Rudolf HenkeCDU/CSU - Arzneimittelrechtliche Vorschriften (2. Lesung)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einige Punkte aufgreifen, die in der Diskussion eine Rolle gespielt haben und von denen ich das Gefühl habe, dass zum Teil Vorstellungen existieren, die nicht so richtig fundiert sind.
Fangen wir einmal mit der Frage an, ob es wirklich nur um das Thema Demenz geht. Ja, das Thema Demenz – Frau Sitte hat auf die Zahlen aufmerksam gemacht – bedrückt uns besonders, weil es niemanden unter uns gibt, der im Kreis der Freunde oder Angehörigen keinen hätte, der davon betroffen ist. Aber wenn wir über Forschung an nichteinwilligungsfähigen Menschen sprechen, dann sprechen wir nicht nur über das Thema Demenz,
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Das ist wahr!)
sondern wir sprechen auch über andere Krankheiten, für die es bisher keine Heilungschance in irgendeiner Weise gibt. Ein paar weitere Beispiele: Da sprechen wir über Menschen, die mit Tollwut, Rabies, auf der Intensivstation liegen, oder über Menschen, bei denen wir nicht wissen können, wie ihre Heilungsperspektiven sind, weil sie in einem Wachkoma liegen – die einen haben ein Absterben des Gehirns erlitten und die anderen haben ein Locked-in-Syndrom –, also in einer Situation, in der eine Chance besteht, dass sie aus diesem Wachkoma erwachen und wieder gesunden. Ich will daran erinnern, dass wir vor Jahren alle aufgeregt waren beim Rinderwahnsinn. Auch hier gibt es eine menschliche Form dieser Krankheit: die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Diese Krankheit spielt heute in der Debatte keine Rolle. Aber damals war eine Verlaufsforschung zu dieser Krankheit das Gebot der Stunde.
Ich will damit sagen: Es sind nicht alles Therapiestudien, es geht nicht immer um die Einwirkung von Arzneimitteln.
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Doch, es geht um klinische Studien! Arzneimittelstudien!)
Es ist gesagt worden, der vfa ist so bedeutend, weil er Arzneimittelstudien machen kann.
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Es geht nur um Arzneimittel!)
Natürlich gibt es auch Krankheitssituationen, in denen gar keine Arzneimittel zur Verfügung stehen,
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja, aber wir reden hier über Arzneimittelrecht!)
aber auch für diese Situationen muss man Forschungsmöglichkeiten zur Unterstützung der Patienten haben, beispielsweise zu der Frage: Wie kann man ihnen die beste unterstützende Pflege geben?
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber das ist doch gar nicht Gegenstand des Gesetzes!)
Das kann nur anhand der Regeln stattfinden, die man für vergleichende Arzneimittelstudien anwendet. Natürlich setzen wir auch für diese klinische Forschung mit dem Arzneimittelgesetz den Standard, an den sich die zuständige Bundesoberbehörde, die Ethikkommissionen zu halten haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Wir sprechen nur über Arzneimittel!)
Nächster Punkt. Ja, die Menschen haben große Erwartungen. Ich glaube aber, dass sich Fortschritte eher in kleinen Schritten vollziehen werden und dass wir nicht erleben werden, dass übermorgen das Arzneimittel zur Verfügung steht, mit dem man den Schalter einfach umlegt und plötzlich für viele die Tür zur Heilung geöffnet ist. Es gibt das Versprechen der Selbstnützigkeit, der Eigennützigkeit. Man muss übersetzen, was damit gemeint ist: Es ist ein potenzieller, ein möglicher, ein denkbarer Eigennutz. Bei vergleichenden Arzneimittelstudien wissen wir, wer das Arzneimittel und wer das Placebo bekommt. Man hat möglicherweise in beiden Fällen Belastungen und Risiken. Nur die Hälfte hat überhaupt eine Chance, von den Arzneimitteln zu profitieren. Aber dennoch sagen wir: Diese Studie kann durchgeführt werden, weil sie einen potenziellen Eigennutzen vermittelt.
