10.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 199 / Tagesordnungspunkt 9 + ZP 6

Matthias HeiderCDU/CSU - Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

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Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Das Wettbewerbsrecht ist die Straßenverkehrsordnung, die wir auf dem Markt haben. Die Unternehmen in Deutschland fahren gut damit. Wir haben in den allermeisten Branchen einen gesunden Wettbewerb.

Trotzdem müssen wir als Parlament alle paar Jahre danach schauen, ob die Regeln noch den wirklichen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechen. Da gibt es Vorfahrtsregeln, und es gibt Stoppschilder. Manche Verkehrsteilnehmer schlagen über die Stränge. Da wird ge­rempelt, und andere werden sogar ausgebremst.

Deshalb haben wir heute den Gesetzentwurf zur neunten Novelle des Wettbewerbsrechts vorliegen. Wir wollen, dass der Wettbewerb offen bleibt, bei Verletzung der Spielregeln Bußgelder eingetrieben und Schadensersatz­ansprüche leichter durchgesetzt werden können.

Insgesamt umfasst die neunte GWB-Novelle fünf große Bereiche.

Als Erstes ergänzen wir die Kriterien, mit denen wir im Kartellrecht einen Markt bestimmen. Die Digitalisierung verändert alle unsere Lebensbereiche. Es entwickeln sich neue Geschäftsmodelle, bei denen oft keine unmittelbare Gegenleistung für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen gefordert wird.

Ein Beispiel, das wir alle kennen, ist die Google-Suche, die wir als Nutzer ohne Gegenleistung in Anspruch nehmen. Solche Märkte können wir bisher mit den Regeln des Kartellrechts nicht in den Griff bekommen. Unsere Gesetze sind darauf angelegt, dass wir einen Markt haben, bei dem letztendlich auch eine Gegenleistung fließt. Das müssen wir ändern. Wir werden die Kriterien an die Marktbetrachtung anpassen. Wir wollen uns auf das Zeitalter der Digitalisierung besser einstellen.

Das gilt auch für die Fusionskontrolle. Der Fall „Facebook/WhatsApp“ ist schon angesprochen worden. So war es möglich, dass ein Unternehmen für fast 20 Milliarden Dollar übernommen werden konnte. Aber das Kartellrecht in Deutschland gab dem Bundeskartellamt keine Möglichkeit, einen solchen Vorgang zu prüfen. Das müssen wir ändern.

Die Digitalisierung spiegelt sich auch in anderen Branchen wider, aber nicht nur mit Vorteilen. Besonders betroffen von der Digitalisierung sind die Pressebranche, die Presseverlage. Einerseits gehen die Umsätze bei Zeitungen und Zeitschriften zurück. Andererseits stehen die Presseverlage in erheblicher Konkurrenz zu den großen Onlineanbietern. Deshalb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Kooperationen von Presseverlagen unterhalb der redaktionellen Ebene für zehn Jahre vom Kartellverbot ausnehmen wollen. Pressevielfalt, meine Damen und Herren, ist in einem demokratischen Rechtsstaat wichtig, und den wollen wir an dieser Stelle fördern.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Heider, ich darf Sie kurz unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?

Ja, bitte.

Bitte schön.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Aber keine schlichte Zwischenfrage!)

Herr Kollege, Sie führten gerade an, dass die Presseverlage vor den Internetunternehmen geschützt werden sollten. So ungefähr kann man das übersetzen. Aber ist Ihnen denn nicht bewusst, dass mittlerweile zu einem erheblichen Teil gerade Presseverlage selbst im Internetgeschäft unterwegs sind und von daher eine Schutzbedürftigkeit in dem Sinne nun wirklich nicht besteht? Vielmehr wäre es nach wie vor wichtig, die Pressekonzentration zu bekämpfen und nicht die Regelungen, wie ich in meiner Rede schon ausgeführt habe, in diese Novelle einzubauen, die faktisch dazu führen, dass geradezu ein Aufruf dazu besteht, zusätzliche Kartelle zu bilden.

So weit.

Vielen Dank, Herr Kollege. – Es ist natürlich immer so: Gerade da, wo Märkte im Umbruch sind, ist der Gesetzgeber gefordert, jedenfalls für eine kurze Zeit zu helfen und die Wettbewerbsstrukturen etwas mitzugestalten. Genau das machen wir im Pressebereich. Ich wüsste keine Regelung, die angemessener wäre, als für eine Zeit lang in einem so wichtigen Bereich wie der Meinungsvielfalt die Regeln etwas anzupassen. Wir werden zum Normalbetrieb zurückkehren müssen.

