Claudia Lücking-MichelCDU/CSU - Frauen- und Gleichstellungspolitik
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir verhandeln hier heute das Thema Chancengerechtigkeit. Dazu liegen drei Anträge vor, in denen es um viele verschiedene Anliegen geht. Als Bildungs- und Wissenschaftspolitikerin will ich die Anliegen aufgreifen, die sich mit der Situation in unserem Wissenschaftssystem befassen.
Erstes Stichwort: Geschlechterforschung. Das ist ein Stichwort aus dem Antrag der Grünen. Ja, natürlich: Sachlich-kritische Auseinandersetzung gehört zu jeder Wissenschaftskultur, und selbstverständlich müssen wir gegen jede Form von Diffamierung vorgehen, die ganze Forschungsfelder und erst recht einzelne Forschende betrifft. Das gilt auch und gerade für das Forschungsfeld Geschlechterforschung. Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut, das wir nicht infrage stellen.
Es gibt zudem selbstverständlich gute Gründe, auf die Erkenntnisse der Geschlechterforschung zu setzen. Sie befasst sich mit relevanten geschlechtsbezogenen Unterschieden in den verschiedenen Forschungsfeldern, und dass das wichtig sein kann, merkt man immer am besten am Beispiel der medizinischen Forschung. Wenn man da Geschlechterforschung nicht ernst nimmt, dann kann das tödliche Folgen haben; denn Symptome und Krankheitsverläufe sind bei Männern und Frauen durchaus sehr unterschiedlich. Für Männer und Frauen können unterschiedliche Medikations- und Behandlungsformen richtig sein. Es gilt wie immer: Richtig gute Spitzenforschung braucht Diversität von Fragestellungen und Fragestellern. Geschlechterforschung kann darüber hinaus auch helfen, sich klarer darüber zu werden, was denn die Voraussetzungen für wirkliche Chancengerechtigkeit sind.
Damit zu meinem zweiten Stichwort: Chancengerechtigkeit in der Wissenschaft. Ja, es stimmt, Frauen sind an Hochschulen und Forschungseinrichtungen immer noch unterrepräsentiert. Es gilt auch die alte Binsenweisheit: Je höher die Karrierestufe, je höher die Besoldung, je mehr Macht und Möglichkeiten mit einer Aufgabe verbunden sind, desto niedriger der Anteil der Frauen. Diese Situation – da stimme ich vollkommen zu – ist nicht akzeptabel; denn das ist weder gerecht, noch kommt man damit zu wirklich exzellenten Ergebnissen in der Wissenschaft. Die Gründe für diese Situation aber sind sehr vielfältig. Wer wirklich nachhaltig etwas verändern will, der muss entsprechend vielfältig ansetzen.
Alle Erkenntnisse nutzen aber nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden. Aus den Projekten der BMBF-Förderrichtlinie „Frauen an die Spitze“ sind teilweise sehr konkrete Handlungsempfehlungen an die verschiedenen Akteure der Wissenschaftscommunity hervorgegangen. Lesen hilft! Es reicht aber nicht, wenn es dabei bleibt. Ich würde sagen, an der Stelle haben wir in vielerlei Hinsicht kein Erkenntnis-, sondern vor allen Dingen ein Umsetzungsproblem.
Wie genau man aber hinschauen muss, zeigt vielleicht folgender Hinweis. Gleich im dritten Absatz des Antrags der Grünen heißt es – Zitat –:
Die Chancen eines männlichen Hochschulabsolventen auf eine Professur sind nach wie vor höher als die einer Hochschulabsolventin.
Vergleicht man dies mit den Zahlen derjenigen, die sich um einen Lehrstuhl bewerben, dann gilt: Jede 18. Frau, aber nur jeder 26. Mann ist dabei erfolgreich. Frauen hätten demnach sogar die besseren Chancen. In unserem Fachgespräch zur Chancengleichheit, das wir im Herbst geführt haben, waren die Expertinnen einhellig der Meinung, dass Berufungsverfahren an den Hochschulen inzwischen – zum Beispiel dank standardisierter Leitlinien – in der Regel durchaus vorbildlich geschlechtersensibel ablaufen. Das sollten wir auch einmal anerkennen.
Trotzdem spießt der Antrag der Grünen einen wichtigen Punkt auf und hat recht, wenn man die ganze Laufbahn in den Blick nimmt. Jedenfalls bewerben sich in absoluten Zahlen nach wie vor deutlich weniger Frauen auf Professuren als Männer, und das, obwohl sie im Schnitt mittlerweile schon 40 Prozent derjenigen ausmachen, die eine Promotion erfolgreich abschließen. Das heißt im Klartext: Nach der Promotion scheiden viel zu viele Frauen aus dem Wissenschaftssystem aus und gehen ihm mit ihren Talenten und Begabungen verloren.
