23.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 225 / Tagesordnungspunkt 4

Brigitte PothmerDIE GRÜNEN - Arbeit 4.0 - Arbeitswelt von morgen

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es ist richtig: Es gibt sehr viele Menschen, die sich durch die Digitalisierung neue große Chancen ausrechnen. Es gibt aber auch Menschen, die sich vor den daraus resultierenden Veränderungen fürchten. Sie haben Sorge, dass sie mit dem Tempo nicht mitkommen, sie haben Sorge, dass sie den Anforderungen nicht gerecht werden, und sie haben auch Sorge um ihren Arbeitsplatz. Ich bin der festen Überzeugung, dass man diesen Ängsten und diesen Sorgen am besten damit begegnet, dass man unter Beweis stellt, dass man dort, wo die Veränderungsprozesse bereits begonnen haben, wo die Zukunft der Arbeit längst Realität ist, tragfähige Antworten gibt, dass man Chancen eröffnet und damit verhindert, dass Verlierer produziert werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, einen Dialogprozess zu führen, ist gut und schön, ein Weißbuch vorzulegen, ist auch gut und schön, aber das reicht bei weitem nicht aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Was wir brauchen, sind konkrete Antworten. Wir brauchen Entscheidungen. Wir brauchen gesetzliche Regelungen.

Ich will Ihnen das am Beispiel der Arbeitslosenversicherung einmal deutlich machen. Die Zukunft der Arbeit hat längst begonnen. Es gibt doch längst diese unsteten, diese kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse. Die Menschen, die sich darin befinden, zahlen in die Arbeitslosenversicherung ein, fallen aber im Falle der Arbeitslosigkeit direkt in Hartz IV. Das liegt daran, dass Sie die Arbeitslosenversicherung für diese Menschen gerade nicht zukunftsfest gemacht haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Ausbildung und Weiterbildung!)

Jeder vierte dieser Erwerbstätigen zahlt ein und bekommt nichts heraus. Das sind inzwischen 580 000 Menschen.

Was bieten Sie diesen Menschen mit Ihrer „enormen Gestaltungskraft“ an, Frau Mast? Eine Sonderregelung, durch die im ganzen Jahr 239 Menschen gestützt wurden. Was für ein Bild des Jammers! Was für ein Missverhältnis!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

580 000 Menschen zu 239 Menschen, wo ist da Ihre Gestaltungskraft, Frau Mast, wo ist da Ihr Gestaltungsdialog? Was haben Sie gemacht? Anstatt diese Hürden endlich abzubauen, haben sie die Dauer dieser Regelung für kurzzeitig Beschäftigte, die nichts taugt, einfach verlängert. Herr Kapschack hat sich dafür auch noch gefeiert. Ich finde, das ist wirklich armselig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dabei wissen wir alle, dass sich durch die Digitalisierung diese Formen der Erwerbstätigkeit noch weiter entwickeln werden.

Gerade diese Menschen brauchen aber doch mehr und nicht weniger Sicherung. Bilden Sie sich doch nicht ein, dass Sie mit einer solchen Sonderregelung Vertrauen in die Arbeit 4.0 schaffen. Wenn Sie das schon nicht geregelt bekommen, dann bekommen Sie die Gestaltung der Zukunft erst recht nicht geregelt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Große Worte!)

Meine Damen und Herren, ja, die Digitalisierung bietet eine Menge Chancen. Insbesondere Frauen könnten davon profitieren. Darauf hat meine Kollegin Kerstin Andreae hingewiesen; deswegen möchte ich das hier nicht weiter ausführen.

Frau Kollegin Pothmer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kapschack zu?

(Ralf Kapschack [SPD]: Überraschung!)

Gerne.

Liebe Kollegin Pothmer, erst einmal herzlichen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Ich kann mich, ehrlich gesagt, an keine Feier erinnern. Vielleicht waren Sie bei einer Feier, zu der ich nicht eingeladen war.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Das aber nur nebenbei.

Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es in den Vorschlägen des Kanzlerkandidaten und der Arbeitsministerin zum Thema „Zugang zum Arbeitslosengeld“ eine deutliche Veränderung zum jetzigen Zustand gibt? Die Rahmenfrist soll nämlich auf drei Jahre erweitert werden. Innerhalb dieser drei Jahre müssen zehn Monate Beschäftigung nachgewiesen werden. Das ist im Vergleich zum gegenwärtigen Zustand eine deutliche Verbesserung und würde – solche Gespräche führen Sie ja auch – vor allem kurzzeitig Beschäftigten zum Beispiel im Kultur- und Medienbereich helfen.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrter Herr Kapschack, nur um Ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen: Ich habe mich auf eine Pressemitteilung bezogen, die Sie und Ihr Kollege zu der Verlängerung dieser völlig wirkungslosen Sonderregelung abgegeben haben. Darin haben Sie behauptet, dadurch hätten Sie weiteres Vertrauen geschaffen. Ich glaube, Sie haben einfach nur jede Hoffnung begraben.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich wusste nicht, Herr Kapschack, dass hier Wahlkampfversprechen der Grünen zur Debatte stehen.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wahlkampfversprechen nicht der Grünen, der SPD!)

Meiner Ansicht nach geht es in dieser Debatte um einen Antrag der Grünen und um das Handeln der Bundesregierung. Ich habe nicht mitbekommen, dass Sie nicht mehr Teil der Bundesregierung sind, sondern inzwischen in der Opposition sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wir haben den Eindruck schon manchmal! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Manche versuchen, den Eindruck zu erwecken!)

Lassen Sie mich jetzt noch etwas zur Weiterbildung sagen, weil Frau Mast dieses Thema in besonderer Weise hervorgehoben hat. Wir wissen alle, dass die Halbwertzeit von Wissen durch die Digitalisierung noch weiter abnehmen wird. Das heißt, dass Weiterbildung für alle, für wirklich alle dringend notwendig ist.

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das hat Frau Mast gesagt!)

Aber die Hartz-IV-Empfänger – Frau Mast, hören Sie jetzt bitte einmal zu – werden bei Ihnen fast vollständig abgehängt. Sie betonen die Bedeutung der Weiterbildung; aber im SGB II gilt nach wie vor der Vorrang der Vermittlung vor Qualifizierung.

(Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD])

Diejenigen brauchen Ihrer Meinung nach offensichtlich keine Weiterbildung. Ich frage Sie: Wo bleibt Ihre Weiterbildungsoffensive? Wann wird das Meister-BAföG tatsächlich zu einem Gesetz zur Förderung lebenslangen Lernens umgebaut?

(Zuruf der Abg. Katja Mast [SPD])

Nein, Sie sind immer noch im Modus der Sonntagsreden; aber den müssen wir jetzt dringend verlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Wer es in einer ganzen Amtszeit nicht geschafft hat, überzeugende Antworten auf die bereits eingetretenen Veränderungen der Arbeitswelt zu geben – die Zukunft der Arbeit hat bereits begonnen –, der wird kaum das Vertrauen der Menschen dafür gewinnen,

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist nämlich der Punkt!)

eine so grundlegende Veränderung wie die, die vor uns liegt, zu gestalten. Dieses Vertrauen brauchen wir aber, wenn der Weg in die Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit gelingen soll.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Schauen wir mal, wem sie vertrauen werden!)

Als nächster Redner hat Kai Whittaker für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7089272
Wahlperiode 18
Sitzung 225
Tagesordnungspunkt Arbeit 4.0 - Arbeitswelt von morgen
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