Es wird gesagt: Keine einzige Studie ist untersagt worden. – Ja, aber es ist auch keine einzige Studie erlaubt worden.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ja auch nichts beantragt worden!)
Wir wissen doch gar nicht, unter welchen Voraussetzungen in Zukunft welche Ansätze entwickelt werden.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und zwar weltweit keine einzige Studie!)
Aber es ist doch klar, dass niemand Anträge stellt, wenn er von vornherein annehmen kann, dass der Antrag nicht genehmigt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dann wird gefragt: Kann man im Voraus informiert sein? Kann man im Voraus wissen, worin man einwilligt?
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, kann man nicht!)
Das ist die Frage. Das hängt davon ab, welche Erklärung man abgibt. Wir haben heute im Patientenverfügungsrecht die Möglichkeit, weit im Voraus zu sagen: Ich möchte niemals an Maschinen hängen, ich möchte niemals beatmet werden, ich möchte niemals künstliche Ernährung haben. – Wenn man das für sich erklärt, ist diese Erklärung für die gesundheitliche Versorgung bindend. Ob sie sinnvoll oder nicht sinnvoll ist, wird im Einzelnen nicht überprüft. Weil es möglich ist, diese Entscheidung zu treffen, frage ich mich: Wo liegt eigentlich der Unterschied, wenn man eine solche Entscheidung auch für andere Bedingungen als den Abbruch von Therapien trifft, wenn man eben nicht unterbindet, dass bestimmte Therapien stattfinden, sondern erklärt, dass man bereit ist, an bestimmten Maßnahmen mitzuwirken, die dem Erkenntnisgewinn dienen und mit denen möglicherweise nicht mehr einem selber, aber anderen geholfen werden kann?
Übrigens – nur damit sich keiner Illusionen macht –: Im Grunde akzeptiert das jeder von uns; denn jeder von uns ist damit einverstanden, dass es möglich ist, sich vor einer Narkose damit einverstanden zu erklären, dass man einer Operation unterzogen wird.
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Zum eigenen Nutzen! – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es aber einen individuellen Nutzen! Es wird ja immer verrückter!)
Wenn ich eine solche Erklärung vor einem Eingriff abgebe, dann ist auch das eine Vorausverfügung;
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da gibt es einen individuellen Nutzen!)
denn in dem Moment, in dem die Operation beginnt, habe ich meine Einwilligungsfähigkeit längst verloren, in dem Moment bin ich narkotisiert und kann nicht mehr einwilligen. Trotzdem gilt diese Vorausverfügung auch für diesen Moment.
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Aber es gibt einen Eigennutzen! Wo ist denn da der Gruppennutzen?)
Herr Henke, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Frau Haßelmann?
Ja, gern.
Aber lassen Sie mich erst mal etwas sagen. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind in einer sehr intensiven Debatte. Ich bitte diejenigen, die jetzt andere Gespräche führen wollen, dies nicht hier im Raum zu tun, sondern sich hinzusetzen und dieser Debatte zu folgen. Sie ist intensiv, und sie verdient es, dass den Kolleginnen und Kollegen, die hier am Redepult stehen oder Zwischenfragen stellen, Aufmerksamkeit geschenkt wird, auch im Interesse derjenigen, die zuhören wollen.
(Beifall der Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU], Sabine Dittmar [SPD] und Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Bitte setzten Sie sich hin, und hören Sie den Kolleginnen und Kollegen zu. Es geht in Richtung Ende der Debatte, aber wir sind noch nicht am Ende, und jeder Kollege hat das Recht, dass ihm hier im Haus Aufmerksamkeit geschenkt wird. – Bitte, Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege Henke, für die Zulassung der Frage. Aber jetzt mal ganz im Ernst: Sie wollen uns doch nicht erklären, dass die Vorauserklärung bei einer Narkose, die in diesem Gesetzentwurf vorgesehene Probandenerklärung und die Patientenverfügung mit Blick auf die Frage, was das denn eigentlich bedeutet, in irgendeiner Art und Weise auf eine Stufe zu stellen sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es kann doch nicht ernsthaft Ihr Interesse sein, dem Haus das so zu erläutern.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Frau Kollegin, was ich deutlich zu machen versucht habe,
(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Ist nicht logisch!)
