Thomas OppermannSPD - Regierungserklärung zum Europäischen Rat
Vielen Dank, Herr Präsident. Das größte Geschenk für mich ist allerdings nicht, dass ich an meinem Geburtstag auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin antworten darf.
(Zurufe von der CDU/CSU und der LINKEN: Oh!)
Das größte Geschenk ist, dass gestern Abend Borussia Dortmund in einem großartigen Spiel 3 : 2 gegen Bayern München gewonnen hat.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Jetzt will ich im Protokoll präzise lesen, wer geklatscht hat! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Roten verlieren halt gerade überall!)
Das müssen Sie aber von der Redezeit abziehen, Herr Präsident.
Ich werde dazu jetzt keine Abstimmung im Bundestag herbeiführen.
(Heiterkeit)
Insofern empfehle ich, dass wir auf den eigentlichen Gegenstand der Debatte zurückkommen.
Das Ergebnis von gestern könnte man auch mit einer Abstimmung nicht korrigieren.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Sonntag hat Emmanuel Macron die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen. Viele sind erleichtert über den Ausgang der Wahl. Nach Österreich und den Niederlanden hat jetzt auch Frankreich die Chance, den Vormarsch der Rechten zu stoppen. Deshalb drücken wir alle Macron die Daumen, dass er auch in der zweiten Runde die Nase vorn hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Frau Wagenknecht, Sie haben es geschafft, in einer zehnminütigen Rede über Europa nicht ein einziges positives Wort über die Europäische Union zu verlieren.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ist überhaupt nicht wahr!)
Sie malen hier ein Krisenszenario und ignorieren, dass die Euro-Zone im Augenblick dabei ist, sich wirtschaftlich zu stabilisieren.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ist ja alles in Ordnung nach dem Brexit, oder was?)
Ihre Rede strotzte teilweise nur so von alternativen Fakten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Trotzdem habe ich eine Bitte an Sie: Springen Sie über Ihren eigenen Schatten. Reden Sie mit Ihren Freunden von der Schwesterpartei in Frankreich; denn das sind die Einzigen, die bisher nicht zur Wahl von Macron aufgerufen haben. Machen Sie das; sonst nehmen Sie billigend in Kauf, dass die kommunistischen Wählerinnen und Wähler in Frankreich Frau Le Pen wählen. Das wollen Sie doch ganz bestimmt nicht.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Bevormunder! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)
– Ich habe das nicht gehört. – Mir gibt das Ergebnis natürlich zu denken: In Frankreich haben es der linksradikale Kandidat und die rechtsradikale Kandidatin geschafft, dass 41 Prozent der Wähler klar gegen Europa votieren.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ihnen sollte zu denken geben, dass der Sozi 6 Prozent hat!)
Ich finde, der Wahlausgang in Frankreich, aber auch der Brexit zeigen: Wir müssen für ein vereintes Europa kämpfen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: Die Weimarer Demokratie ist eigentlich nicht daran zugrunde gegangen, dass es zu früh zu viele Nazis gab, sondern daran, dass es zu lange zu wenig Demokraten gab. – Das gilt auch heute: Europa darf nicht daran scheitern, dass es zu wenig überzeugte Europäer gibt.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Was macht denn die Politik?)
Wenn Macron die Wahlen gewinnt, dann ist das auch eine große Chance; denn es ist vielleicht die letzte Gelegenheit, die Mehrheit des französischen Volkes davon zu überzeugen, dass ein solidarisches Europa gut für Frankreich ist. Ein französisches Bekenntnis zu Europa braucht auch deutsche Unterstützung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir können nicht einfach nur mit dem erhobenen Zeigefinger sagen: Weiter so wie bisher. – Wir müssen die Probleme in Europa anpacken. Wir müssen endlich für mehr Investitionen und Wachstum sorgen,
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wer regiert hier eigentlich?)
