Hansjörg DurzCDU/CSU - Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Rahmen der Ordnungspolitik legt der Staat die grundsätzlichen Spielregeln des Wirtschaftsprozesses fest. Dazu gehört neben der Gewährleistung von Wettbewerb auch dessen Regulierung, insbesondere durch das entsprechende Wettbewerbsrecht. Die Prinzipien dieser Ordnungspolitik Eucken’scher Prägung, wie wir sie heute noch denken, haben von ihrer Richtigkeit und damit auch an Aktualität nichts eingebüßt. Was die Vordenker jedoch nicht ahnen konnten, war das Ausmaß an Möglichkeiten und Herausforderungen, die mit den Informations- und Kommunikationstechnologien, wie sie sich uns heute bieten, verbunden sind. Wir können jeden Tag beobachten, dass die Entwicklung der Digitalwirtschaft von einer in der Wirtschaftsgeschichte einzigartigen Dynamik geprägt ist. Der Vordenker der sozialen Marktwirtschaft, Walter Eucken, kam zu seiner Zeit zu dem Schluss, dass der technische Fortschritt das Element der Konkurrenz verstärkt, Marktmacht reduziert und damit den Konsumenten dient. Aber trifft diese Annahme auch in Zeiten der Digitalisierung heute noch uneingeschränkt zu?
Fragen wie diese, die auch von der Monopolkommission in ihrem lesenswerten Sondergutachten aus dem Jahr 2015 detailliert beleuchtet wurden, waren der Ausgangspunkt der GWB-Novelle. Wir müssen uns fragen: Ist der Ordnungsrahmen unseres Wirtschaftssystems den Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen? Wir haben es in mehreren Reden bereits thematisiert. Hier spielt die Frage des Wettbewerbsrechts eine zentrale Rolle.
Der Wettbewerbsrechtsrahmen in Deutschland wie in der Europäischen Union hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt. Das bestehende Instrumentarium ist auch grundsätzlich geeignet, heute und morgen Wettbewerbsverstößen zu begegnen. Dennoch ist es erforderlich, auf Besonderheiten der digitalen Märkte zu reagieren. Die, wie ich finde, richtigen Antworten geben wir heute mit der Verabschiedung der neunten GWB-Novelle.
Die Novelle ist ein gutes Beispiel dafür, wie der Gesetzgeber durch die bewusste und vor allem auch behutsame Gestaltung des ordnungspolitischen Rahmens den mit der Digitalisierung verbundenen Strukturwandel fördert, gestaltet und damit auch zur Grundlage gesellschaftlichen Wohlstands machen kann.
An welchen Stellen passen wir das Kartellrecht nun an die Bedingungen der Digitalisierung an? Ich möchte drei Punkte herausgreifen.
Erstens. Wir haben beobachtet, dass es in der Vergangenheit zur Übernahme von jungen Unternehmen durch große Konzerne kam, ohne dass beispielsweise das Kartellamt die Fälle einer Überprüfung hätte unterziehen können. Meist geht es um innovative Geschäftsideen mit einem hohen wettbewerblichen Marktpotenzial, die jedoch bislang nicht zu nennenswerten Umsätzen geführt haben. Die Beispiele Facebook und WhatsApp sind zwar keine deutschen Beispiele, sind aber mehrfach erwähnt worden. An diesen Beispielen wird deutlich, dass wir das Problem am besten durch die Einführung eines neuen und zusätzlichen Aufgreifkriteriums für die Fusionskontrolle lösen. Wir schaffen neben den Umsatzschwellen durch die Einführung des Transaktionswertes ein zusätzliches Merkmal. Wenn der Transaktionswert 400 Millionen Euro übersteigt, kann das Bundeskartellamt Zusammenschlüsse auch dann prüfen, wenn der Umsatz der Unternehmen unterhalb der relevanten Schwelle liegt. Damit stärken wir das Instrumentarium der Wettbewerbsbehörde dafür, Konzentrationstendenzen gegebenenfalls frühzeitig entgegenwirken zu können.
Wir haben dabei eine ausgewogene Regelung gefunden. Die Höhe wurde im parlamentarischen Verfahren ausgiebig diskutiert. Zuerst wurde befürchtet, dass die Gründerszene eventuelle Nachteile davontragen könnte. Aber dies ist nach meiner Überzeugung nicht der Fall. Wir haben den Transaktionswert mit 400 Millionen Euro großzügig bemessen und gleichzeitig eine erhebliche Inlandstätigkeit des zu erwerbenden Unternehmens in Deutschland festgeschrieben. Beide Kriterien sind dazu geeignet, jene Fälle zu erfassen, deren Zusammenschlüsse auch eine gewisse Relevanz für den Markt abbilden. Dadurch wird gewährleistet, dass auch wirklich nur der Kauf von großen Start-ups unter die Kontrolle fallen wird. Das kommt auch der Start-up-Szene zugute, nämlich dadurch, dass diese für die Zukunft vor übermächtiger Konkurrenz geschützt wird.
