Lars KlingbeilSPD - Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Frau Künast Ministerin gewesen ist, muss es so gewesen sein, dass alle Kabinettsvorlagen von der Grünenfraktion eins zu eins im Parlament durchgewunken wurden. Ich glaube, die Große Koalition kann mit vollem Stolz sagen: Wir reden noch einmal über das, was aus dem Kabinett kommt, und gucken uns genau an, ob man nachbessert.
(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterste Schublade! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Normalerweise weinen Sie sich aus bei uns über den Koalitionsausschuss! Da nennen Sie das gar nicht „reden“, sondern „weinen“! – Gegenruf des Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das scheint ja getroffen zu haben!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über einen Bereich, der sehr sensibel ist. Ich glaube auch, dass bei vielen von uns in den letzten Monaten Erkenntnisse gereift sind. Wir alle sind uns der Verantwortung angesichts des Themenbereichs bewusst, über den wir heute sprechen. Es geht um Meinungsfreiheit, es geht um die Verantwortung, die der Staat, die wir als Parlamentarier tragen. Es geht um die Frage, ob wir es als Politik schaffen, diejenigen zu schützen, die von Hass und Hetze im Internet betroffen sind. Facebook ist heute quasi so etwas wie ein öffentlicher Raum. Es geht heute hier auch um die Frage, ob der Staat dort Handlungsfähigkeit beweisen kann.
Ich will Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass seit Beginn der Diskussion vieles passiert ist: Wir sehen eine gestiegene Sensibilität in der Bevölkerung. Wir diskutieren viel, nicht nur über offensichtliche Strafrechtsverletzungen, sondern auch über einen anderen Punkt, über das, was wir als Fake News bezeichnen, und die Frage, wie wir damit umgehen.
Facebook kommt in Bewegung. Wir sehen, dass dort mehr Personen eingestellt werden, die löschen sollen. Wir sehen auch, dass Facebook anfängt, mit Journalisten zusammenzuarbeiten und genau zu gucken, was eigentlich wahr ist und wo falsche Dinge verbreitet werden.
Für die SPD-Fraktion kann ich sagen – das ist für uns völlig klar –: Es geht, wenn wir über all diese Dinge reden, nicht nur um Gesetze; es geht auch um digitale Kompetenzen. Es geht um die Frage: Wie stärken wir eigentlich diejenigen, die im Internet dagegenhalten? Es geht um die Frage: Wie können wir Fakten viel besser herausstellen?
Heute reden wir konkret über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Ich kann für die SPD-Fraktion hier zusagen: Wir werden die vielen Bedenken, die gerade im öffentlichen Raum stehen, in den parlamentarischen Beratungen ernst nehmen. Wir werden zuhören, wir werden uns die Dinge anhören, und wir werden dann sicherlich nach einer gründlichen Debatte dazu kommen, dass wir an vielen Stellen Änderungen an diesem Gesetzentwurf vornehmen.
Es geht, liebe Kolleginnen und Kollegen, um Schnelligkeit, weil die Legislatur bald zu Ende ist. Ich will hier aber auch sagen: Es geht auch um Gründlichkeit, und beide Dinge werden wir nicht gegeneinander ausspielen.
Herr Kollege Klingbeil, darf Frau Rößner eine Zwischenfrage stellen?
Sehr gerne.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Danke, Kollege Klingbeil, dass ich eine Frage stellen darf. Nun gab es ja am Anfang der Legislaturperiode das große Ansinnen der Großen Koalition, eine Bund-Länder-Kommission zur Regelung im Medienbereich auf den Weg zu bringen. Da gab es auch eine Arbeitsgemeinschaft Plattformregulierung und eine Arbeitsgemeinschaft Intermediäre. Jetzt hat die Kommission aber leider ihre Arbeit schon abgeschlossen, es gibt einen Bericht, aber genau diese Thematik ist darin nicht enthalten. Insofern verstehe ich nicht ganz, warum jetzt auf die Schnelle dieses Gesetz durchgeboxt werden soll, ohne dass die Länder miteinbezogen worden sind, obwohl man dort ein Gremium hatte, in dem man intensiv diskutiert und sich Sachverstand geholt hat. Das verstehe ich nicht. Vielleicht können Sie es mir erklären.