die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, ein soziales Europa schaffen, von dem nicht nur einige wenige, sondern von dem alle Menschen profitieren.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wenn wir weitere Austritte wie den Brexit verhindern wollen, dann brauchen wir einen kraftvollen Neubeginn in der Europapolitik. Auch die Präsidentschaftswahlen in Frankreich haben gezeigt, wie gespalten viele westliche Länder in diesen Tagen sind. In der Türkei, in den USA, in Polen und in Großbritannien zieht sich die Spaltung quer durch die Gesellschaft. Wir in Deutschland blicken bisweilen mit Fassungslosigkeit auf die Mehrheitsentscheidungen in diesen Ländern. Wir können uns nicht in demokratische Wahlen einmischen. Aber wir können diejenigen unterstützen, die die europäischen Werte verteidigen, die für die Demokratie kämpfen, die zur europäischen Einheit stehen. Ihnen müssen wir zeigen, dass wir an ihrer Seite stehen.
(Beifall bei der SPD)
In Großbritannien sind es vor allem die Jüngeren. Es ist die jüngere Generation, die sich ihr Land weiterhin in der Europäischen Union gewünscht hätte. Gerade diesen jungen Briten sind wir es schuldig, dass wir in den kommenden zwei Jahren mit Großbritannien fair verhandeln. Aber ebenso klar ist auch: Wir werden keine Sonderbehandlung zulassen. Die EU ist eine Solidargemeinschaft mit Rechten und Pflichten. Wer austritt, kann nicht nur die Vorteile mitnehmen; das muss klar sein. Sonst leisten wir Beihilfe zum Zerfall der Europäischen Union.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich freue mich, Frau Bundeskanzlerin, dass wir, was die Brexit-Verhandlungsstrategie betrifft, wirklich Einvernehmen in der Koalition haben. Um die wirtschaftlichen Beziehungen mit Großbritannien zu regeln, wird ein Handelsabkommen notwendig sein. Da bitte ich die Bundesregierung, Lehren aus unserem Abkommen mit Kanada zu ziehen: Es darf kein Handelsabkommen geben, das ohne demokratische Kontrolle, ohne ordentliche Gerichtsbarkeit und ohne ökologische und soziale Standards daherkommt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, vor einer Woche hat sich die Türkei mit einer knappen Mehrheit gegen die parlamentarische Demokratie und für ein autoritäres Präsidialsystem entschieden. Es ist bitter, dass die demokratische Opposition das Referendum so knapp verloren hat. Aber eines finde ich großartig und mutig: dass sich trotz aller Drohungen und Einschüchterungen, trotz aller willkürlichen Verhaftungen, trotz einer geknebelten Presse 23 Millionen Türkinnen und Türken für die Demokratie entschieden haben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sogar noch mehr! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht war es sogar eine Mehrheit! Es kann ja sein, dass das Ergebnis durch Wahlfälschung zustande kam!)
Diese Menschen sind die Hoffnung der Türkei. Wir dürfen diese Menschen nicht alleine lassen.
Einige hofften, nach dem Referendum werde es besser, Erdogan werde sich mäßigen. Der gestrige Tag – mit der Inhaftierung von 1 000 angeblichen Staatsfeinden – hat gezeigt: Nichts wird besser. Es ist falsch, Erdogan in dieser Situation das Gefühl zu vermitteln, dass wir einfach teilnahmslos zusehen. Die türkische Regierung hat Forderungen und Interessen. Sie hat Forderungen an Deutschland und an die Europäische Union. Sie will Visaerleichterungen. Sie will Wirtschaftshilfen. Sie will eine Vertiefung der Zollunion. Wir müssen in dieser Situation ganz deutlich machen – das ist auch mein Appell an die Bundesregierung –: Zugeständnisse wird es nur geben, wenn Zug um Zug die inhaftierten Journalisten und die politischen Gefangenen freigelassen werden,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
wenn Zug um Zug die Demokratie und die politischen Freiheiten wieder in Kraft gesetzt werden. Europa darf Autokraten gegenüber nicht wie ein zahnloser Tiger erscheinen.
(Lachen des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])
Nun fordern einige das sofortige Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei. Ich höre diese Forderungen in bemerkenswerter Allianz, von Manfred Weber, CSU, bis zu Sahra Wagenknecht, Linke. Ich kann mich da nur wundern. Denn das ist doch genau das, worauf Erdogan wartet: dass er die Schuld für den Abbruch der Verhandlungen den Europäern in die Schuhe schieben kann.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Natürlich ist klar: Wenn es in der Türkei zur Einführung der Todesstrafe kommt, dann sind die Verhandlungen automatisch beendet. Aber ich finde, diese Verantwortung vor seinem Volk muss Erdogan schon selbst übernehmen. Wir sollten klarmachen, Kollege Kauder – da wünsche ich mir ein gemeinsames, kraftvolles Bekenntnis der gesamten Koalition –: Nicht wir schlagen der Türkei die Tür zu Europa zu, sondern es ist allein Erdogan, der sein Land systematisch von der EU und den europäischen Werten wegführt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
63 Prozent der türkischen Staatsangehörigen, die in Deutschland an dem Referendum teilgenommen haben, haben sich für die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie ausgesprochen. Das ist zweifellos ein deprimierender Befund. Es gibt nun aber Stimmen auch aus Ihren Reihen, Frau Merkel und Kollege Kauder, die eine Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit fordern, allen voran Ihr neuer Schatteninnenminister Joachim Herrmann. Ich frage aber alle, die eine Optionspflicht jetzt wieder einführen wollen: Glauben Sie wirklich, dass nur ein einziger Türke bei dem Referendum anders abgestimmt hätte, wenn wir ihm den deutschen Pass weggenommen hätten?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann wäre es aber kein Deutscher gewesen!)
Wollen Sie wirklich deutsch-türkische Kinder und Jugendliche mit dem Entzug des deutschen Passes und damit der Staatsangehörigkeit dafür bestrafen, weil ein Teil ihrer Eltern jetzt für Erdogan gestimmt hat? Ich glaube, das wäre der falsche Weg.
Wir haben in dieser Koalition die doppelte Staatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder eingeführt. Wir wollen diesen jungen Menschen zeigen: Ihr gehört zu uns, und zwar auch dann, wenn eure Eltern und Großeltern aus einem anderen Land kommen und ihr diese Verbindung nicht ganz abbrechen wollt. Wer jetzt die Rückkehr zur Optionspflicht fordert, der signalisiert diesen jungen Menschen: Ihr gehört doch nicht dazu, ihr seid keine richtigen Deutschen. Ich sage in aller Klarheit: Wer in diese trübe Vergangenheit zurück will, der wird auf den entschiedenen Widerstand meiner Fraktion stoßen.
(Beifall bei der SPD)
Wir werden nicht zulassen, dass jetzt auf dem Rücken dieser jungen Menschen Wahlkampf um die Stimmen am rechten Rand betrieben wird.
(Beifall bei der SPD)
Frau Merkel, wir haben die doppelte Staatsangehörigkeit in dieser Koalition gemeinsam beschlossen. Ich erwarte von Ihnen eine klare Aussage, ob Sie noch immer zu diesem Beschluss stehen.
Meine Damen und Herren, in dieser Woche hat der israelische Ministerpräsident Netanjahu sein geplantes Gespräch mit Außenminister Sigmar Gabriel abgesagt. Das ist sehr bedauerlich. Ich danke Sigmar Gabriel ausdrücklich dafür, dass er die Diskussionsrunde mit kritischen Nichtregierungsorganisationen trotz des politischen Drucks nicht abgesagt hat. Solche Gespräche sind fester Bestandteil der deutschen Außenpolitik. Deutschland trägt eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels. Unsere beiden Länder verbindet eine tiefe Freundschaft, die vor allen Dingen auf gemeinsamen Werten beruht. Freundschaft bewährt sich gerade da, wo man unterschiedlicher Meinung ist. Deutschland wird auch in Zukunft an der Seite Israels stehen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7102671 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 231 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Europäischen Rat |