Ulrike BahrSPD - Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Islamismus
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Was treibt Menschen dazu, islamistisch motivierte Terroranschläge zu planen und zu begehen, und was können wir dagegen tun? Diese Fragen treiben auch uns hier in Deutschland spätestens seit 9/11 um; denn einige der Täter – Mohammed Atta mit seinen Hamburger Freunden – hatten einen Deutschlandbezug und hatten sich hier weitgehend unbemerkt radikalisiert. Keiner hatte hingeschaut. Die jetzige Bundesregierung hat angesichts der weiter gestiegenen Gefahr von Terroranschlägen nicht nur Polizei und Geheimdienste zur Gefahrenabwehr gestärkt und besser ausgestattet, sondern auch einen Schwerpunkt auf wirkungsvolle Präventions- und Deradikalisierungsarbeit gelegt. Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ des Familienministeriums, das schon öfter erwähnt wurde, haben wir die Mittel für Projekte und Träger, die sich mit islamistisch begründetem Fundamentalismus befassen, in den letzten Jahren vervielfacht.
(Beifall bei der SPD)
Unsere zivilgesellschaftlichen Partner leisten vor Ort hervorragende Arbeit, etwa das Violence Prevention Network in der Arbeit mit bereits straffällig gewordenen jungen Menschen oder HAYAT in der Angehörigenberatung.
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)
Die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen haben ja auch selbst in ihrer Antragsbegründung diese Arbeit gelobt, ebenso die breit gefächerten generalpräventiven Angebote der Bundeszentrale für politische Bildung. Wir brauchen in unserer vielfältigen Gesellschaft kulturelle Brückenbauer, die in Schulen, Sportvereinen und Jugendorganisationen unsere demokratischen Werte vermitteln.
(Beifall bei der SPD)
Auch zielgruppenspezifische Präventionsangebote sind wichtige und unverzichtbare Bausteine in der Arbeit zur Stärkung unserer Demokratie. Mit dem vorliegenden Antrag wecken Sie aber die meiner Meinung nach trügerische Hoffnung, eine zentrale Behörde, ein bundesweites Präventionszentrum könne das Problem des islamistisch motivierten Terrorismus lösen.
Bislang hat sich dieses Phänomen allen einfachen Erklärungsversuchen widersetzt. Die Radikalisierungsgeschichten einzelner Täter sind sehr individuell. Es gibt den traumatisierten afghanischen Flüchtling, wie in Würzburg, den biodeutschen Konvertiten ohne klassisch muslimischen Hintergrund. Zwei von drei Mitgliedern der Sauerlandgruppe waren zum Beispiel Konvertiten, aber auch etliche Dschihad-Freiwillige, die 2014 und 2015 nach Syrien gereist sind. Sie alle haben jeweils individuelle Frustrationserfahrungen, die sich nicht einfach Bildungswegen oder Milieus zuordnen lassen. Oft ähneln sie den Radikalisierungsgeschichten von Rechtsextremisten. Darum ist es meiner Meinung nach auch nicht gut, den Blick zu stark auf mangelnde Integration und Ausgrenzung zu verengen. Das spielt sicherlich eine Rolle, aber islamistisch motivierter Terrorismus ist ein weltweites Problem und besonders auch ein Problem vieler Staaten in der islamischen Welt.
Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir es uns nicht zu einfach machen. Ich halte es für sehr sinnvoll, die Erfahrungen der Praktiker und Praktikerinnen in der Arbeit gegen Rechtsextremismus unbedingt auch bei der Auseinandersetzung mit islamistisch motiviertem Extremismus einzubeziehen. Die Muster sind oft sehr ähnlich. Im Programm „Demokratie leben!“ geschieht das schon mit regelmäßigen Netzwerktreffen und über die wissenschaftliche Begleitung der Projekte. Ich plädiere darum dafür, kein neues bürokratisches Monster zu schaffen, das mit verkopften Konzepten automatisch natürlich auch Vorgaben macht, sondern dafür, einen praxisnahen Ansatz mit unseren bewährten Partnern aus der Zivilgesellschaft zu wählen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Jugendarbeit funktioniert nun mal nicht von oben nach unten. Erfolgversprechender ist es, Initiativen und Engagement von unten zu ermöglichen. Wir haben in den beiden letzten Jahren die finanzielle Ausstattung der Präventionsarbeit stärken können: über das Familienministerium genauso wie über das Innenministerium. Jetzt sollte es unser Hauptanliegen sein, die finanzielle Ausstattung der Träger zu verstetigen, um unseren zivilgesellschaftlichen Partnern Sicherheit und Perspektive für ihre Arbeit zu geben.
Warum ist das so wichtig? In meinem Wahlkreis Augsburg hat die Bayerische Staatsregierung 2015 ein Leuchtturmprojekt zur Prävention von religiös begründeter Radikalisierung mit dem Verein Ufuq gestartet. Aber schon vor dem offiziellen Start kamen dem Projekt die qualifizierten Mitarbeiter wieder abhanden, weil sie sich angesichts sehr kurzfristiger Arbeitsverträge lieber Arbeitsplätze mit mehr Sicherheit und Perspektive gesucht haben. Das sind keine guten Bedingungen für nachhaltige Jugendarbeit, auch wenn die Konzepte stimmen.
Ich werbe deshalb nachdrücklich dafür, dass wir mit einem Demokratiefördergesetz Bildungs- und Jugendarbeit gegen alle Arten von Extremismus gesetzlich verankern. Derzeit hängen alle Programme an zeitlich begrenzten Fördergeldern. Mit einer gesetzlichen Grundlage erhält diese wichtige Arbeit die Planungssicherheit und auch die Wertschätzung, die unsere zivilgesellschaftlichen Partner für qualitativ gutes Arbeiten brauchen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Martin Patzelt für die CDU/CSU das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7073623 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 218 |
Tagesordnungspunkt | Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Islamismus |