Liebe Kollegin Rößner, es ist doch in der Tat so – das wissen Sie als Mitglied der damaligen Enquete-Kommission und als eine Kollegin, die auch viel in diesem Bereich unterwegs ist –, dass es digitale Entwicklungen gibt, die uns manchmal angesichts ihrer Geschwindigkeit herausfordern. Sie haben zu Recht festgestellt: Wir hätten dieses Thema in der Bund-Länder-Kommission diskutieren sollen. – Wir haben es da leider nicht getan. Das Parlament war ja nicht direkt beteiligt. Aber es gibt jetzt diese Herausforderung, und wir müssen diese Herausforderung annehmen.
Für mich wäre es der falsche Weg, nur weil die Legislatur kurz vor dem Ende steht, jetzt zu sagen: Wir ignorieren diese Probleme und diskutieren es hier im Parlament nicht. –
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir müssen uns mit den Fragen, die unsere Gesellschaft beschäftigen, auseinandersetzen, und das tut die Große Koalition an dieser Stelle. Ich habe gerade, als Sie sich gemeldet haben, gesagt: Es geht um Gründlichkeit, und es geht um Schnelligkeit. Beides lässt sich nach unserer Meinung nicht gegeneinander ausspielen.
Herr Präsident, ich will in meiner Rede fortfahren. – Ich will vier Punkte nennen, die für die SPD bei den Verhandlungen in der Koalition und hier im Parlament sehr wichtig sein werden.
Das Erste ist, dass der Gesetzentwurf eine Ausweitung der Auskunftsansprüche ohne Richtervorbehalt vorsieht. Das ist für uns eine rote Linie, die in diesem Fall überschritten wurde. Wir sagen: Der Richtervorbehalt muss rein, und wir brauchen eine Beschränkung des Auskunftsanspruchs auf einen engen Kreis von Straftaten.
Der zweite Punkt sind die Bußgelder. Wir wollen diesen Punkt im Gesetzestext konkretisieren, um deutlich zu machen: Es geht nicht um den einzelnen Post und die Frage, ob eine soziale Plattform damit falsch umgeht, sondern um das Vorhalten eines effektiven Beschwerdemanagements. Wir wollen erreichen, dass das im Gesetz deutlicher wird.
Der dritte Punkt ist, dass wir eine Klarstellung brauchen, welche Plattformen von diesem Gesetz betroffen sind und welche nicht.
Der vierte Punkt ist – auch das kann ich hier für die SPD-Fraktion sagen –: Wir wollen die Möglichkeit der regulierten Selbstregulierung in den Verhandlungen hier im Parlament offen und ehrlich prüfen.
Das waren vier Punkte, die uns sehr wichtig sind. Ich will noch einmal sagen: Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass wir als Parlamentarier schauen, wie wir selbst bei guten Gesetzen noch nachbessern können.
Dann will ich aber jetzt am Ende etwas ansprechen, was mich schon irritiert. Es gibt vonseiten der Union viel Kritik, Kritik am Minister und an dem, was das Kabinett vorgelegt hat. Ich hätte mir gewünscht, dass heute hier im Parlament diejenigen aus den Reihen der Union sprechen, deren Kritik am Gesetz man sonst nur auf Spiegel Online nachlesen kann.
(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Genau!)
Da fordert Herr Kauder Herrn Maas auf, das Gesetz schneller auf den Weg zu bringen und es härter zu machen.
(Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!)
Dann kommt seine Stellvertreterin Nadine Schön und sagt: Das darf alles nicht so schnell gehen, und das ist doch alles viel zu hart. – Herr Jarzombek schlägt vor, eine quasi-staatliche Behörde einzurichten. Dorothee Bär, die als Staatssekretärin ihren Minister im Kabinett anscheinend schlecht beraten lässt, sagt, sie lehne dieses Gesetz ab. Dieses Hin und Her in der Union wird es schwierig machen, in den kommenden Wochen über alle diese Punkte zu beraten.
(Beifall bei der SPD)
Ich hätte mir gewünscht, dass die Digitalpolitiker heute zu Wort kommen. Dann hätten wir die Kritik nicht nur bei Spiegel Online gelesen, sondern auch einmal hier im Parlament gehört.
(Beifall bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können ja aus Spiegel Online vorlesen!)
Herr Klingbeil, bevor Ihre Redezeit zu Ende ist: Wollen Sie noch eine Zwischenfrage zulassen?
Ja, gerne.
Gut. Deswegen hatte ich Sie jetzt unterbrochen.
Dann habe ich auch mehr Zeit zur Verfügung. Das ist doch gut.
Frau Schön, bitte.
Lieber Kollege Klingbeil, Sie haben mich direkt angesprochen. Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die Unionsfraktion in dieser Frage immer eine einheitliche Meinung hatte?
