Ob dann irgendeine Empfehlung in der nächsten Legislaturperiode aufgegriffen wird, das steht in den Sternen. – Deswegen haben wir gesagt: Wir gehen bereits, wenn die Erkenntnisse auf dem Tisch liegen, mit einem Eckpunktepapier an die Öffentlichkeit. Ich sage heute sehr deutlich: Dieses Eckpunktepapier war die Blaupause für die aktuelle Reform.
Meine Damen und Herren, für uns war völlig klar, dass ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar ist, insbesondere nicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes; denn bei aller Kritik: In Zeiten zunehmender terroristischer Bedrohungslagen brauchen wir einen effizient arbeitenden Auslandsnachrichtendienst. Effizient arbeiten kann ein Auslandsnachrichtendienst nur dann, wenn er auf dem Boden rechtsstaatlich abgesicherter Legitimität arbeitet. Hierfür legen wir heute die Grundlagen.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte einige Punkte ausdrücklich erwähnen: Jede Datenerfassung muss in Zukunft dem Auftragsprofil der Bundesregierung für den BND entsprechen. Wir legen heute Standards für den Schutz von EU-Bürgern und EU-Institutionen fest und stellen diese insoweit Deutschen gleich. Ich möchte das deswegen betonen, weil das europaweit, weltweit einmalig ist. Wir haben nach Snowden eine tolle Debatte in Deutschland erlebt. Sie war ein Stück weit heuchlerisch; denn wir haben festgestellt, dass wir zum Teil ebenso wie alle anderen Dienste dieser Welt allenfalls die eigenen Bürger schützen, dass es aber keine Standards für Ausländer gibt. Diese Situation entschärfen wir mit der Verabschiedung des heute vorliegenden Gesetzentwurfs zumindest für EU-Bürgerinnen und ‑Bürger. Ich glaube, das ist ein riesengroßer Schritt.
Wir verbieten ausdrücklich Wirtschaftsspionage. Wirtschaftsspionage wird verboten. Ich glaube, das ist für ein Land wie Deutschland existenziell.
Kooperationsvereinbarungen mit anderen Diensten müssen in Zukunft dem PKGr vorgelegt werden. Auch hier haben wir eine Dunkelkammer gehabt. Da wird in Zukunft erheblich mehr Licht reinkommen. Das PKGr wird in Zukunft in Bezug auf alle Kooperationen informiert werden.
Ich wurde in den letzten Wochen oft gefragt: Kann man einen Geheimdienst überhaupt kontrollieren? Passt ein Nachrichtendienst überhaupt in eine parlamentarische Demokratie?
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Gute Frage!)
Ich sage: Ja, nämlich dann, wenn wir sicherstellen, dass er rechtsstaatlich legitimiert ist. Für eine rechtsstaatliche Legitimation müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Es darf keinen einzigen Tätigkeitsbereich des Dienstes geben, der nicht durch klare Rechtsgrundlagen bestimmt ist, und es darf keinen Tätigkeitsbereich geben, der nicht einer starken parlamentarischen Kontrolle unterliegt.
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und er darf nicht lügen!)
Für diese beiden Voraussetzungen schaffen wir mit diesem Gesetz die Grundlagen. Ich denke, da kann man bei einiger Kritik im Detail durchaus sagen: Das ist ein mutiger Schritt nach vorne. Herr Ströbele, auch Sie müssen sagen, dass zu Beginn dieser Legislaturperiode wahrscheinlich keiner darauf gewettet hätte, dass uns das gelingt.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Konstantin von Notz, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7020295 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 197 |
Tagesordnungspunkt | Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des BND |