Mein drittes Stichwort heißt deshalb: Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ja, es stimmt, wir haben eine ganze Reihe von Problemen, die wir angehen müssen; aber ein großes ist nach wie vor die Vereinbarkeit einer Wissenschaftskarriere mit der Verantwortung für die Familie. Das ist nach wie vor ein großes Thema, vor allem für Frauen. Es sollte auch für junge Väter ein Thema sein; allerdings sind es nach wie vor noch immer regelmäßig die Frauen, die stärker die Sorgearbeiten in der Familie ausüben.
Die Strukturen der Arbeitswelt, zumal in der Wissenschaft – wir haben es jetzt schon mehrfach gehört –, sind nicht familienfreundlich, nicht für die Mütter, aber auch nicht für die Väter. Die Kultur der ständigen Verfügbarkeit, die Idee eines Forschertypus, der allein und nur für seine Forschungsarbeiten lebt, prägt leider nach wie vor noch zu sehr die Wissenschaft.
Was tun wir bislang, um den erfolgreichen Kulturwandel in der Wissenschaft zugunsten der Eltern und ihrer Familien zu beschleunigen? Ich nenne einige Beispiele:
Wir haben in vielen Zusammenhängen – Begabtenförderung, BAföG – eine Verlängerungsmöglichkeit aufgrund von Familienpflichten eingeführt.
Wir arbeiten mit Hochdruck an immer umfassenderen Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Es gibt auch kluge Ideen, etwa über die Mittel der DFG-Gleichstellungspauschale, Verwaltungs- oder Laborunterstützung für schwangere Frauen oder zurückkehrende Elternteile zu finanzieren.
Es gibt planbarere Karrierewege. Wir haben ein reformiertes Wissenschaftszeitvertragsgesetz, neue Ideen für ein Tenure-Track-Programm und – das will ich besonders hervorheben – das von der Bundesregierung mittlerweile schon in der zweiten Phase geförderte Professorinnenprogramm. Wir müssen es unbedingt ausweiten und dafür sorgen, dass es für die jungen Frauen neben den Perspektiven auf eine Professur in Zukunft auch Stellenmöglichkeiten vor und neben einer Professur gibt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Das ist alles gut und richtig. Wir sind uns wahrscheinlich einig: Es hilft immer noch nicht genug und geht zu langsam. Wir brauchen weitere kreative Ideen. Das betrifft vor allen Dingen Arbeitszeitmodelle und Möglichkeiten zur kreativen Gestaltung des Arbeitsplatzes.
Als Beispiel möchte ich eine Idee vorstellen, die in der Fraunhofer-Gesellschaft entwickelt wurde, die ja durchaus Bedarf hat, ihre Frauenbilanz zu verbessern. Dort hat man beispielsweise zwei verschiedene Karrierewege entwickelt. Als Expert Scientist ist man von Verwaltungsaufgaben befreit und kann Zeit und Ort der eigenen Arbeit weitgehend selbst bestimmen. Wenn die eigene Situation es wieder zulässt – etwa nach einer Familien- oder Pflegephase –, kann man dann in den Pfad des Senior Scientists wechseln.
Mir ist an dieser Stelle die Botschaft wichtig: Mit guten rechtlichen Rahmenbedingungen können wir dafür sorgen, dass – bei aller Wahlfreiheit der Einzelnen – Elternschaft nicht länger zum Hinderungsgrund für eine wissenschaftliche Karriere wird.
Damit komme ich auch schon zum Schluss. Es ist gut, dass wir uns heute aus Anlass des Weltfrauentages mit Chancengerechtigkeit auch und gerade für Frauen beschäftigen.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Dank an die Grünen!)
Noch wichtiger wäre mir aber, dass wir dieses Anliegen auch die anderen 364 Tage im Jahr ernst nähmen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Frauen brauchen keine vereinfachten Zugangsbedingungen oder spezielle Nachhilfe für wissenschaftliche Karriere. Wir müssen ihnen keinen roten Teppich auslegen. Aber wir müssen endlich die bestehenden Hürden, die es für sie nach wie vor gibt, aus dem Weg räumen. Das wäre gut für die Frauen, aber auch für die Qualität unserer Wissenschaft.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Jetzt hat die Kollegin Marianne Schieder von der SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7082820 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 221 |
Tagesordnungspunkt | Frauen- und Gleichstellungspolitik |