24.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 226 / Tagesordnungspunkt 30 + ZP 8

Bernd RützelSPD - Befristung von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Tobias, du hast Beifall bekommen, als du gesagt hast, wer das Gesetz eingeführt hat. Ich erinnere mich ganz genau, wer dieses Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführt hat, weil ich damals, 1985, dagegen demonstriert habe. Es war der Bundeskanzler Kohl, der als ersten Schritt in die Deregulierung des Arbeitsmarktes dieses Gesetz auf den Weg gebracht und 1985 die sachgrundlose Befristung eingeführt hat, die bis heute gilt.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit Sachgrund! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Nicht sachgrundlos! Das stimmt nicht!)

Manche derjenigen, die vorhin geklatscht haben, waren im Jahr 1985 übrigens noch gar nicht geboren.

(Tobias Zech [CDU/CSU]: Vier Jahre war ich alt! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Tobias schon! Er war da vier Jahre alt!)

Matthias Zimmer sagt, eine sachgrundlose Befristung sei überflüssig. Damit hat er recht. Sie ist aber nicht nur überflüssig, sondern sie ist noch mehr: Sie ist schädlich und gefährlich. Ich komme später noch einmal darauf zurück. Liebe Beate Müller-Gemmeke, du hast das auch schön ausgeführt.

Ich will die Zeit aber auch nutzen, noch einmal den Instrumentenkasten und den Werkzeugkasten zu erläutern und zu sagen, was alles zu Befristungen mit Sachgrund führen kann. Es gibt hier viele Möglichkeiten, zum Beispiel die Befristungen für einen vorübergehenden Bedarf: in der Erntezeit, in der Weihnachtszeit, wenn eine neue Maschine oder ein neuer Prozess eingeführt wird. Das gilt zum Beispiel auch, wenn – lieber Klaus Ernst, das hast du einmal ausgeführt – eine Ausbildung endet, um nach der Ausbildung in einen ersten befristeten Vertrag zu kommen und somit den Übergang zu sichern. Vertretungen für Mutterschutz, für Elternzeit, für längere Erkrankungen, für Abordnungen, wenn jemand im Ausland, beurlaubt oder freigestellt ist: Für all diese Umstände kann man befristen.

Weiterhin kann man befristen, wenn die Eigenart des Berufs bzw. der Arbeitsleistung dies erfordert, zum Beispiel im redaktionellen und im künstlerischen Bereich, bei Regisseuren, bei Moderatorinnen, bei Schauspielern, bei Kommentatorinnen, bei Sängern und Sängerinnen, und auch im Profisport wird befristet.

Herr Kollege Rützel, der Kollege Zimmer würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?

Jawohl.

Gut.

Ganz herzlichen Dank dafür. – Lieber Herr Kollege, ich habe nur eine Frage: Können wir uns darauf einigen – vor dem Hintergrund, dass wir von dem postfaktischen Zeitalter reden, in dem wir ja alle nicht sein wollen –, hier und heute zwei Dinge festzuhalten, nämlich, dass die Regierung Helmut Kohl damals eine Befristung mit Sachgrund und nicht eine sachgrundlose Befristung eingeführt hat und dass Saisonarbeitskräfte seit der Änderung der statistischen Erfassung Anfang des Jahrtausends nicht mehr als Arbeitskräfte gezählt werden, die unter die sachgrundlose Befristung fallen?

Lieber Kollege Zimmer, das ändert nichts an der Tatsache, dass mit diesem Beschäftigungsförderungsgesetz ein erster Schritt in diesem Bereich gemacht worden ist, um zu befristen, was eben zu Unsicherheiten im Beschäftigungsverhältnis, auch hinsichtlich des Kündigungsschutzes, geführt hat.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist aber keine Antwort auf die Frage!)

So wie ich dich, lieber Matthias, wahrgenommen habe, denke ich, dass wir auf einer Seite sind und ihr bei euch nur noch Überzeugungsarbeit leisten müsst.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist keine Antwort auf die Frage!)

Denn in letzter Konsequenz konnten wir in unseren Koalitionsvertrag leider nicht hineinarbeiten, dass wir diese sachgrundlose Befristung abschaffen.

(Beifall bei der SPD – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ein einfaches Ja oder Nein hätte gereicht!)

Lieber Kollege, die Kollegin Krellmann möchte auch noch eine Zwischenfrage stellen.

Ach je.

(Heiterkeit)

Sie entscheiden.

Gerne!

(Heiterkeit – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Lüg doch nicht!)

Ich weise jetzt trotzdem darauf hin, dass wir heute noch drei Debatten vor uns haben. Ich bitte, jetzt auch ein bisschen an die Kolleginnen und Kollegen zu denken, die in den darauffolgenden Debatten noch sprechen werden. Es wäre schön, wenn Sie das auch etwas im Blick haben; denn es wäre nicht gut, wenn hier in eineinhalb Stunden nur noch fünf oder sechs Kollegen säßen.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch eine wichtige Debatte hier!)