Meine Damen und Herren, es gibt einige Tatbestände im Bereich der Missbrauchsaufsicht, die schon angesprochen worden sind: Vorschriften zu Verboten und Verhaltensweisen, das Anzapfverbot, der Verkauf unter Einstandspreis. Wir haben vorhin über den Milchsektor gesprochen; der Kollege Knoerig wird sich damit gleich noch intensiv beschäftigen.

Lassen Sie mich noch zu einer Folge von Kartellverstößen kommen, die Ihnen vorhin schon als sogenannte Wurstlücke vorgestellt worden sind. Im Bußgeldrecht schließen wir die sogenannte Wurstlücke. Das Kartellamt konnte aufgrund der Lücke einen festgesetzten Bußgeldbetrag bei einem großen Wursthersteller nicht eintreiben. 130 Millionen Euro sind dem Kartellamt durch die Lappen gegangen. Das liegt an einer Lücke im deutschen Kartellrecht. Unternehmen können sich umstrukturieren, und dann kann der Bußgeldbescheid bei ihnen nicht mehr vollstreckt werden. Das ist ungerecht. Vor allen Dingen müssen wir befürchten, dass, wenn das so bleibt, Einzelkaufleute sowie mittlere und kleinere Unternehmen immer diejenigen sind, die das Nachsehen haben, weil sie nicht in dieser Weise umstrukturieren können.

Wir wollen diese Lücke schließen. Deshalb ist es erforderlich, dass wir in diesem Bereich an den einheitlichen europäischen Unternehmensbegriff anschließen, das deutsche Recht in diesem einen Fall wirklich vollständig an das europäische Recht anschließen. Das Kartellrecht ist ein Bereich, der im Wesentlichen von Europarecht geprägt ist.

Auch im Bereich des Schadensersatzes werden wir tätig. Das hilft den durch Kartelle Geschädigten, Schadensersatzansprüche besser durchzusetzen.

Meine Damen und Herren, was wir noch nicht in der Kartellrechtsnovelle vorgesehen haben, ist eine Änderung des Ministererlaubnisverfahrens. Die Union setzt sich dafür ein, dass wir den Erkenntnissen aus dem Verfahren um Edeka/Kaiser’s Tengelmann Rechnung tragen. Sie sind durchaus schwerwiegend. Der unerfreulich lange Verlauf dieses Verfahrens bringt uns dazu, Änderungsbedarf an dieser Stelle anzumelden.

Zunächst einmal ist das große Engagement des Ministers zu loben, der versucht hat, die Arbeitsplätze zu schützen. Ich glaube, es gibt niemanden in diesem Haus, der nicht unterstreichen würde, dass Arbeitnehmer und die Unternehmen in einer solchen Größenordnung geschützt werden sollten. Das ist lobenswert und nicht zu beanstanden.

Ich erinnere aber daran, dass nach der Versagung der Übernahme durch das Kartellamt im April 2015 die Ministererlaubnis von Edeka/Kaiser’s Tengelmann beantragt wurde, aber erst elf Monate später, im März 2016, eine Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers erging. Diese Entscheidung wurde von Wettbewerbern beklagt. Die Klage ist bis heute nicht vom Tisch, weil Rechte der Beteiligten nicht genügend beachtet worden sind und weil das Argument „Gemeinwohl liegt vor“ auf verfassungswidrige Gründe gestützt worden ist; so sagt es das Oberlandesgericht Düsseldorf.

Die Gewerkschaften sollten bei der Übernahme das Feintuning durch Tarifverträge sicherstellen; so die Auflage des Ministers. Das hat sich als harte Nuss erwiesen, meine Damen und Herren. Fünf Monate hat Edeka gebraucht, um einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln. Die Zeit rannte den Beteiligten davon. Die Klage des Wettbewerbers Rewe ist immer noch anhängig, und ein Altbundeskanzler musste bemüht werden, um zwischen den Beteiligten zu vermitteln.

