20.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 213 / Tagesordnungspunkt 21

Ursula Groden-KranichCDU/CSU - Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2017

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gysi, die Linke zitiert immer dann Bibelverse, wenn es opportun ist.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die CDU gar nicht!)

Wenn wir auf kommunaler Ebene christliche Kitas oder Schulen unterstützen, dann ducken Sie sich ganz schnell weg.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Quatsch!)

Das dominierende Thema meiner ersten vier Jahre im Deutschen Bundestag und im EU-Ausschuss war die Krisenbewältigung. Die erste Sondersitzung meiner Mandatszeit thematisierte die dramatische Situation in der Ukraine. Es folgten zahllose Unterrichtungen zur Lage in Griechenland. Und unser Kontinent sah sich mit der größten Flüchtlingswelle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs konfrontiert. Als wäre das noch nicht genug, beschäftigen wir uns künftig zusätzlich mit den Fragen, welche der Brexit für uns aufwirft. Auch bei Gesprächen in Brüssel dominierten bislang Krisenbewältigung und Schadensbegrenzung. Europa täte es gut, wenn wir uns deutlich häufiger mit unseren Erfolgen und der Schönheit unseres gemeinsamen europäischen Projekts beschäftigen würden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Leider wird das Arbeitsprogramm der EU-Kommission für das Jahr 2017 diesem Anspruch nicht wirklich gerecht. Überschrieben ist es mit „Für ein Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“, und genau das sind die Bereiche, in denen Europa zu alter Stärke zurückfinden muss.

Anfang dieser Woche wählten die Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament Antonio Tajani zu ihrem neuen Präsidenten. Mit ihm haben sich die Abgeordneten abermals für einen überzeugten und leidenschaftlichen Europäer entschieden.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In diesen Tagen von aufziehendem US-amerikanischen Protektionismus und nationalstaatlicher Verklärung sind diese Charaktereigenschaften in unserer europäischen Wertegemeinschaft sehr gefragt. Denn dies ist die Europäische Union für mich: eine Wertegemeinschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Man kann es nicht häufig genug betonen: Wir sind mehr als ein Binnenmarkt von über 500 Millionen Menschen. Uns verbinden das christlich-abendländische Erbe, unsere gemeinsame Vergangenheit und eben auch unsere gemeinsame Zukunft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Selbst wenn Europa nicht mehr wäre als ein Friedensprojekt, würde es sich mehr als lohnen, dafür zu kämpfen. 70 Jahre Frieden sind eine beispielslose Erfolgsgeschichte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Europäische Union ist aber – und das ist meine feste Überzeugung – auch unsere einzige Chance, in einer globalisierten Welt bestehen zu können. Daher ist der Grundsatz der Kommission genau richtig: Europa muss klein sein in den kleinen Dingen, aber groß, wenn es um die wirklichen Herausforderungen unserer Zeit geht.

Als nationaler Gesetzgeber muss auch dieses Hohe Haus seiner Verantwortung gerecht werden. Wir müssen Subsidiarität nicht nur einfordern, sondern auch leben. Immer wieder müssen wir kritisch fragen: Was können wir national regeln? Was muss Europa regeln? Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern müssen wir uns fit machen für die Herausforderungen unserer Zeit und der Zukunft. Die Welt um uns herum ändert sich in rasender Geschwindigkeit – und wir sind gut beraten, uns diesen Änderungen frühzeitig zu stellen.

Auch im Jahr 2017 werden wir mit der Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise zu kämpfen haben. Richtigerweise haben wir uns europaweit darauf verständigt, den Teufelskreis zwischen Bankenkrise, Bankenrettung und Staatsschuldenkrise zu durchbrechen. Durch das sogenannte Bail-in müssen zunächst Eigner und Gläubiger einer in Notlage geratenen Bank aktiv werden, um diese zu stabilisieren. Erst in einem weiteren Schritt kommt ein dezidiert von der Bankenwelt finanzierter Abwicklungsfonds zum Zuge. Diese Aufteilung ist essenziell wichtig, um alle europäischen Steuerzahler vor Risiken in ungeahnter Höhe zu schützen. Doch was passiert aktuell? Die EU-Kommission hat im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung der italienischen Regierung erlaubt, das in Schieflage geratene drittgrößte Finanzinstitut des Landes durch staatliche Hilfen zu stützen – und dies angesichts einer Staatsschuldenquote von 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei solchen Entscheidungen der EU-Kommission dürfen wir uns nicht wundern, wenn Bürgerinnen und Bürger ihr Vertrauen in die europäische Politik verlieren. Die EU-Kommission muss ihre Rolle als Hüterin der Verträge wieder deutlich ernster nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nichts Geringeres steht auf dem Spiel als unsere Glaubwürdigkeit. Wenn sich die europäischen Gesetzgeber auf Regeln verständigen, dann muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass diese auch umgesetzt und Verstöße sanktioniert werden.