Danke, Frau Präsidentin. Bei Ihrem Gesichtsausdruck habe ich schon ein richtig schlechtes Gewissen, dass ich eine Frage stelle.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Fragen!)

Ich kann das, was Herr Zimmer gesagt hat, nur bestätigen. Ich sehe das ganz genauso. Damals wurde das Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführt. Herr Blüm als Arbeitsminister hat sich dafür gefeiert, dass es ab dem genannten Zeitpunkt die Möglichkeit gegeben hat, mit Sachgrund befristete Verträge abzuschließen. Die sachgrundlose Befristung hingegen ist im Rahmen der Agenda 2010 durch Rot-Grün eingeführt worden, nichts anderes.

Jetzt zu meiner konkreten Frage. Haben Sie registriert – Sie haben ja das Thema Ausbildung angesprochen –, dass Gewerkschaften gerade für die Abschaffung von Befristungen ohne Sachgrund bei der Übernahme nach Beendigung der Ausbildung kämpfen? Das haben viele Gewerkschaften auch schon erreicht. Das finde ich ganz toll für die jungen Menschen, die eine betriebliche Ausbildung machen. Das ist das Ziel mit Blick auf die Auszubildenden im Betrieb, nichts anderes. Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und fertig!

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich kann auf die Frage ganz leicht und schnell antworten, denn es gilt: Wer nachliest, hat mehr davon. „ Geschichte befristeter Beschäftigungsverhältnisse“ – wir sind ja jetzt in der Geschichtsstunde –:

Die erste Etappe der Deregulierung begann 1985 mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz, mit dem zum ersten Mal Arbeitsverträge ohne sachlichen Grund befristet werden konnten.

(Dr. Matthias Bartke [SPD]: So ist es! Helmut Kohl! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Genau so! Helmut Kohl war das!)

Jetzt kann sich jeder ein Urteil bilden.

(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Und Martin Schulz wird es wieder ändern! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Welche Quelle?)

– Das stammt von der Bundeszentrale für politische Bildung; das Internet speichert alles. Ich drucke mir das jeden Tag dreimal aus.

(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Herr Kollege Zimmer, genau zuhören!)

Die Eigenart der Arbeitsleistung habe ich aufgezeigt. Auch die Erprobung ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Wenn ich jemanden einstellen muss, aber nicht weiß, ob er zu uns passt, dann gilt auch hier, dass der Vertrag zur Erprobung, zum Beispiel für drei Monate, mit Sachgrund befristet werden kann. Ich kann einen Vertrag auch befristen, wenn die Gründe in der Person des Arbeitnehmers liegen, zum Beispiel bei einer Tätigkeit von Studierenden in den Semesterferien, bei einer vorübergehenden Beschäftigung bis hin zur Altersrente oder im Falle einer befristeten Aufenthaltserlaubnis.

Gott sei Dank ist es angesprochen worden: Ja, im öffentlichen Dienst – darüber haben wir debattiert – werden oftmals Verträge mit Befristungen abgeschlossen. Aber es gibt ein Sonderbefristungsrecht des öffentlichen Dienstes. Der öffentliche Dienst könnte mit Sachgrund ordentlich befristen, wenn es die Haushaltsmittel rechtfertigen.

Ich will zusammenfassend sagen, dass diese sachgrundlosen Befristungen – jeder zweite befristete Vertrag enthält eine sachgrundlose Befristung – die Menschen krank und frustriert machen, dass sie Lebenschancen und Perspektiven verbauen, dass es zu weniger Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen kommt und dass dadurch der Kündigungsschutz durch die Hintertür ausgehöhlt wird.

Deswegen sprechen mir diese beiden Anträge von den Grünen und von den Linken aus dem Herzen. Sie haben mit Ihren Anträgen natürlich recht. Der Vorsitzende der SPD und unser Kanzlerkandidat Martin Schulz

(Dr. Matthias Bartke [SPD]: Guter Mann! – Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Guter Mann! – Katja Mast [SPD]: Guter Mann!)

hat diese Probleme aufgegriffen und das Thema deutlich angesprochen. Und das wird auch umgesetzt werden. Das sind wirklich Herzensanliegen. Über die zu sprechen werden wir sicherlich im Wahlkampf die eine oder andere Möglichkeit haben.

Ich will die letzten paar Sekunden meiner Redezeit dafür nutzen, um deutlich zu machen, was eine Koalition ist. Eine Koalition bedeutet: Man setzt sich zusammen und lotet Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus. Man ist sich aber auch treu und vertraut einander und stimmt auch Vorschlägen des Partners zu. Das gilt nicht für diesen Tagesordnungspunkt. Ich denke an das Thema Pkw-Maut, das wir heute Morgen behandelt haben und bei dem wir vertragstreu gewesen sind,

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie sich schon nicht mit Ruhm bekleckert!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7090257
Wahlperiode 18
Sitzung 226
Tagesordnungspunkt Befristung von Arbeitsverträgen ohne Sachgrund
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