09.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 221 / Tagesordnungspunkt 3

Hans-Peter FriedrichCDU/CSU - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 60 Jahre Erfolgsgeschichte Europas, aber Europa in schwerem Fahrwasser – ich glaube, das ist die Zusammenfassung der aktuellen Situation. Aber, wie wir wissen, liegt in jeder Krise auch eine Chance.

Kollege Oppermann hat es vorhin angesprochen: Es gibt viele Menschen in Deutschland und in anderen Ländern, die aufgerüttelt sind von dieser schwierigen Situation in Europa. Sie erkennen, dass die Teilstaaten Europas für sich allein genommen keine Chance haben, eine Rolle zu spielen, weder ökonomisch noch außenpolitisch noch geopolitisch, wenn wir dieses Europa nicht zusammenhalten. Das 21. Jahrhundert wird nicht das Jahrhundert der Europäer sein, die Entwicklung wird über uns hinwegrollen, wenn wir nicht in der Lage sind, dieses Europa zusammenzuhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])

Das verstehen die Menschen.

Unsere zweite Chance besteht darin, dass wir in dieser Krisensituation über die Fehler nachdenken können, die in den letzten 60 Jahren gemacht wurden. Ich empfehle dringend, zu erkennen, dass das Hauptproblem in Europa im Moment darin besteht, dass eine Akzeptanz der Europäischen Union bei den Bürgern, vorsichtig gesagt, nur sehr eingeschränkt vorhanden ist. Deswegen empfehle ich uns, dass wir auf dieses Europa aus dem Blickwinkel der Bürger schauen und nicht aus dem Blickwinkel irgendwelcher wissenden Eliten. Die Bürger fragen: Was geht es eigentlich Europa an, wie wir den Feinstaub in Leipzig messen?

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Luftqualität!)

Was geht es eigentlich Europa an, wie wir im Frankenwald und im Fichtelgebirge unsere Felder düngen, obwohl wir das seit Jahrhunderten machen, ohne dass es in Brüssel jemanden gab, der schlauer war?

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Umweltschutz keine Grenzen kennt!)

Und was fällt eigentlich Europa ein, uns ein FFH-Gebiet als Hindernis für den Bau einer Straße von A nach B vorzugeben?

(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen empfehle ich uns, dass sich Europa auf die politischen Gebiete beschränkt, die aus der Sache heraus für jeden erkennbar nur auf europäischer Ebene gelöst werden können.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche sind das denn?)

Da gibt es wichtige Bereiche,

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie meinen Umweltschutz!)

zum Beispiel die innere Sicherheit. Wenn sich die Terroristen, wenn sich die Verbrecher in Europa herumtreiben, dann gibt es nur eine einzige Antwort: Wir müssen die Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte, der Polizeien in Europa organisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die Menschen im Baltikum haben das schon verstanden. Sie fühlen sich von Russland bedroht. Deswegen wollen sie eine europäische Verteidigungsunion. Ich bin froh, dass wir jetzt auf diesem Weg sind; denn auch im Rest Europas werden die Menschen bald verstehen, dass es den Amerikanern ernst ist, wenn sie sagen – übrigens nicht erst seit Donald Trump, sondern schon seit zehn Jahren –: Europa ist reich und stark genug, um sich selbst zu verteidigen. – Jetzt müssen wir das aber auch organisieren; das leuchtet jedem ein. Das werden wir den Bürgern auch vermitteln können.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha!)

Die Frau Bundeskanzlerin hat es angesprochen: Wir müssen das Thema Digitalisierung gestalten. Jeder Mensch weiß, dass es kein regionales Netz gibt. Es gibt das weltweite Netz, das nicht 9 Millionen Österreicher und noch nicht einmal 82 Millionen Deutsche gestalten können, sondern das nur 500 Millionen europäische Verbraucher gemeinsam gestalten können. Dann wird ein Schuh daraus. Das verstehen die Leute. Deswegen muss sich Europa darauf konzentrieren.

Ein weiteres Thema ist die Energieunion. Wenn wir Europa unabhängiger vom Gas der Russen und vom Öl der Scheichs machen wollen, dann müssen wir einen Energiemix in ganz Europa organisieren. Dafür brauchen wir Europa. Das wird jeder verstehen; das leuchtet jedem ein.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau deswegen machen Sie Nord Stream 2?)

Außerdem müssen wir Europa aus dem Blickwinkel

(Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– keine Zwischenfragen! – der Bevölkerung sehen. Viele Menschen fühlen sich durch Europa bevormundet. Exemplarisch wurde das an dem Ausspruch deutlich, der zum Brexit geführt hat: Wir wollen unser Land zurück. – Das war der Slogan derjenigen, die den Brexit favorisiert haben. Auf diese Ängste der Bevölkerung gibt es nur eine einzige Antwort.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern First!)

Sie lautet: Wir müssen die Selbstverantwortung der Regionen und der Mitgliedstaaten stärken.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Genau!)

Wir müssen von ihnen verlangen, dass sie Verantwortung übernehmen, und die Verantwortung auch dort verorten.

Herr Friedrich, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung von – –

Nein.

Zeit haben Sie jede Menge.

Frau Präsidentin, ich muss jetzt im Fluss bleiben.

Wollen Sie wissen, wer sie Ihnen stellen möchte?

Als Beispiel nenne ich Ihnen einmal –

Gut.

– das Thema Staatsverschuldung. Wir haben hier in diesem Hohen Haus entschieden, dass wir in Deutschland keine weitere Staatsverschuldung wollen; denn wer heute Staatsverschuldung betreibt, belastet sich und macht sich morgen handlungsunfähig. Die Aufnahme der schwarzen Null und der Schuldenbremse in das Grundgesetz wurde gemeinsam von allen wichtigen Fraktionen im Haus verabschiedet. Andere Leute sehen das aber anders. Die Italiener und die Griechen sagen: Lieber heute schön leben als an morgen denken!