Was jetzt kommt, ist schon etwas für exekutive Feinschmecker, meine Damen und Herren. Herausgekommen ist beim Einsatz des Altkanzlers offenbar eine Empfehlung, die Edeka und Kaiser’s Tengelmann auch schon damals aus der Entscheidung des Bundeskartellamtes im Jahr 2015 unschwer hätten ablesen können. Eine Einigung zwischen Edeka und Rewe auf Weiterverkauf von Filialen von Edeka an Rewe muss sich jetzt nicht nur im Rahmen der Ministererlaubnis bewegen, also sämtliche Punkte einhalten, auch die des Tarifvertrages mit den Gewerkschaften – tut sie das nämlich nicht, brauchen wir eine völlig neue Ministererlaubnis –; das Bundeskartellamt muss jetzt auch erneut entscheiden, nämlich darüber, ob Rewe möglicherweise Filialen aus diesem Paket der Edeka übernehmen darf. Welche Maßstäbe wird es da wohl anwenden? Hatte das Bundeskartellamt nicht schon im Jahr 2015 klar und deutlich gesagt, dass die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel hoch ist? Meine Damen und Herren, wir drehen uns an dieser Stelle im Kreis. Um die Bilanz ist es nicht gut bestellt: zwei verlorene Jahre für die Sicherheit der Arbeitnehmer und der Unternehmer, zwei Jahre Wertverlust, enttäuschtes Vertrauen in ein rechtsstaatliches Verfahren, fehlender Zugang zu Information, mangelndes rechtliches Gehör für die Beteiligten. Auch das Amt des Bundeswirtschaftsministers, meine Damen und Herren, ist dabei ein bisschen beschädigt worden.

Zum Glück scheint der Fall Edeka/Kaiser’s Tengelmann noch ein gutes Ende nehmen zu können. Wir als Union sind der Überzeugung: Eine solche Hängepartie darf sich nicht wiederholen. Der Gesetzgeber muss deshalb die Konsequenzen aus diesem Verfahren ziehen, sonst wird kein Unternehmen in Deutschland jemals wieder versuchen, eine Ministererlaubnis in einer besonderen Lage zu beantragen. Wir als Union möchten die Ministererlaubnis stärken. Wir möchten die Entscheidungsfindung des Ministers klarer und effektiver gestalten. Wir möchten die Rechte der Beteiligten schützen. Dazu gehören die folgenden Eckpunkte.

Die Verfahrensdauer der Ministererlaubnis von vier Monaten ist im geltenden Recht eine Sollvorschrift, also eine eher freundliche Empfehlung. Wir glauben, dass ein solches Verfahren in spätestens sechs Monaten beendet sein muss. Wir sind deshalb der Auffassung: Wenn innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung gefällt wird, dann muss dieses Verfahren beendet sein, weil der Antrag damit abgelehnt ist. Wir möchten einen festen Zeitpunkt für die öffentliche mündliche Verhandlung haben.

Außerdem soll der Entscheidungsentwurf des Ministers zwingend öffentlich konsultiert werden. Die Beteiligten und die Beigeladenen sollen Gelegenheit haben, die Akten in einem Aktenraum in Echtzeit einsehen zu können. Wenn der Minister die Sollvorgabe von vier Monaten, wie sie im Moment im Gesetz steht, für eine Entscheidung nicht einhält, dann wollen wir Parlamentarier aus erster Hand informiert werden. Die Verfahrensvorschriften, die es dazu braucht, sollen transparent sein. Sie sollen in einer Verordnung gebündelt werden. Wir wollen daher, dass es eine Verordnungsermächtigung mit Parlamentsvorbehalt im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen gibt, damit eindeutig klar ist, wie die Spielregeln für den Wettbewerb in solch einer besonderen Situation sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein von den Grünen und Linken gefordertes Vetorecht oder sogar einen Parlamentserlaubnistatbestand lehnen wir ab. Meine Damen und Herren, das zu entscheiden, ist eine Aufgabe der Exekutive, nicht des Parlamentes. Herr Schlecht, dass Sie ein Problem mit Gewaltenteilung haben, habe ich gerade erst wieder bei Ihrer Kritik am Oberlandesgericht wahrgenommen.

Insgesamt: Der Gesetzentwurf der 9. GWB-Novelle ist gut gelungen. Es gibt noch einige Stellschrauben, an denen wir arbeiten müssen, und einige Dinge, die verbessert werden können. Dazu wollen wir die nächsten Wochen und Monate nutzen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stimmen unserem Antrag zu?)

Vielen Dank. – Katharina Dröge, Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7029945
Wahlperiode 18
Sitzung 199
Tagesordnungspunkt Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
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