Dies gilt auch für Griechenland. Wir dürfen eben nicht tolerieren, dass nationale Alleingänge – wie jüngst in der Rentenpolitik des Landes – ohne Folgen bleiben und stillschweigend hingenommen werden. Wer Entscheidungen trifft, muss mit den Konsequenzen leben. Der Hinweis auf die eingeschränkte Souveränität eines Staates greift hier übrigens nicht; denn dieser Staat hat sich mit dem Beitritt zum Euro und zur EU auch zu deren Regeln bekannt. Wer Fremdkapital in nicht unbeträchtlicher Höhe aufnimmt, sich der Bonität anderer Staaten bedient und regelmäßig an seine eigenen Verpflichtungen erinnert werden muss, tritt diese Solidarität mit Füßen.

Kommt die EU-Kommission mit ihrer geteilten Rolle als politische Kommission und als Hüterin der Verträge nicht zurecht, dann müssen wir die Konsequenzen ziehen und Kompetenzen notfalls neu ordnen.

Im Bereich der Bankenunion haben wir mit der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde starke unabhängige Institutionen, auch wenn wir so manches Anleihekaufprogramm so nicht unterstützen würden.

Eine der größten Herausforderungen bleibt aber die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Hier muss Europa stärker werden und mit aller Kraft Zukunft gestalten. Wir müssen Europas Jugend den Glauben an das europäische Projekt zurückgeben; denn wenn die nachfolgenden Generationen nicht mehr an einen geeinten Kontinent glauben, dann sind alle unsere heutigen Anstrengungen vergebens.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die EU-Kommission wählte für ihr Arbeitsprogramm den Titel „Für ein Europa, das schützt, stärkt und verteidigt“; ich habe es bereits erwähnt. Gerade im Bereich des Schutzes und der Verteidigung haben wir in den letzten Monaten viel erreicht. Der neue europäische Grenz- und Küstenschutz hat seine Arbeit bereits aufgenommen. Er hat mehr Kompetenzen und ist besser für den Schutz der EU-Außengrenzen ausgestattet als die bisherige Agentur Frontex. Die EU hat damit gezeigt, dass sie handlungsfähig ist und bestehende Probleme aktiv angeht, wenn sie diese erkannt hat – auch wenn es uns oft nicht schnell genug gehen kann.

Was mich bei der Lektüre des Arbeitsprogramms sehr erstaunt und auch enttäuscht hat, war, dass der Brexit lediglich mit einem Satz in der Einleitung kurz erwähnt wurde. Auch wenn der Antrag nach Artikel 50 des EU-Vertrags noch nicht eingereicht ist, so müssen wir doch diese historische Zäsur zur Kenntnis nehmen; die Rede von Theresa May haben wir ja alle gehört. Nun müssen wir uns auch vorbereiten. Wir müssen uns vor Augen führen, dass wir das Vereinigte Königreich zwar nicht als Partner verlieren, wir die Zusammenarbeit aber auf eine völlig neue Grundlage stellen müssen. Und mehr noch: Wir müssen erkennen, welche massiven Auswirkungen der Brexit auf die Menschen Europas hat. Wir können und werden unsere Werte und Prinzipien nicht opfern. Aber wir sind es nicht zuletzt unseren Kindern schuldig, weiter für ein geeintes und kooperatives Europa zu werben und zu arbeiten.

Europäische Kommission, Rat und Europäisches Parlament haben sich für das Jahr 2017 viel vorgenommen. Ich bin sehr froh darüber, dass EVP und Liberale eine Vereinbarung zur Umsetzung einer Reformagenda beschlossen haben. Lippenbekenntnisse bringen uns nicht weiter. Europas Bürger wollen Taten sehen. Nur wenn alle europäischen Gesetzgeber an einem Strang – und in die gleiche Richtung – ziehen, können wir die aktuellen Herausforderungen bewältigen. Lassen Sie uns unseren Teil dazu beitragen, dieses Arbeitsprogramm zu einer Erfolgsgeschichte zu machen.

Für uns Mitglieder des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ist es inzwischen zur Routine geworden, uns alljährlich und immer wieder mit dem Arbeitsprogramm zu befassen. Ich werbe nachdrücklich dafür, dass auch unsere Kolleginnen und Kollegen in den anderen Fachausschüssen diese Chance ergreifen. Die jährliche Programmplanung gibt uns die Gelegenheit, mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und mit den Instrumenten, die uns auf nationaler und auf EU-Ebene zur Verfügung stehen, gegensteuern zu können.

Lassen Sie uns gemeinsam auch im anstehenden Jahr mit Leidenschaft, Freude und Zuversicht weiter am europäischen Haus im globalen Dorf bauen. Ich bin sicher: Europa wird es uns danken.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich erteile das Wort nun der Kollegin Annalena Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7061572
Wahlperiode 18
Sitzung 213
Tagesordnungspunkt Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2017
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