ist, dass es möglich sein muss, Vorausverfügungen für einen Zeitpunkt zu treffen, zu dem man die eigene Einwilligungsfähigkeit nicht mehr zu Gebote hat. Diese Möglichkeit muss es geben, und diese Möglichkeit wird natürlich bei jeder unter Narkose stattfindenden Operation in Deutschland eingeräumt.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist doch ein konkreter Fall! Wir reden doch über eine ganz andere Sachlage! – Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind aber ganz konkrete Umstände!)
Wenn es nicht möglich wäre, überhaupt eine Vorausverfügung für den Zeitpunkt zu treffen, zu dem man die Einwilligungsfähigkeit eingebüßt hat, dann müsste das ja bedeuten, dass man im Grunde immer gegen Recht verstoßen würde, wenn man sich damit einverstanden erklärte, dass man zu einem Zeitpunkt beispielsweise operiert wird, zu dem man die Einwilligungsfähigkeit verloren hat.
(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)
Insofern sage ich: Die zentrale Frage, über die wir heute hier diskutieren, ist nicht die Frage des Schutzniveaus. Das Schutzniveau ist gewaltig: Wir haben eine Bundesoberbehörde, die jede einzelne Studie zu prüfen hat. Wir haben örtliche Ethikkommissionen, die jede einzelne Studie zu prüfen haben.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Sie gerade mit dem Gesetzentwurf entmachten!)
Der Prüfplan ist im Einzelnen vorzulegen. Dieser Prüfplan ist im Einzelnen darauf zu prüfen, ob er mit der Willenserklärung desjenigen übereinstimmt, der sich einverstanden erklärt hat. Wir haben im EU-Recht die Generalklausel: Der Prüfungsteilnehmer wird so weit wie möglich in den Einwilligungsprozess einbezogen. – Das schließt auch den natürlichen Willen mit ein, auf den der Antrag von Hubert Hüppe abzielt und gegen dessen Annahme ich nichts habe.
Der einzige Punkt, über den wir diskutieren und entscheiden müssen, ist die Frage, ob man im Voraus die Freiheit hat, darüber zu entscheiden, dass man sich an einem Forschungsprojekt beteiligt. Das ist die zentrale Frage. Diese Entscheidung darf jeder Elternteil, jeder Erziehungsberechtigte für seine eigenen Kinder treffen. Im Jahr 2004 haben wir das so entschieden,
(Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist ein konkreter Fall mit konkreten Umständen!)
und es ist auch notwendig, dass wir das so entschieden haben. Es kann doch nicht sein, dass ein Erwachsener eine Entscheidung darüber treffen kann, ob sein Kind an Forschungsprojekten beteiligt wird – es wird natürlich nicht selbst gefragt; darüber darf der Erwachsene entscheiden –, aber nicht über sich selbst bestimmen und sagen darf: In zwei Jahren, wenn bei mir die Demenz so weit ist, dass ich meinen Verstand verloren habe, dann bin ich bereit, mich an einer solchen Forschung zu beteiligen. – Das wollen wir verbieten? Das wollen wir untersagen? Ich finde, das kann nicht sein. Deswegen bitte ich Sie sehr herzlich um die Zustimmung zu dem Änderungsantrag, den ich mit anderen Kollegen gestellt habe.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen nichts verbieten! Das ist Gesetz! Das ist die aktuelle Rechtslage!)
Vielen Dank, Kollege Henke. – Ich möchte noch einmal darauf hinweisen – und das gilt für alle –: Wir sind nicht am Ende der Debatte. Es sprechen noch zwei Kollegen. Ich bitte Sie, die Gespräche einzustellen und den Kollegen die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.
Nächste Rednerin: Sabine Dittmar von der SPD-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7029067 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 198 |
Tagesordnungspunkt | Arzneimittelrechtliche Vorschriften (2. Lesung) |