Zweitens. Auch bei der Erbringung unentgeltlicher Leistungen können Unternehmen eine starke Marktstellung erreichen. Beispiele sind Hotelbuchungs-, Dating- oder Immobilienplattformen. In all diesen Fällen können wir beobachten, dass sich auch unentgeltliche Austauschbeziehungen, beispielsweise zwischen Nutzer und Plattform, zu einem kartellrechtlich relevanten Markt entwickeln können. Und diese Märkte sollten der Missbrauchs- und Fusionskontrolle der Kartellbehörde grundsätzlich zugänglich sein. Genau das stellen wir nun auch im GWB klar, indem wir festschreiben, dass der Annahme eines Marktes nicht entgegensteht, dass eine Leistung unentgeltlich erbracht wird. Durch diese Ergänzung ist klar: Auch im Falle einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung kann ein Markt vorliegen und damit das Kartellrecht grundsätzlich Anwendung finden.
Drittens. Im Zuge der Digitalisierung entwickeln sich zunehmend sogenannte mehrseitige Märkte, beispielsweise E‑Commerce-Plattformen, Betriebssysteme, Kreditkartensysteme oder auch App Stores. Sie alle eint die Existenz einer Plattform, die zwischen verschiedenen Nutzern vermittelt, im Falle der E‑Commerce-Plattformen etwa zwischen Händler und Konsumenten oder im Falle von App Stores zwischen den Entwicklern und den Endgerätenutzern. Auf diesen Märkten beobachten wir das Phänomen der sogenannten Netzwerkeffekte. Diese treten nicht nur, aber besonders häufig bei digitalen Plattformen zutage. Indirekte Netzwerkeffekte entstehen etwa auf Auktionsplattformen. Diese sind für Verkäufer umso attraktiver, je mehr Käufer die Plattform nutzen, und andersherum. Jede Nutzergruppe wird also indirekt von der Entscheidung aller anderen begünstigt, auf der Plattform aktiv zu sein. Gerade diese Effekte sind dazu geeignet, eine Monopolbildung zu befördern.
Um dieser Realität besser gerecht werden zu können, fügen wir im GWB Kriterien zur Beurteilung von Marktmacht neu hinzu, um die Besonderheit von mehrseitigen Märkten besonders und besser erfassen zu können. Zukünftig wird das Bundeskartellamt bei seiner Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens genau diese Zusammenhänge berücksichtigen und genau analysieren können. Die hier beschriebenen Netzwerkeffekte können also als Markteintrittsbarriere wirken und damit zu einer Gefährdung des Wettbewerbs führen. Die Betonung liegt dabei auf „können“. Eine endgültige Aussage wird auch weiterhin von einer Reihe anderer Faktoren abhängig sein. Um es deutlich zu sagen: Es wird deshalb auch in Zukunft auf die Prüfung des Einzelfalls ankommen. Damit sind keine Vorfestlegungen verbunden. Im Gegenteil: Während das Vorliegen von indirekten Netzwerkeffekten wirtschaftliche Konzentration fördern kann, kann von anderen Eigenschaften digitaler Märkte eine entgegengesetzte Wirkung ausgehen. Wenn zum Beispiel ohne größeren Aufwand mehrere Plattformen parallel genutzt werden können, wird einer Monopolisierungstendenz durch die Möglichkeit der Digitalisierung durch die Konkurrenz genau entgegengewirkt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Digitalisierung und Vernetzung durch das Internet können einerseits die Wettbewerbsintensität auf Märkten deutlich erhöhen – hier ist Eucken aktueller denn je –; andererseits können zunehmende Größe und Marktbedeutung einzelner digitaler Plattformen das Risiko des Marktmissbrauchs in Bezug auf Wertschöpfungsketten fördern, und sie können aufgrund von Netzwerkeffekten zu Monopolen tendieren. Walter Eucken kam vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung seiner Zeit zu dem Schluss, dass technologischer Fortschritt den Wettbewerb intensiviert. Die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie, wie sie sich uns heute zeigen, konnte er dabei nicht im Auge haben. Wir dagegen können die richtigen Maßnahmen ergreifen, um dem sich zeigenden Spannungsfeld besser, schneller und effektiver gerecht zu werden. Aus diesem Grund stärken wir mit der GWB-Novelle die Arbeit der Wettbewerbsbehörden.
Gerade im digitalen Zeitalter benötigt fairer Wettbewerb auch ein zeitgemäßes Wettbewerbs- und Kartellrecht zur effektiven Kontrolle und damit zur effektiven Sicherstellung von Wettbewerb. Die Grundlage dazu schaffen wir heute. Wir werden uns aber in Zukunft wieder mit der Thematik beschäftigen müssen und das Wettbewerbsrecht an die Entwicklungen der digitalen Märkte anpassen.
Ich darf mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Martin Dörmann, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7082752 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 221 |
Tagesordnungspunkt | Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen |