Daniela KolbeSPD - Rentenansprüche aus DDR-Beschäftigungszeiten
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war zwar ein Grundschulkind zur Wendezeit und zur Zeit der Wiedervereinigung; aber ich kann mich noch an die Aufbruchstimmung erinnern. Die Menschen haben die Wiedervereinigung als Befreiung erlebt. Wir haben die Freiheit gespürt. Im Herzen weiß ich – da bin ich mir ganz sicher –, dass der übergroße Teil der ehemaligen DDR-Bürger das heutzutage noch genauso empfindet.
Es gibt aber aus meiner Sicht ein Thema, das wir hier im Hohen Haus vielleicht zu selten beachtet haben, und das sind die Enttäuschungen, die nach der Wiedervereinigung entstanden sind. Ich kenne eigentlich keinen Ostdeutschen, der nicht eine solche Geschichte erzählen kann: vom eigenen Betrieb, der vom westdeutschen Konkurrenten für eine Mark übernommen wurde, und dann kam es zu Marktbereinigungen, von den sinnlosen Versicherungen, die einem übergeholfen worden sind, von den Berufsabschlüssen, die plötzlich nichts mehr wert waren, und von den vielen stolzen DDR-Ingenieuren, die plötzlich auf der Straße standen. Darüber ist auch seitens der Betroffenen wenig gesprochen worden. Man wollte ja auch nicht undankbar oder als Jammer-Ossi erscheinen. Ich will nicht missverstanden werden: Den allermeisten Ostdeutschen geht es heute sehr gut, so gut wie nie.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Den Rentnern ist es noch nie so gut gegangen!)
Aber bei ihnen ist von der Nachwendezeit noch etwas hängen geblieben: Manche sind misstrauisch geworden; andere sind noch richtig sauer und wütend. Zu diesen Enttäuschungen gehört auch das, was im Zuge des Renten-Überleitungsgesetzes – das Renten-Überleitungsgesetz an sich ist eine Riesenleistung; das will ich ganz deutlich sagen – mit einigen Gruppen passiert ist.
Wir reden heute beispielsweise über die Kumpel der DDR-Braunkohleveredelung. Eine kleine Denkaufgabe: Was wäre denn, wenn den NRW-Kumpeln, aus welchem Grund auch immer, ein Teil ihrer Rentenansprüche genommen würde?
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na, dann wäre der Aufstand! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, aha! Mit demselben Recht, Herr Kollege Kauder!)
In Espenhain, südlich von Leipzig, wurden aus der sehr schwefelhaltigen Kohle, die dort im Tagebau gefördert worden ist, Produkte für die Industrie, aber auch Benzin hergestellt, und zwar unter unglaublichen Umständen. Braunkohleveredelung, das klingt ja so schön. Leute, die das erlebt haben, berichten, dass man besser die Luft angehalten hat, wenn man da vorbeifuhr. Es gab kaum Arbeitsschutz; die Leute waren giftigen Gasen, Dämpfen und Stäuben ausgesetzt. Sehr viele Menschen sind seitdem gestorben, ganz viele von ihnen an Krebs.
Die DDR hat darauf reagiert. Sie hat diese Kumpel den Kumpeln unter Tage gleichgestellt, auch rentenrechtlich; darauf haben diese Menschen vertraut. Bis 1996 galt eine Übergangsregelung. Diejenigen, die bis dahin in Rente gegangen sind, sind genauso behandelt worden wie die Kumpel unter Tage, danach nicht mehr. Keiner kann das genau erklären. Man könnte auch sagen: Die sind schlicht vergessen worden. Genauso fühlen sie sich auch; sie fühlen sich vergessen und sehen ihre Lebensleistung nicht anerkannt. Ich appelliere an uns, dass wir uns diese Gruppen anschauen und nach Lösungen suchen, aber nicht nach den einfachen, die hier angeboten werden.
Ich möchte ganz klar sagen: Wenn ich über Lösungen nachdenke, dann sehe ich den Antrag der Linken sicherlich nicht als Lösung. Ich weiß nicht, wann Sie Ihren Antrag das letzte Mal mit den Betroffenen besprochen haben. Die sagen: Es geht uns gar nicht mehr um einen früheren und abschlagsfreien Renteneintritt. Das ist gar nicht unser Thema. Es geht uns um die Rentenzuschläge, die mit der Gleichstellung mit den Arbeitern unter Tage verbunden sind. – Deshalb ein kurzer Appell an die Linke: Ersparen Sie sich die Peinlichkeit, über diesen Antrag auch noch namentlich abstimmen zu lassen! Treten Sie lieber in die Debatte darüber ein, wie eine wirklich vernünftige Lösung aussehen kann.
(Beifall bei der SPD)
Jetzt die Frage, Frau Kolbe, ob Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von Markus Kurth erlauben.
Ja.
Dann bitte, Herr Kurth.
Frau Kolbe, Sie haben gerade sehr eindrücklich und zutreffend die fürchterlichen Arbeitsbedingungen für die Arbeiter in der Braunkohleveredelung geschildert. Stimmen Sie mit mir überein, dass dann, wenn diese Schädigung so extrem war, vielleicht doch nicht – das ist nämlich unsere Überlegung – das Rentenrecht der richtige Ort ist, das Problem zu lösen, sondern dass wir über einen steuerfinanzierten Härtefallfonds, der eher einen Entschädigungscharakter hat, nur für diesen konkreten Fall etwas machen sollten, anstatt uns an das gesamte Rentenrecht zu machen?
Ich sage an der Stelle ganz klar: Wir sind da, glaube ich, alle noch auf der Suche. Wir sind als SPD in den letzten Wahlkampf gegangen und haben gesagt: Wir wollen einen Härtefallfonds. Wir wollen nicht jede Gruppe einzeln behandeln und neue Ungerechtigkeitsgefühle – warum wird für die etwas gemacht und für mich nicht? – auslösen. Deshalb wollen wir einen steuerfinanzierten Härtefallfonds für alle. – Mit dieser Forderung sind wir in den Wahlkampf gegangen. Das wollten wir auch bei den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag erreichen; aber das haben wir nicht geschafft. Das heißt aber nicht, dass wir das Thema zur Seite gelegt haben. Vielmehr halten wir an dieser Idee weiter fest.
Die Ausgestaltung wird eine knifflige Geschichte. Darüber können wir gerne miteinander ins Gespräch kommen. Ich glaube, da hat keiner den Stein der Weisen. Aber auch die Anträge der Linken sind nicht der Stein der Weisen. Ich habe das Gefühl – das habe ich schon im Ausschuss formuliert –, dass hier, ohne mit den Betroffenen gesprochen zu haben,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sprechen regelmäßig mit den Betroffenen!)
einfache Lösungen angeboten werden, die in der Konstellation, in der wir uns befinden, die Hoffnungen niemals erfüllen können.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU])
Den Antrag der Linken lehnen wir mit durchgedrücktem Kreuz und gutem Gewissen heute ab, weil er nicht den Interessen der Betroffenen entspricht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sehen die Betroffenen anders!)
– Ich weiß nicht, wann du zum letzten Mal mit den Betroffenen gesprochen hast. Wir sind in ganz engem Kontakt mit den Betroffenen. – Wir haben im Koalitionsvertrag nichts anzubieten. Das heißt aber nicht, dass wir das Thema beiseitelegen. Wir werden weiter dafür streiten. Wir stehen an der Seite der Menschen, ohne dass wir sagen können, dass es einen einfachen Weg gibt, damit umzugehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU])
Vielen Dank, Frau Kolbe. – Ich darf jetzt all die Kollegen, die sich nicht unmittelbar an dieser wirklich sehr spannenden und lebendigen Debatte beteiligen wollen, sondern diverse andere Gespräche führen, bitten, entweder die Gespräche draußen zu führen oder sich hinzusetzen und dieser Debatte zuzuhören. Sie ist wirklich spannend.
Die nächste Rednerin, die dazu beitragen wird, ist Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7061172 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 212 |
Tagesordnungspunkt | Rentenansprüche aus DDR-Beschäftigungszeiten |