23.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 225 / Tagesordnungspunkt 9 + ZP 4

Barbara LanzingerCDU/CSU - Europaweiter Atomausstieg

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Rängen! Die Linken und Grünen mit ihren heutigen Anträgen

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sind gut! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben recht!)

versuchen – ich sage es einfach so –, mit ihren Verbotsanträgen den anderen EU-Ländern zu diktieren und vorzuschreiben, wie sie die Energiepolitik zu gestalten haben.

(Zuruf von der LINKEN: Oh Gott! Oh Gott! Oh Gott! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiheit von Atomkraftwerken!)

Sie versuchen, zu suggerieren, der Euratom-Vertrag sei eine böse Atomkraftwerksförderungsmaschinerie.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Stimmt ja auch! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist er auch!)

Das ist nicht richtig. Das ist lächerlich, und das ist einfach falsch.

(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Genau!)

Wir haben bei uns in Deutschland die Energiewende beschlossen. Dazu stehen wir.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Mühe und Not!)

Wir stehen am Beginn des Zeitalters der erneuerbaren Energien mit enormem umwelt- und wirtschaftspolitischem Potenzial, aber auch mit schwierigen Herausforderungen. Wir haben uns entschieden, in Deutschland 2023 die letzten Kernkraftwerke abzuschalten. Das ist ein wirklich sehr ambitionierter Weg, vor allem ein nicht einfacher.

Die EU-Mitgliedsländer entscheiden sich jedoch anders. Sie entscheiden sich nicht so wie wir. Ich sage ganz deutlich: Das haben wir zu respektieren. Wir können den anderen nicht das diktieren, was wir bei uns für richtig halten. Wir können darüber reden, ja, aber nicht in einem Diktat. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist in Artikel 194 festgehalten, dass die Mitgliedstaaten selber entscheiden über die Struktur der Energieversorgung und die Nutzung ihrer Energieressourcen. Wir sollten uns davor hüten, anderen Ländern vorschreiben zu wollen, wie sie ihre Energiepolitik zu gestalten haben. Das könnte uns im Rahmen unserer eigenen nicht ganz so einfach umzusetzenden Energiewende durchaus auf die Füße fallen.

Was steht denn in diesem Euratom-Vertrag? Interessant sind dort unter Artikel 3 die Ziele. Ich kann nicht alles vorlesen. Ich lese beispielhaft die Absätze 4 und 5 der Verordnung vor:

Das Euratom-Programm wird so umgesetzt, dass die unterstützten Prioritäten und Tätigkeiten den sich wandelnden Bedürfnissen entsprechen und die Weiterentwicklung von Wissenschaft, Technologie, Innovation, Politik, Märkten und Gesellschaft berücksichtigen, damit die personellen und finanziellen Ressourcen optimiert und Doppelarbeit bei der Forschung und Entwicklung im Nuklearbereich in der Union vermieden wird.

Absatz 5:

Innerhalb der in den Absätzen 2 und 3 genannten Einzelziele können neue und unvorhersehbare Erfordernisse berücksichtigt werden, die sich während des Durchführungszeitraums des Euratom-Programms ergeben. ...

Es ist also durchaus möglich, Änderungen und Anpassungen darin vorzunehmen. Durch Ihre Anträge wird im Prinzip jedoch so getan, als sei der Euratom-Vertrag nur dazu da, den Bau und den Betrieb von Kernkraftwerken in anderen EU-Ländern oder auch bei uns finanziell zu fördern, und das ist falsch.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die erste Zielbeschreibung!)

Kurz und prägnant wird das in einer Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom September 2016 widerlegt:

Weder im Euratom-Rahmenprogramm noch im Haushalt der EU sind Mittel für die Förderung des Baus und Betriebs von Kernkraftwerken in der EU bzw. Nicht-EU-Staaten vorgesehen.

Der Vertrag setzt im Kern den Rahmen für eine sichere Verwendung der Kernenergie über Grenzen hinweg. Er ist die Rechtsgrundlage für europäische Regelungen beim Gesundheitsschutz, der Überwachung von Kernmaterial, nuklearen Entsorgung, europäischen und internationalen Kooperation, nuklearen Sicherheit und für weitere Punkte; alles zu lesen im Vertragswerk und im dazugehörigen Rahmenprogramm. Dazu gehört auch die Gefahrenabwehr, die nicht zu unterschätzen ist und wichtiger denn je wird.