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich denke, Sie wollen Europa zusammenhalten?)

Wenn dem so ist, müssen wir sagen: Liebe Freunde, dann müsst ihr die Suppe selber auslöffeln. – Auch das ist Demokratie: für die Folgen einstehen, die man selber ausgelöst hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So macht man Europa kaputt! – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Populismus!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, weil Sie sich so aufregen: Ihr großer Kandidat Schulz erzählt uns allen Ernstes, wir bräuchten Euro-Bonds, Haftungsunion und Transferunion.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufgeblasener CSU-Gockel!)

Das ist Quatsch in Tüten. Wir müssen die Verantwortung dort festmachen, wo sie liegt, nämlich bei der Unfähigkeit der Nationalstaaten, Reformen durchzuführen. Kollege Kauder hat das vorhin angesprochen.

Die zweite Schnapsidee Ihres großen Kandidaten Martin Schulz besteht darin, die Sozialsysteme in Europa zu vergemeinschaften. Damit ist er schon in den Europawahlkampf gezogen, Stichwort „gemeinsame Arbeitslosenversicherung“. Glauben Sie allen Ernstes, dass die deutschen Arbeitnehmer dafür zahlen werden, dass die sozialistischen Regierungen in Südeuropa unfähig sind, Arbeitsmarktreformen zu machen und Wettbewerbsfähigkeit herbeizuführen? Das glauben Sie doch nicht allen Ernstes.

(Beifall bei der CDU/CSU – Norbert Spinrath [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!)

Europa aus der Sicht der Bürger zu sehen, heißt auch, dass wir keine falschen Versprechungen machen. Ich lese in den Schlussfolgerungen, wir müssten die Jugendarbeitslosigkeit beseitigen und die Wettbewerbsfähigkeit herstellen. Meine Damen und Herren, ohne Reformen in den Ländern geht das nicht. Europa hat nicht die Mittel, sondern die Länder haben die Mittel. Wenn die Griechen, die Italiener und die Franzosen die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen wollen und ihre jeweilige Regierung dazu unfähig ist, dann müssen diese Regierungen abgewählt werden. Das ist die Alternative, da müssen wir hinkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vorhin ist vom Kollegen Kauder schon angesprochen worden – zu diesem Thema steht übrigens auch etwas in dem Weißbuch, das Herr Juncker jetzt vorgelegt hat –, dass wir in Europa das Potenzial unserer Talente ausschöpfen müssen. Wie können wir das Potenzial unserer Talente ausschöpfen? Zum Beispiel, indem wir eine gute Bildungspolitik betreiben. Die Kompetenz für die Bildungspolitik liegt aber nicht in Brüssel.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich frage mich nur, wo die Kompetenz der Union liegt!)

Und glauben Sie mir: Bayern wird die Bildungskompetenz auch nicht an Brüssel abgeben, nur weil einige in Südeuropa nicht in der Lage sind, eine vernünftige Bildungspolitik zu machen.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bayern First!)

Deswegen sage ich: Wir müssen aufhören, den Menschen mehr zu versprechen, als Europa halten kann, weil es die Instrumente dafür gar nicht hat. Wir müssen vielmehr sagen: Dann liegt die Verantwortung eben bei den Mitgliedstaaten, die dafür auch die Kompetenzen haben.

(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch besser bei Bayern! Alle Verantwortung bei Bayern! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das wäre gut!)

Die Kommission sagt, wir müssten in diesem Jahr oder im nächsten Jahr, in 2018, entscheiden, wie es mit Europa weitergeht. Das müsse 2018 entschieden sein, weil 2019 die Bürger entscheiden. – Allein daran können Sie schon den Denkfehler erkennen. Lassen wir doch die Bürger über die Zukunft Europas entscheiden. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie gehen einmal gemeinsam mit Ihren sozialistischen Freunden in Brüssel in sich und formulieren eine Vision Ihres sozialistischen Europas,

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja peinlich!)

und wir gehen einmal mit unseren Freunden aus der EVP-Fraktion in uns und formulieren die Vision eines wirtschaftlich starken christdemokratischen Europas,

(Christine Lambrecht [SPD]: Bleiben Sie doch nicht unter Ihren Möglichkeiten! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und dann lassen wir die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, vielleicht schon am 24. September dieses Jahres. Das wäre doch eine Möglichkeit,

(Beifall bei der CDU/CSU)

statt mit Spitzenkandidaten aufzuwarten, von denen der eine einen Bart hat und der andere nicht. Darum geht es doch nicht. Es geht um politische Inhalte.

(Norbert Spinrath [SPD]: Welche politischen Inhalte habt ihr denn?)

Wir wollen, dass die Bürger über diese politischen Inhalte entscheiden. Dann wird ein Schuh daraus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass Europa eine Veränderung seines Selbstverständnisses braucht. Die europäischen Institutionen müssen erkennen, dass sie den politischen Willen der Bürger Europas ausführen und nicht dazu da sind, die Bürger Europas zu belehren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen, liebe Frau Bundeskanzlerin,

(Christine Lambrecht [SPD]: Sie ist schon längst weg! Die wollte Sie nicht hören!)

machen Sie sich auf den Weg zum Europäischen Rat. Sie sind die Einzige, die in der Lage ist, Europa zu führen. Aber Sie müssen es auch tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Dr. Hans-Peter Friedrich. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat Annalena Baerbock.

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