15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 13

Eckhardt RehbergCDU/CSU - Nachtragshaushaltsgesetz 2016

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit, Kollege Claus, hier kein falscher Eindruck entsteht: Bei der Abstimmung im Bundestag in einigen Wochen wird es nicht heißen: „Das Gesetz ist in der Fassung der MPK-Beschlüsse angenommen“, sondern: „Das Gesetz ist in der Ausschussfassung angenommen.“

(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!)

Vorweg wird es gründliche Beratungen geben müssen – da stimme ich Johannes Kahrs voll zu –, weil sich gerade bei diesem Thema viele Fragen stellen: Was sind finanzschwache Kommunen? Wie ist die entsprechende Legaldefinition? Schauen Sie sich einmal die Protokollerklärung der drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen zu diesem Thema an. Diese drei Länder haben deutlich gemacht, dass Kassenkredite bei Stadtstaaten nicht vorkommen. Oder schauen Sie sich einmal die Proto­kollerklärung des Landes Thüringen an, formuliert in Abstimmung von Linken, SPD und Grünen. In dieser Erklärung wird – aus meiner Sicht: zu Recht – hinterfragt, ob Kassenkredite Merkmal finanzschwacher Kommunen sind. Drei Viertel der Kassenkredite in Deutschland lasten auf drei Ländern: Nordrhein-Westfalen hat 48 Prozent dieser Kredite, Hessen und Rheinland-Pfalz zusammen 27 Prozent, macht insgesamt 75 Prozent. Was die Kommunalaufsicht in den einzelnen Ländern, auch in meinem Heimatland, angeht, handelt jeder Innenminister nicht zwingend nach Parteibuch, sondern nach eigenem Ego und Gustus; alle handeln also ein Stück weit anders. Sind nicht vielleicht die Steuerkraft, die Zahl der Arbeitslosen, die Höhe der Sozialausgaben, der Kosten der Unterkunft Merkmale finanzschwacher Kommunen?

Wir müssen auch in Ruhe betrachten: Wir verteilen nur die 3,5 Milliarden Euro.

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Auf die Länder!)

An wen dieses Geld in den Ländern geht, das entscheiden die Länder. Die Länder definieren ganz unterschiedlich, was bei ihnen als finanzschwach gilt. Schaut euch einmal die Bewilligung des ersten 3,5-Milliarden-Euro-Paketes an! Die darin enthaltenen Mittel sind nicht zwingend immer nur an finanzschwache Kommunen gegangen. Es gibt große Städte, die hohe Kosten der Unterkunft haben, aber auch hohe Gewerbesteuereinnahmen.

Meine Sorge ist: Als das erste 3,5-Milliarden-Euro-Paket geschnürt wurde, wurde beschlossen, den Verteilungsschlüssel einmalig anzuwenden. Jetzt aber wird eine Brücke geschlagen: Artikel 104c Grundgesetz soll geändert werden, einhergehend mit der Verabschiedung eines Begleitgesetzes, sodass es zu einer Legaldefinition kommt, was finanzschwache Kommunen sind, was weiter gehende Auswirkungen hat. Insofern müssen wir uns unabhängig von Wahlterminen und Länderinteressen sehr gründlich anschauen, was wir an dieser Stelle machen; denn das hat Langzeitwirkung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, Kollege Kindler. Nötig sind Investitionen in Höhe von 136 Milliarden Euro. Ein Kollege von Ihnen hat gestern gesagt, es gebe bei Schulen einen Sanierungsstau in Höhe von 34 Milliarden Euro. Das Entlastungsvolumen der letzten sieben Jahre bei Ländern und Kommunen betrug 95 Milliarden Euro. Das diente der Finanzierung von Grundsicherung im Alter, BAföG usw. usf. Die Steuermehreinnahmen der Länder sind in den letzten Jahren höher als die des Bundes gewesen. Länder und Kommunen gemeinsam haben von 2010 bis 2016 Steuermehreinnahmen von 95 Milliarden Euro gehabt. Ich glaube, wir dürfen die Länder und Kommunen hier nicht ganz aus der Pflicht lassen. Es ist nämlich die Frage zu stellen: Was machen die mit ihren Steuermehreinnahmen? Allein das Entlastungspaket, das wir vor einigen Wochen beschlossen haben – Stichwort „Übernahme Asylkosten“ und 5‑Milliarden-Euro-Paket –, bedeutet 17 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre. Deswegen ist es schon berechtigt, immer wieder kritisch zu hinterfragen: Was passiert mit dem Geld, das der Bund an die Länder weiterreicht?

Ich will manchen Kolleginnen und Kollegen hier einmal einen Zahn ziehen: Wer meint, dass die Umsatzsteuer der Gemeinden eins zu eins an die Kommunen geht, der irrt sich. Diese Umsatzsteuer fließt in die kommunalen Finanzausgleichssysteme. Gucken Sie sich einmal die Verbundquoten oder Gleichmäßigkeitsgrundsätze an: Da gehen teilweise über 80 Prozent in den Landeshaushalt. Das heißt, wer meint, 1 Euro der Umsatzsteuer der Gemeinden ginge komplett an die Gemeinden, liegt falsch; da kommen höchstens 20 Cent an.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das sieht Herr Liebing anders!)

– Lieber Herr Rossmann, Herr Liebing sieht das überhaupt nicht anders. Ich rate jedem in unserer Debatte: Wir helfen finanzschwachen Kommunen; deswegen müssen wir gründlich beraten. Denn das, was wir heute tun, wird Langzeitwirkung haben. Wenn die Verteilsysteme einmal festgelegt sind, wird man später nicht mehr sehr dezidiert daran herangehen können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen an einer Stelle aufpassen: Gucken Sie sich einmal an, was die Länder bei dem ersten 3,5‑Milliarden-Euro-Paket, wodurch die energetische Sanierung von Kindertagesstätten, Schulen und Berufsschulen ermöglicht wurde, gemacht haben. Ich muss Ihnen sagen: Ein Abfluss von gerade einmal 60 Prozent ist eine Katastrophe, und dieses Programm läuft schon seit über einem Jahr. Und wenn Sie sich einmal die Sektorenaufstellung angucken, sehen Sie, dass das allerwenigste in kommunale Bildungsinfrastruktur geflossen ist, obwohl es dahin hätte fließen können.

Und zu dem Vorwurf, dass die Planungen lange dauern: Ja, die Planungen dauern lange, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber wenn die Not seit Jahren so groß ist, dann muss man doch die Frage stellen, warum man nicht vorausschauend geplant hat, gerade mit Blick auf unsere Schülerinnen und Schüler, unsere Kinder und Jugendlichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Diese Frage muss man hier schon deutlich stellen.

Ich stimme Johannes Kahrs vollkommen zu: Hier gilt das Struck’sche Gesetz. Wir müssen den Gesetzentwurf gründlich beraten. Das ist eines der entscheidenden Vorhaben in dieser Legislaturperiode mit Langzeitwirkung im föderalen Gefüge zwischen Bund, Ländern und Kommunen. – Lieber Kollege Kindler, der Bund ist in den letzten Jahren weit über das hinausgegangen, für das er nach dem Grundgesetz verantwortlich war.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort hat nun der Kollege Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7045988
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Nachtragshaushaltsgesetz 2016
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