Erst 2014 wurde der Euratom-Vertrag weiterentwickelt durch eine Richtlinie über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Deutschland hat sich darin für die Festsetzung von verbindlichen Sicherheitszielen in der EU für ein System wechselseitiger Kontrolle erfolgreich starkgemacht. Das heißt: Über Grenzen hinweg soll die Sicherheit kerntechnischer Anlagen verbessert werden.

Wichtig ist auch: Der Euratom-Vertrag legt den Rahmen für Forschung und Entwicklung in diesem Hochtechnologiebereich fest. Dazu steht als übergeordnetes Ziel auch im aktuellen Euratom-Rahmenvertrag bis 2018 festgeschrieben, „Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich mit Schwerpunkt auf der kontinuierlichen Verbesserung der Sicherheit, der Gefahrenabwehr und dem Strahlenschutz ... fortzusetzen, um insbesondere gegebenenfalls einen Beitrag zur langfristigen effizienten und sicheren Senkung der CO 2 -Emmissionen des Energiesystems zu leisten“. Unser verehrter Herr Riesenhuber hat im letzten Jahr sehr viel zu dem Thema, was Forschung und Entwicklung auch in diesem Rahmen bedeutet, gesprochen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für mich ist das Zauberwort auch: Forschung und innovative Technologien, die es hier eines Tages hoffentlich geben mag. Ich sage ganz deutlich: Wir wären töricht, nicht nach vorn zu blicken und unser Wissen zu erweitern.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir!)

Europaweit brauchen wir nicht zuletzt im Bereich Rückbau von Kernkraftanlagen weiterhin hohe Kompetenzen.

Wie anmaßend wären wir, künftigen Generationen neue Technologien zu verwehren, indem wir jetzt nicht weiterforschen. Ob diese potenziellen neuen Technologien sich dann als sinnvoll erweisen werden oder nicht, ist eine ganz andere Frage, und die sollten wir unsere nachfolgenden Generationen entscheiden lassen.

(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anmaßend wäre, den Generationen nach uns noch mehr Atommüll zu hinterlassen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts gelernt aus der ganzen Atomwirtschaft!)

Ihre Anträge haben aber auch eine nicht zu unterschätzende, erhebliche politische Brisanz. Für mich sind sie europafeindlich. Das ist eine europafeindliche Haltung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Euratom-Vertrag ist eines der beiden Gründungsdokumente der EU. Er ist einer der beiden Grundsteine der Europäischen Union, deren 60. Geburtstag wir am kommenden Samstag feiern werden.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Niveauloser geht es nicht mehr!)

Was für ein – ich sage es deutlich – verheerendes politisches Signal würden wir in diesen momentan so turbulenten Zeiten an Europa und die Welt senden, wenn wir das heute beschließen würden?

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird ja für alles bemüht!)

Zusammenfassend ist bei dem, was Sie, liebe Grüne und Linke, fordern, nur eines sicher: Ein Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag führt definitiv nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu weniger Verantwortung unsererseits, weil wir dann nämlich sämtliche Mitspracherechte, die wir bisher in den Gremien haben, verlieren würden. Ihre inhaltlich so oft unbegründete und gesellschaftlich aus meiner Sicht gefährliche Fundamentalopposition

(Lachen des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])

in manchen Themen macht mich immer wieder fassungslos. Dazu gehören nicht nur der Euratom-Vertrag, sondern auch viele andere Themen wie zum Beispiel CETA.

Entweder erkennen Sie die politische Realität nicht, oder Sie wollen sie nicht erkennen. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, was mir mehr Sorge bereiten soll.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich appelliere: Der Euratom-Vertrag ist nach wie vor dem Grunde nach sinnvoll und gerade zum 60. Geburtstag der EU ein starkes politisches Signal für Europa, und das sollte er auch bleiben.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Weiter Atomenergie aus Dankbarkeit für 60 Jahre!)

Danke schön für Ihr Zuhören und für Ihre Mitdiskussion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7089635
Wahlperiode 18
Sitzung 225
Tagesordnungspunkt Europaweiter Atomausstieg
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