(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das ist ja ganz neu!)
Das ist in unserem Positionspapier nachzulesen, das wir als Gesamtfraktion im Januar verabschiedet haben. Darin haben wir alle Punkte, die heute kritisiert werden, aufgegriffen, nämlich: Wer prüft eigentlich? Gibt es Verfahren der regulierten Selbstregulierung? Wer ist überhaupt betroffen von einem solchen Gesetz? – Das stand schon in unserem Positionspapier. Deswegen wäre es schön gewesen, wenn das zuständige Ministerium die Positionspapiere – Ihre Fraktion hat ja auch eines vorgelegt – als Grundlage für das Gesetz herangezogen hätte. Dann müssten wir viele Diskussionen heute nicht führen.
Ich freue mich sehr, wenn Sie sagen, dass für Sie das Thema „regulierte Selbstregulierung“ wichtig ist. Sie teilen unsere Kritik an vielen Stellen. Frau Winkelmeier-Becker hat in ihrer Rede auch Punkte aufgegriffen.
Hansjörg Durz wird für die AG Digitale Agenda sprechen. Wir haben ein völlig konsistentes Meinungsbild innerhalb der CDU/CSU-Fraktion.
(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ja, klar! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Bislang noch nicht groß aufgefallen!)
Wir sind aber auch offen für Anregungen von außen; denn wir sind uns einig, dass es ein sehr komplexes und schwieriges Gesetz ist. Wir alle sind gut beraten, wenn wir auch Experten und diejenigen, die mit dem Thema „regulierte Selbstregulierung“ schon Erfahrungen haben, hören und ihre Meinung in unsere Beratungen einbeziehen.
Ich möchte die Kritik wiederholen, dass es sehr schade ist, dass die Beratungszeit so kurz ist. Wir hätten uns für dieses Gesetz einfach mehr Zeit gewünscht. Aber es ist schön, zu hören, dass die SPD-Fraktion bei vielen Punkten unserer Meinung ist. Deshalb sollten wir die Zeit nutzen, das Gesetz zu einem guten Gesetz zu machen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Klingbeil, bitte.
Ich freue mich darüber, dass sich beim geschätzten Koalitionspartner bei diesem Thema endlich Einigkeit andeutet. Ich will noch einmal die für uns wichtigsten vier Punkte nennen: Richtervorbehalt beim Auskunftsanspruch, Bußgelder konkretisieren, deutliche Klarstellung, welche Netzwerke betroffen sind, und Prüfung der regulierten Selbstregulierung. Wenn Herr Durz, der nach mir sprechen wird, sagt: „Wir machen an alle vier Themen einen Haken“, dann würde das im Hinblick auf die Berichterstattergespräche schon einiges erleichtern.
Vielen Dank fürs – –
Herr Klingbeil, Stopp! Sie haben noch eine Sekunde Redezeit.
(Heiterkeit)
– Ja, bei manchen ist eine Sekunde ziemlich lang, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Wollen Sie noch eine Zusatzfrage von Herrn von Notz zulassen?
Ja, klar. Gerne.
Gut.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege Klingbeil. Nach den Selbstgesprächen der Großen Koalition muss ich doch eine Nachfrage stellen,
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
weil ich da etwas nicht verstehe. Wenn es in der Union eine einheitliche Linie gibt, wie verstehen Sie denn dann die Äußerungen der Kollegen Bär und Jarzombek? Also ich nehme eine große Lücke zwischen den Aussagen von Herrn Kauder, der jetzt leider nicht mehr da ist, und denen der beiden Kollegen wahr. Gibt es eine sozialdemokratische Erklärtheorie, wie es zu diesem Delta kommen kann?
(Heiterkeit – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist mal eine gute Frage!)
Ich bin ausgebildeter Sozialwissenschaftler und kein Sozialpädagoge.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darauf setze ich!)
Insofern kann ich nicht weiterhelfen. Ich habe aber wahrgenommen – und das ist ein wichtiges Signal –, dass die Union dabei ist, sich auf konkrete Punkte zu einigen, die wir in die Berichterstattergespräche einfließen lassen können. Das wäre für uns wichtig, damit wir das Gesetz in dieser Legislatur noch gründlich beraten und zum Abschluss bringen können.
(Beifall bei der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!)
Vielen Dank, Lars Klingbeil. – Schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzter Redner in dieser lebendigen Debatte: Hansjörg Durz für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7111296 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 235 |
Tagesordnungspunkt | Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken |